Welche unterirdischen Welten existieren auf der Erde? Diese und andere Fragen haben uns die Geo-Wissenschaftler Dr. Timm Reisinger und Diplom-Geologe Rainer Olzem beantwortet.
Herr Dr. Reisinger, Herr Olzem, welche Lebewesen leben im Verborgenen zu unseren Füßen?
Rainer Olzem: Es gibt auf und in der Erde praktisch keinen Ort, an dem kein Leben existiert. Erst seit Kurzem hat man erkannt, dass auch das Grundwasser ein Ökosystem globalen Ausmaßes ist mit sehr spezifischen Lebensbedingungen wie dem Fehlen von Sonnenlicht, der Enge des Porenraums im Boden, den niedrigen und gleichbleibenden Temperaturen und einem geringen Nahrungsangebot. Im Grundwasser der Locker- und Festgesteine zu unseren Füßen lebt dennoch eine Unmenge von ein- und mehrzelligen Tierarten wie Krebse, Muscheln, Schnecken, Würmer, Asseln, Insekten, Milben, Bakterien und einige Pilzarten. Trotz der dort herrschenden widrigen Bedingungen gibt es dort schon seit vielen Millionen Jahren eine unerwartete Vielfalt an Lebewesen.
Selbst in geologischen Formationen, wo man dies niemals vermuten würde, wie in Erdöllagerstätten mit extrem heißen Temperaturen weit über 100 Grad Celsius, wurden mehr als 2.000 Arten von Mikroorganismen entdeckt. Es sind wahrscheinlich Relikte aus der geologischen Epoche, als Meereslebewesen auf den Meeresgrund absanken, von Sedimenten bedeckt und in tieferen Schichten in Erdöl umgewandelt wurden. Und diese Organismen leben noch heute.
Ganz überraschend wurden 2016 im Zagros-Gebirge im Irak nach heftigen Regenfällen sogar Fische aus dem Grundwasser an die Oberfläche gespült. Es handelte sich um die Fischart Eidinemacheilus proudlovei, sie besitzen keine Augen und keine Schuppen und ihre Haut weist keine Farbpigmente auf.
Über all diese ungewöhnlichen extremen Lebensformen weiß die Wissenschaft bislang noch sehr wenig. Für Biologen und Geologen steht in der Zukunft noch ein volles Forschungsprogramm an, denn nach derzeitiger Schätzung könnte es bis zu 100 Millionen Arten von Lebewesen auf und in der Erde geben, von denen aber bislang nur etwa 1,8 Millionen bekannt und wissenschaftlich beschrieben sind.
Welchen Nutzen haben diese Erdbewohner?
Rainer Olzem: Lebewesen prägen entscheidend das Bild der Erde und die Zusammensetzung der Biosphäre, also die Gesamtheit der Räume, in denen Lebewesen existieren. Fachleute vermuten, dass 30 Prozent der gesamten Biomasse der Erde auf unterirdisch lebende Mikroorganismen entfallen. Wenn nun einige oder mehrere dieser Lebensformen verschwinden oder sich evolutionär verändern, kann das auch Veränderungen des gesamten Lebensbereichs der Erde verursachen. Aber das sind nur vage Spekulationen.
Welche unterirdischen Welten und Geheimnisse gibt es auf der Erde?
Timm Reisinger: Der Mensch hat aus unterschiedlichen Gründen beeindruckende Welten unter der Erde geschaffen. Als Geologe habe ich in Australien aufgrund des großen Vorkommens an Opalen natürlich die Ortschaft Coober Pedy im Outback besucht. Hier liegen die Temperaturen oft über 40 Grad Celsius und es gibt kaum Schatten, deshalb habe ich während meines Aufenthalts, genau wie etwa die Hälfte der Einwohner von Coober Pedy, in einer unterirdischen Wohnhöhle gelebt. Hier betragen die Temperaturen das ganze Jahr über angenehme 25 Grad Celsius. Umgekehrt entstanden und entstehen in Kanada Untergrundstädte, um der Kälte und dem Schnee zu entfliehen. Die Untergrundstadt in Montreal erstreckt sich über eine Fläche von zwölf Quadratkilometern und in dem über 32 Kilometer langen Tunnelsystem gibt es unter anderem Büro- und Geschäftsflächen, Wohnungen, Hotels und Museen.
Andere unterirdische Welten wurden zum Schutz vor Krieg gebaut. Im Untergrund Helsinkis wurde in den 80er-Jahren mit dem Bau von Schutzräumen für die Bevölkerung begonnen. Die chinesische unterirdische Stadt Dixiá Chéng unter Peking trägt auch den Beinamen Nuclear City, weil sie aus Angst vor einem nuklearen Angriff erbaut wurde. Bei einem Atomschlag hätten auf einer Fläche von 85 Quadratkilometern rund sechs Millionen Menschen Schutz suchen können. Aktuell in Friedenszeiten gibt es in beiden unterirdischen Welten öffentliche Einrichtungen wie Geschäfte, Restaurants und Spielplätze. In Dixiá Chéng wohnen darüber hinaus sehr viele Menschen in winzigen Zimmern und in Schlafsälen, weil Wohnraum in Peking teuer und rar ist. Aus Platzmangel wird heutzutage auch in vielen weiteren Großstädten Wohn- und Nutzraum im Untergrund erschlossen.
Bei alten historischen Höhlenstädten ist nicht immer klar, ob sie wegen extremen klimatischen Bedingungen, zum Schutz vor Krieg oder aus Platzmangel gebaut wurden. Sicher ist aber, dass gerade früher die geologischen Untergrundgegebenheiten eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben. So wurden in der Bergregion Kappadokien in der Türkei bereits 3.000 v. Chr. im weichen Tuffgestein erste Höhlen- und Tunnelsysteme errichtet und die Hellfire Caves in Südostengland wurden Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Erweiterung eines stillgelegten Steinbruchs angelegt, in dem leicht zu bearbeitender Kreidestein abgebaut wurde.
Neben zum Beispiel Gletscher- und Vulkanhöhlen sind Karsthöhlen absolut faszinierende natürliche unterirdische Welten. Karst entsteht vor allem in humiden Klimazonen, wenn karbonatische Gesteine durch kohlensäurehaltige Grundwässer gelöst werden und sich dadurch Gänge und Hohlräume im Gestein bilden. Im Laufe von Jahrmillionen können sich diese Gänge und Hohlräume zu großen, oft miteinander verbundenen, unterirdischen Gang- und Höhlensystemen entwickeln. Durch eindringendes saures Oberflächenwasser, das gelösten Kalk enthält, bilden sich in diesen Hohlräumen Tropfsteine, Stalaktiten von oben, Stalagmiten von unten und Stalagnaten, wenn beide zusammenwachsen. Während meiner Masterarbeit habe ich das Karstsystem auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán untersucht. Besonders beeindruckt war ich von den sogenannten Cenotes. Durch den Einsturz der Höhlendecke haben sich runde Einstiegslöcher zu den unterirdischen wassererfüllten Hohlräumen geöffnet, die die Mexikaner Cenotes nennen. Die Cenotes in Yucatán bilden die Eingänge zu dem vermutlich größten zusammenhängenden Unterwasserhöhlensystem der Erde. Einzelne bis zu 240 Kilometer lange Systeme sind über mehr als 140 Cenotes zugänglich. Die Gesamtlänge aller erforschten Unterwasserhöhlensysteme allein in Quintana Roo, der östlichen Provinz Yucatáns, beträgt 1.085 Kilometer. Weitere großartige Karsthöhlen gibt es in Slowenien, Vietnam und an vielen weiteren Stellen auf der Erde.
Welche Gebiete/Lebensräume auf der Erde sind noch weitgehend unerforscht und woran liegt dies?
Rainer Olzem: Die vielfältige Lebenswelt unter der Erdoberfläche ist aufgrund der schweren Zugänglichkeit weitgehend unerforscht. Das Gleiche gilt für die Tiefsee, Landstrukturen unter dem Inlandeis und für einige hohe Berge. Besonders interessant wird es für den Geowissenschaftler, wenn es um die Erforschung der Erdkruste, des Erdmantels und des Erdkerns geht. Hier gibt es unzählige ungeklärte Fragen, wie zum Beispiel: „Ist der Erdkern ein Kernreaktor?“
Zur Untersuchung der Bereiche ist ein erheblicher Forschungsaufwand nötig. Es müssen aufwendige Tiefbohrungen abgeteuft und geophysikalische Untersuchungsmethoden angewandt werden.
Welche extremen Gebiete gibt es auf der Erde, und warum sind diese so extrem?
Timm Reisinger: Fast jeder hat schon vom Death Valley gehört. Das Death Valley ist eine der trockensten Gegenden der Erde, weil sich die feuchten Winde auf ihrem Weg vom Pazifik an fünf Bergrücken abregnen, bevor sie über das Tal ziehen. Außerdem ist das Death Valley eine der heißesten Gegenden Amerikas. Die Form des schmalen, 86 Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Beckens führt dazu, dass die steilen Berge drumherum die Hitze zurück ins Tal strahlen. Klare und trockene Luft sowie der spärliche Bewuchs von Pflanzen sorgen zusätzlich dafür, dass sich der Boden im Sonnenlicht stark erhitzt. Noch extremer als das Death Valley ist die Wüste Dascht-e Lut im Iran. Die Salzwüste gilt als der heißeste Ort der Welt. Mithilfe eines Satelliten wurden dort über 70 Grad Celsius gemessen. Unter solch einer extremen Hitze überleben langfristig nur ganz wenige und an Hitze angepasste Tiere. Für die Hitze an der Oberfläche von Dasht-e Lut sind unter anderem das Vorhandensein von schwarzem Vulkangestein, das große Mengen an Sonnenlicht absorbiert, und auch wieder der kaum vorhandene Bewuchs von Pflanzen verantwortlich.
Die Antarktis ist dagegen ein fast völlig vereister Kontinent, die Eisschicht ist bis zu 4.900 Meter dick. Dort befinden sich 90 Prozent des gesamten irdischen Eises und 70 Prozent der gesamten Süßwasserreserven der Erde und es gibt Süßwasserseen unter dem Eis. Seit Jahren wird es in der Antarktis kälter und die Eismasse nimmt zu. 2019 wurde ein absoluter Kälterekord von minus 98,6 Grad Celsius gemessen, die kälteste jemals auf der Erde gemessene Temperatur. Auch der trockenste Ort befindet sich in der Antarktis, er liegt in 4.053 Metern Höhe auf dem antarktischen Plateau „Ridge A“.
Der Ort mit der weltweit höchsten durchschnittlichen Niederschlagsmenge ist Mawsynram im indischen Bundesstaat Meghalaya nördlich von Bangladesch. Der durchschnittliche Jahresniederschlag beträgt rund 12.000 Millimeter. Vor allem regnet es dort während der Monsunzeit, weil sich die Regenwolken am nördlich gelegenen Himalaya stauen.
Wie entsteht eigentlich Magma unter der Erde? Und wovon ist es abhängig, ob ein Vulkan ausbricht?
Olzem: Glutflüssiges Magma entsteht durch die sogenannte Anatexis, das ist die teilweise oder vollständige Aufschmelzung des Gesteins unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen in großer Tiefe innerhalb der Erdkruste und im oberen Erdmantel. Magma hat aufgrund seiner hohen Temperatur bis 1.300 Grad Celsius eine geringere Dichte als das umgebende Gestein. Dadurch und durch den Druck von im Magma enthaltenen Gasen steigt die Gesteinsschmelze auf. Die Gase erhöhen mit der Zeit den Druck innerhalb der flüssigen Masse und das Magma steigt auf. Überschreitet der Druck einen kritischen Punkt, bricht ein Vulkan aus. Wenn Magma an der Erdoberfläche ausfließt, wird es Lava genannt.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Supervulkane wie die Phlegräischen Felder in der Nähe von Neapel das Leben auf der Erde in größeren Teilen auslöschen?
Reisinger: Die Phlegräischen Felder bei Neapel sind ein riesiger Supervulkan mit mehr als 50 Ausbruchzentren, die teilweise auch unter Wasser im Golf von Pozzuoli liegen und eine Fläche von 150 Quadratkilometern bedecken. Es ist schwer zu sagen, wann und ob es in näherer Zukunft zu einem größeren Ausbruch der Phlegräischen Felder kommt. Sicher ist aber, dass die Gegend höchst instabil ist, auch heute noch hebt und senkt sich stetig der Boden. Die Küstenlinie ist zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 11. Jh. n. Chr. um zwölf Meter abgesunken und hat sich danach bis zum 17. Jahrhundert wieder um acht Meter gehoben. Später sank sie wieder um fünf Meter, bis sie das heutige Niveau erreichte. Die vulkanische Aktivität der Phlegräischen Felder begann vor rund 127.000 Jahren und endete schließlich mit dem Ausbruch des Monte Nuovo im Jahre 1538.
Würde der Vulkan wieder ausbrechen, dann wären die Folgen wahrscheinlich apokalyptisch. Das Gebiet weit um Neapel und der gesamte Mittelmeerraum würden bei einer solchen Super-Eruption völlig zerstört und lange anhaltende kalte Temperaturen, Hungersnöte und viele Flüchtlingsströme würden die umliegenden Länder weit um das Mittelmeer bedrohen. Aber auch weltweit würden sich die Folgen des Ausbruchs durch Wetteränderungen über mehrere Jahre auswirken.
Welche Dinge rund um die Erde faszinieren Sie persönlich am meisten?
Olzem: Das ist vor allem die Plattentektonik und die damit einhergehenden geologischen Phänomene wie Kontinentalverschiebung, Gebirgsbildung, Vulkanismus und Erdbeben. Ganz besonders interessiert mich der Vulkanismus. Es ist einerseits faszinierend, direkt am Kraterrand eines aktiven Vulkans zu stehen, andererseits steht man dort aber auch mit weichen Knien.
Reisinger: Darüber hinaus finde ich auch Grundwasser in allen seinen Erscheinungsformen faszinierend. Wie sieht das Wasser im Boden aus? Wie kommt es in den Untergrund, wie verhält es sich dort und welche Eigenschaften hat es? Wie funktioniert der Kreislauf des Wassers?
Welche faszinierenden Dinge gibt es, von denen kaum jemand weiß?
Reisinger: Es gibt eine Reihe von submarinen Vulkanen, von denen kaum jemand weiß. Ferdinandea ist beispielsweise ein submariner Vulkan im Mittelmeer, vier Kilometer südlich von Sizilien, dessen Gipfel nur acht Meter unter der Meeresoberfläche liegt. Austretende vulkanische Gase belegen die Aktivität des Vulkans. Neben der Gefahr einer Eruption sind aufgrund der steilen Hänge besonders Bergstürze an den Flanken zu befürchten, die jederzeit eine Flutwelle und damit auch einen größeren Tsunami verursachen könnten. Ein weiterer riesiger submariner Vulkankomplex ist Marsili im Tyrrhenischen Meer. Mit 3.000 Metern Höhe ist er einer der höchsten europäischen Vulkane und gleichzeitig der höchste submarine Vulkan Europas. Sein Gipfel reicht vom Meeresgrund in 3.500 Meter Tiefe bis 450 Meter unter die Wasserlinie des Tyrrhenischen Meeres. Er erstreckt sich über eine Fläche von mehr als 2.000 Quadratkilometern. Ein Bruch der Vulkanwände würde den Einsturz einer riesigen Menge Materials verursachen, wodurch eine Flutwelle ausgelöst würde, die die Küsten von Kampanien, Kalabrien und Sizilien erreichen könnte.
Auch faszinierend ist das Thema der Superkontinente. Mit Zeiträumen von mehreren Millionen Jahren beschäftigt sich neben den Geologen kaum jemand. Die Kontinente, die wir heute kennen – Afrika, Nord- und Südamerika, Asien, Australien, Europa und die Antarktis –, sind Fragmente des letzten Superkontinents von vor 250 Millionen Jahren. Aber die Bildung des nächsten Superkontinents „Novopangäa“ hat bereits begonnen. Die Kollision Indiens mit Asien, die den Himalaya entstehen und weiter wachsen lässt, und der Zusammenstoß von Afrika und Europa, der in den nächsten etwa 50 Millionen Jahren das Mittelmeer verschwinden lässt, sind die markanten Phänomene.