Die Vogelpfeifen Péckvillchen gehören in Luxemburg untrennbar zum Osterfest. Usch Biver stellt in dem kleinen Ort Nospelt die kleinen Vögel aus Ton in liebevoller Handarbeit her. Seine Vogelpfeifen haben es sogar auf die Weltausstellung 2021 geschafft.
Fast alle der 700 Einwohner von Nospelt besitzen ein Péckvillchen, eine bunte Tonpfeife in Form eines Vogels, die sogar trällern kann. Jedes Jahr am Ostermontag strömen Tausende Besucher in das Dorf in der Gemeinde Kehlen im Westen des Großherzogtums Luxemburg, um ein authentisches Nospelter Péckvillchen zu erwerben und am traditionellen Éimaischen, dem Ostermontagsfest, teilzunehmen. Dieses Fest gibt es nicht nur in der Stadt Luxemburg, sondern auch seit 1957 in Nospelt. Das muntere Gezwitscher der tönernen Piepmätze in den Gassen hält die Töpfer-Vergangenheit lebendig.
Waschmaschine weicht den Ton auf
Eugène Biver, auf Luxemburgisch auch bekannt als Usch Biver, zeigt den Gästen, wie er die Péckvillchen aus dem traditionellen Lehm von Nospelt auf der Drehscheibe formt. Dafür hat die Gemeinde die ausgediente Feuerwehrhalle zur Verfügung gestellt. Er liebt es, mit seinen Händen zu arbeiten und aus einem einfachen Stück Ton ein Kunstwerk zu schaffen. „Ein gutes Gespür für Technik muss man haben und die Eigenschaften von Ton genau kennen“, sagt der Hobbytöpfer und setzt sein gelbes Käppi mit der Aufschrift „Usch” auf, legt eine blaue Stoffschürze an und setzt sich auf den Hocker vor der Drehscheibe. Auf dem Tisch liegt der graue Ton aus Nospelt, den er nach dem Durchkneten präzise auf die rotierende Töpferscheibe wirft. Warum Erde aus Nospelt? „Sie ist eisenhaltig und ergibt bei 900°C einen wunderschönen, rostfarbenen Scherben,” sagt Usch Biver. Früher verbrachte die Familie Stunden damit, die Erde mit nackten Füßen von Verunreinigungen und Gesteinsbrocken wie Kalk und Muscheln zu befreien und sorgfältig zu vermengen. Heute gräbt Usch die Erde aus seinem Garten oder aus der näheren Umgebung unter der Humusschicht und bis zu einem Meter Tiefe aus und trocknet sie wochenlang. Anschließend wird der Ton in einer Waschmaschine mit Regenwasser aufgeweicht und zu einer dünnflüssigen Brühe ausgewaschen. Der Schlicker wird auf einem Gipstisch zu einer lederharten Masse getrocknet und vor dem Aufwerfen auf die Drehscheibe von ihm sorgfältig geknetet, um eingeschlossene Luft zu entfernen. Denn nur so wird vermieden, dass beim Brennen Risse und Sprünge entstehen. Wenn die Tonmasse zu weit austrocknet, wird sie kurzerhand wieder in die Waschmaschine gegeben und recycelt. „Los geht`s“, schmunzelt Usch und tritt mit dem Fuß auf das Pedal, um die erforderliche Drehgeschwindigkeit einzustellen.
Mit beiden Händen träufelt er Wasser über die Tonmasse, die sich langsam dreht. Das Tonmachen erfordert viel Fingerspitzengefühl. Unter Kraftaufwand zentriert er den Ton auf der Scheibe und zieht ihn konisch nach oben. Anschließend formt er eine kleine Scheibe als Standscheibe des Vogels und hält sie in die Höhe. Danach folgen die Hohlkugel für den Bauch und der Kopf, bevor er abschließend einen kleinen Vollkonus für den Schwanz dreht. „Es ist eine wunderschöne Arbeit, die mich zur Ruhe kommen lässt. Beim Drehen an der Scheibe muss ich mich ganz auf den Ton einlassen und ihn wahrnehmen“, erklärt Usch in das leise Surren. Sobald er die vier Teile zusammensetzt wächst ein Tonvogel heran. Die Pfeifenlöcher müssen so perfekt gesetzt werden, dass der Vogel zwitschern kann. Usch erklärt, wie es fast immer gelingt: „Um den Grundton zu erzeugen, setze ich ein erstes Loch mit einem dünnen Röhrchen zwischen Bauch und Schwanz. Mit einem abgeplatteten hölzernen Stichel steche ich einen Schlitz in den Schwanz, sodass sich die Achse des Schlitzes mit der Kante des Bauchlochs trifft.“ Da die Vögel zwei Töne haben müssen, wird in den Brustteil des Vogels ein kleineres, rundes Loch gestochen. Dann kommt der große Augenblick. Pfeift er oder pfeift er nicht? Usch bläst in den Schwanzschlitz (Mundstück) und wippt mit dem Finger am Brustloch. „Er pfeift!“ ruft er stolz und wirft einen prüfenden Blick auf das fertiggestellte handgroße Tonvögelchen. Anschließend wird dieses geglättet und mit einem Profilstab setzt Usch Biver Augen, Schnabel und Flügel. Zum Abschluss stempelt er das Logo „echt Nospelt“ ein. Usch betrachtet das fertige Kunststück, klopft sich die Tonkrümel von den Händen und der Schürze und sieht zufrieden aus. Doch damit ist die Töpferarbeit noch lange nicht beendet.
Arabische Frauen waren begeistert
Es ist ein langwieriger Prozess, denn das Vögelchen muss nun eine Woche lang im Holzregal stehen, bis es vollständig durchgetrocknet ist. Erst dann wird es zusammen mit den anderen in den Brennofen gestellt, wo sie die Nacht bei 900 Grad verbringen. Nach dem Rohbrand müssen sie 24 Stunden abkühlen, bevor Usch sorgfältig eine Glasur auf den Körper aufträgt. Anschließend werden die Tonvögel nochmals bei einer Temperatur von 1.100 °C in den Brennofen gegeben, sodass die Glasur schmelzen kann. Es dauert mindestens zwei Tage, bis der Ofen von dieser hohen Temperatur wieder heruntergekühlt ist, damit Usch die Stücke herausnehmen kann, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen. Töpfern ist eine logistische Herausforderung, die vom Graben der Erde, über das Kneten des Tons und das Brennen bis hin zum fertigen Produkt mehrere Wochen dauert. Der Künstler fertigt auch Keramikpfeifen an, die Töne über eine ganze Oktave erzeugen können. Wenn etwas schiefgeht, muss der Hobbytöpfer von vorne beginnen. Im Laufe der Jahre hat Usch seine handwerklichen Fähigkeiten perfektioniert und tüftelt immer noch an seinen Tonfiguren, denn jedes Stück ist einzigartig. Jährlich produziert er 200 Péckvillchen für das Éimaischen sowie weitere 200 Stück für Freunde und Bekannte. Seine Vogelpfeifen haben es sogar auf die Weltausstellung 2021 geschafft, wo der Luxemburger sein Können an der Töpferscheibe im Luxemburger Pavillon auf den „Luxembourg Tourism Days“ zeigte. Die arabischen Frauen drehten kurz die Töpferscheibe und zogen trällernd mit den mitgebrachten Luxemburger Piepmätzen durch die Halle.
Doch Usch ist nicht allein mit seiner Leidenschaft. In Nospelt gibt es noch weitere Hobbytöpfer, die von ihm angeleitet werden und dazu beitragen, den Schwarm von Tonvögeln zu vergrößern. Spatz, Taube oder Eule. Jedes Stück ist ein Unikat. Der Ton muss aus Nospelt stammen, denn Usch möchte noch so lange wie möglich töpfern und die Tradition weiterleben lassen.