Für viele Menschen außerhalb der EU ist Europa wie das gelobte Land. Sie erwarten daher eine stärkere Rolle von ihr in der Welt. Hans Beitz, Geschäftsführer der Asko Europa-Stiftung, sieht sie dabei mit den Zielen der deutschen Ratspräsidentschaft auf einem richtigen Weg.
Herr Beitz, die Arbeit einer Stiftung wird oft sehr stark mit Wissenschaft in Verbindung gebracht. Ist das ein Vorurteil?
Absolut. Stiftungen sehen sich als Teil der Zivilgesellschaft und sind in der Regel dafür da, sich gemeinnützig für die Gesellschaft einzusetzen. Natürlich arbeiten wir auch mit der Wissenschaft zusammen, aber das ist eben nur ein Teilausschnitt unserer Arbeit.
Schwerpunktmäßig – aber nicht ausschließlich – stehen für uns in der Asko Europa-Stiftung junge Menschen wie Schüler, Studenten und Auszubildende im Fokus unserer Arbeit. Das liegt daran, dass die junge Generation einen anderen Zugang zu Europa hat. Europa wird heutzutage nicht mehr nur als Friedensprojekt wahrgenommen. Mit dieser Argumentation kommen wir bei der jungen Zielgruppe nicht weiter. Vielmehr ist sie an einem persönlichen Mehrwert interessiert. Was kann mir das Projekt Europa persönlich bieten? Deshalb geht es uns darum, Begegnungen zu ermöglichen, insbesondere von Schülern und Studenten, aber auch Arbeitsmöglichkeiten innerhalb Europas aufzuzeigen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Damit können wir die jungen Menschen nicht nur mit dem europäischen Gedanken „infiltrieren" und Europa erlebbar machen, sondern durch internationale Maßnahmen auch außerhalb unseres Kontinents „Freunde Europas" aufbauen. Diese sind später häufig Entscheidungsträger in Politik oder Wirtschaft und unterstützen unsere Netzwerke von dort aus.
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Natürlich. Einige unserer ehemaligen Projektteilnehmer, beispielsweise auch aus Amerika, arbeiten mittlerweile in Thinktanks in Washington, D.C., und nutzen Kontakte, die während der Seminare in der Europäischen Akademie Otzenhausen geknüpft worden sind, um ihre Forschung zum Thema Europa voranzutreiben.
Erwähnenswert ist zudem der südkoreanische Politiker Song Young-Moo, der von 2017 bis 2018 Verteidigungsminister war. Im Jahr 2016 nahm er an einem Seminar zum europäischen Integrationsprozess in Otzenhausen teil. Ein Jahr später fragte er in seiner Funktion als Verteidigungsminister bei uns an, ob er eine Gruppe von Multiplikatoren aus dem militärischen Bereich zu uns schicken kann, um Themen wie die europäische Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Zusammenarbeit in der Grenz-Großregion zu erlernen. Dieser Austausch hat beispielweise hervorragend geklappt.
Ein weiteres Beispiel ist eine Professorin aus der staatlichen Universität in St. Petersburg. Um sie nicht zu gefährden möchte ich den Namen nicht nennen (Name der Redaktion bekannt). So wie Song Young-Moo nahm auch sie an Seminaren in Otzenhausen teil und lernte, was Nichtregierungsorganisationen –
die NGOs – bewirken können. Nach ihrer Rückkehr nach St. Petersburg begann sie sich verstärkt in NGOs zu engagieren und für mehr Demokratie zu kämpfen. Dafür wurde sie auch schon einige Male bei Demonstrationen verhaftet. Sie ist bereit, für diese Werte, für die auch Europa einsteht, persönliche Risiken auf sich zu nehmen. Das hat mich nachhaltig sehr beeindruckt.
Können Sie als Stiftung in solchen Fällen auch helfen?
Wir können tatsächlich mit unseren Netzwerken helfen. Wir arbeiten beispielweise mit Vertretern deutscher Organisationen in St. Petersburg zusammen. Sei es der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), der eine Außenstelle in St. Petersburg hat, oder die Konrad-Adenauer-Stiftung, mit der wir sehr eng zusammenarbeiten. Wir können über diese Stellen einwirken und damit Dinge auch voranbringen – auch wenn man zugeben muss, dass man gerade in Russland sehr schnell als sogenannter „ausländischer Agent" definiert wird, was uns die Zusammenarbeit dort zunehmend erschwert.
Wie stellen sich Ihre jungen Teilnehmer aus Nicht-EU-Staaten Europa eigentlich vor? Ist es das gelobte Land?
Auf der einen Seite nehmen die jungen Menschen Europa tatsächlich als „First World" wahr. Dabei wird dieser Erste-Welt-Gedanke sehr positiv konnotiert. Für diese jungen Menschen steht Europa für Errungenschaften und Werte wie Freiheit und Demokratie. Insbesondere Menschenrechte spielen hierbei eine große Rolle. Aber auch das Thema Gleichberechtigung von Frauen und die Möglichkeiten für junge Frauen, sich in Politik sowie Verwaltung und damit auf unterschiedlichen Karriereebenen voranzubringen, stößt auf großes Interesse seitens unserer Teilnehmer. Wenn man sie mit Abgeordneten aus dem saarländischen Landtag, dem Bundestag oder dem EU-Parlament zusammenbringt, entsteht oft ein Aha-Effekt. Dann stellen sie sich auch häufig die Frage, warum hier bei uns Dinge möglich sind, die in ihrem Heimatland große Probleme nach sich ziehen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Gibt es auch Kritikpunkte?
Ja – vor allem, nachdem sich die jungen Menschen im Laufe ihres Aufenthalts bei uns etwas mehr mit Europa und ihren Strukturen auseinandergesetzt haben. Uns wird oft reflektiert, dass Europa wirtschaftlich zwar stark sei, politisch dagegen aber ein Zwerg. Weil wir als eine Union agieren, die zwar sehr gewichtig ist und ihre Werte international durchsetzen könnte, aber nicht dazu in der Lage ist, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen. Warum leistet man sich beispielweise 27 verschiedene Armeen statt einer europäischen? Warum gibt es so viele unterschiedliche Bildungssysteme innerhalb der EU? Das sind alles Fragen, mit denen wir im Zuge unserer Seminare konfrontiert werden. Unsere Teilnehmer sind der Meinung, dass die EU mehr zu einer „Hard Power" werden und nicht weiter als Soft Power agieren sollte. Diese Rückmeldung gibt uns natürlich zu denken.
Denken Sie, dass diese Themen mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mehr in den Vordergrund rücken werden?
Die Themen, die sich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft für das nächste halbe Jahr vorgenommen hat, lassen sich zu fünf wesentlichen Zielen zusammenfassen: Überwindung der Corona-Krise, ein energiesicheres Europa, ein Europa der Sicherheit, ein solidarisches Europa und ein starkes Europa in der Welt. Daher würde ich sagen, dass die von unseren Teilnehmern angesprochenen Themen wie eine echte gemeinsame Außenpolitik oder die stärkere Sichtbarkeit der EU sich auch tatsächlich in den Zielen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft widerspiegeln. Meiner Meinung nach sind das insgesamt betrachtet aktuell die wichtigsten Herausforderungen der EU. Auch wenn dieses Paket mit Hinblick auf die kurze Dauer der Ratspräsidentschaft sehr ambitioniert wirkt, es ist ohne Alternative.
Hatte die Corona-Krise Ihrer Meinung nach auch den Europa-Gedanken beeinflusst? Ist während der Pandemie vielleicht etwas auf der Strecke geblieben?
Europa lebt von der Solidarität. Bedauerlicherweise haben wir insbesondere hier in der Grenzregion erleben müssen, dass dieser Aspekt seit Mitte März tatsächlich gelitten hat und durch die coronabedingte Grenzschließung infrage gestellt worden ist.
Wir sehen aber jetzt, dass der Solidaritätsgedanke wieder stärker im Vordergrund steht. Das Tandem Merkel und Macron ist in letzter Zeit wesentlich präsenter als die EU-Kommission mit Ursula von der Leyen als Präsidentin. Die Musik spielt momentan bei den Mitgliedstaaten und weniger in Brüssel. Aber gerade die Länder scheinen erkannt zu haben, wie wichtig das Thema Solidarität ist. Es ist klar, dass wir den Ländern, die sehr stark von der Krise betroffen sind, helfen müssen, insbesondere Italien und Spanien. Das erfordert Europa, wenn es nachhaltig aufgestellt sein will.