Nicht nur bezahlbare Wohnungen, sondern auch Gewerberäume sind Mangelware im stetig wachsenden Berlin. Zu spüren bekommt das auch die Kunstszene. Über die brisante Situation sprach FORUM mit Berlins Atelierbeauftragtem Dr. Martin Schwegmann.
Herr Schwegmann, Kunstschaffende in Berlin bezeichnen es bereits als Notstand, weil bezahlbare Atelierräume fehlen, dadurch Existenzen bedroht werden. Ist die Situation für bildende Künstler wirklich so schlimm?
Die Situation ist verheerend! Gerade weil es in Berlin eben lange Zeit günstige und relativ zentrale Räume gab. Wenn das Atelier gekündigt wurde, suchte man sich halt ein neues. Heute ist der Markt leer, es gibt kaum noch bezahlbare Ateliers. 99 Prozent der bildenden Künstler konkurrieren auf dem Gewerbeimmobilienmarkt mit Start-ups und können da nicht mithalten. Wenn in Kreuzberg ein Atelier ausgeschrieben wird, gibt es mittlerweile über 100 Anfragen.
Einst galt Berlin als Mekka für Kunstschaffende, als internationaler Standort für Kunstproduktionen. Was ist passiert?
Die Stadt ist inzwischen auch ein international attraktiver Standort für Immobilieninvestoren geworden. Die Nachfrage und die zu erwartenden Renditen treiben die Mieten nach oben, natürlich auch für Ateliers. Hinzu kommt, Berlin ist eine wachsende Stadt und braucht Flächen. Was lange keiner für möglich gehalten hat, ist nun eingetreten, und leider wurde viel zu spät reagiert.
Nun müssen in den nächsten zwei Jahren schnell bezahlbare Ateliers geschaffen werden. Darüber hinaus brauchen wir dringend neue Modelle der Selbsthilfe und Selbstorganisation, um Künstlern auch im Alter einen sicheren Arbeits- und Wohnort sichern.
Einen Atelier-Beauftragten in Berlin gibt es seit 1993, damals war das der erste in Deutschland. Bereits 2013 stellte er einen Ateliernotstand fest – also Ziel nicht erreicht?
Stimmt leider. Derzeit gibt es knapp 1.000 geförderte Ateliers und Atelierwohnungen in Berlin. Hier arbeiten aber zwischen 8.000 und 10.000 Künstler. Wir fordern deshalb eine flexiblere Förderung – die auch im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe angewendet werden kann.
Die geförderten Ateliers aus dem Anmietprogramm dürfen derzeit nur acht Jahre genutzt werden, das muss sich ändern. Auch für die 230 in den 90er Jahren entstandenen, öffentlich geförderten und belegungsgebundenen Atelierwohnungen läuft in den nächsten Jahren die Bindung aus. Wir bemühen uns um Anschlussförderung, aber das ist nicht einfach, denn es sind oft private Eigentümer.
Sie wollen mehr Geld?
Ja. Denn wenn wir bis 2022 mit einem Sofortprogramm 700 Ateliers schaffen wollen, brauchen wir in den kommenden zwei Jahren für die Atelierförderung jeweils zwei Millionen Euro mehr als im Haushaltsentwurf ausgewiesen sind. Das Anmietprogramm gibt es seit über 20 Jahren und hat sich bewährt. Trotz steigender Nachfrage bekommen wir aber seit zehn Jahren die gleichen Zuwendungen. Wir brauchen mehr Unterstützung, um schlagkräftiger zu werden.
Das Geld ist das eine, aber es müssen ja auch Flächen vorhanden sein, um neue Räume zu schaffen.
Vor allem Flächen für eine langfristige Nutzung. Es gibt einen Kooperationsvertrag zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, der wird dieses Jahr evaluiert. Dort muss nach unserem Dafürhalten festgeschrieben werden, dass bei Neubau- oder Bestandsflächen drei Prozent für Kultur vorzuhalten sind, davon ein Prozent für Atelierwohnungen. Aber noch sind nicht alle davon begeistert.
Wie können die Räume bezahlbar bleiben?
Damit hat sich schon 2014 die Studie „ArtCityLab" beschäftigt. Umgesetzt wurden die Ideen bisher zwar nicht, aber sie haben die Brisanz der Situation deutlich gemacht. Gerade ist „ArtCityLab 2" erschienen, eine Kooperation des Atelierbeauftragten mit dem Architektenkollektiv raumlaborberlin, der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag und dem privaten Entwicklungsunternehmen Artprojekt. Es hat sich gezeigt, dass sich ganz unterschiedliche Partner zusammenfinden müssen, um authentische und tragfähige Orte für Kunst zu schaffen und zu sichern. Dafür braucht es aber auch die richtige Unterstützung. Ebenso wie passgenaue und flexible Finanzierungs- und Betriebsmodelle, den politischen Willen und den Drive von der Straße. Derzeit versuche ich zu erreichen, dass im Haushalt 2021/22 Gelder für eine Anschubfinanzierung einer Koordinierungsstelle – der Plattform „ArtCityLab" – eingestellt werden.
Sie fordern auch neue Modelle der Selbsthilfe?
Ja, besonders solche, die langfristig funktionieren, unabhängig von politischen Konstellationen oder von der Konjunktur. Da sind Genossenschaftsmodelle sehr interessant. Es gibt beispielsweise in Charlottenburg-Wilmersdorf eine Atelierhausgenossenschaft, die hat 2017 ein Haus gekauft und ausgebaut. Ist sicher nicht für jeden machbar, aber für sie hat es gepasst.
Wir müssen Künstlerinitiativen dabei unterstützen, sich selbst Räume zu schaffen und ihnen bei Bedarf finanziell unter die Arme greifen, zum Beispiel mit einem Baukostenzuschuss. Seit April dieses Jahres gibt es ein Bürgschaftsprogramm vom Land für solche Gruppen, bislang aber hat das noch keiner in Anspruch genommen.
Kooperieren Sie auch mit Wohnungsbaugesellschaften und anderen kommunalen Eigentümern?
Sicher, denn viele von ihnen verfügen über sogenannte Restflächen. Darüber wird viel spekuliert, weil das nicht transparent ist. Hilfreich wäre natürlich ein Überblick, welche Art von Flächen wo vorhanden sind, dann kann man geeignete Projekte entwickeln. Zum Beispiel ein Atelierhaus. Eine Künstlerinnengruppe hatte ihr Atelierhaus in Kreuzberg verloren. Der Bezirk Neukölln schlug vor, ein neues Gebäude auf einem entwidmeten Friedhof zu bauen. Mit einer Wohnungsbaugesellschaft sind wir jetzt im Gespräch, wie man das umsetzen kann.
Sie haben gerade die Bezirke erwähnt, wie funktioniert da die Zusammenarbeit?
Die Bezirke sind wichtige Partner bei der Schaffung von Atelierräumen, insbesondere bei der Genehmigung vor Ort, beim Finden von Flächen et cetera.
Wichtig ist aber auch immer, dass es aktive Künstlergruppen gibt, die sich im Bezirk vernetzen, sichtbar werden und Konzepte entwickeln. Das betrifft derzeit beispielsweise die Treptow-Ateliers. 35 Künstler stehen dort demnächst auf der Straße. Der Bezirk hilft tatkräftig, eine Alternative zu finden. Das ist aber nicht überall so.
Alle wollen in die Innenstadtbezirke. Wie sieht es am Stadtrand aus?
Wir haben einen Kunstcampus Außenstadt vorgeschlagen, ein neues Quartier außerhalb des S-Bahnrings. Um so etwas zu entwickeln, braucht es professionelle Partner und auch einen dezidierten politischen Willen.