Dem deutschen Handwerk geht es den Umständen entsprechend, könnte man konstatieren: Die Herbstberichte der Kammern zeichnen ein verhalten positives Bild. Doch die Auswirkungen der Pandemie bremsen den Aufschwung.
Warm anziehen müsse sich die deutsche Wirtschaft ist derzeit fast überall zu hören und zu lesen. Doch das gelte nur bedingt für das gesamte Handwerk, betont Bernd Reis, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer des Saarlandes (HWK). Er stellte gemeinsam mit HWK-Präsident Bernd Wegner die Ergebnisse der jüngsten Herbstkonjunkturumfrage unter rund 1.500 Betrieben unterschiedlicher Gewerke vor. Inzwischen bewege sich die Geschäftslage im Handwerk insgesamt wieder auf dem Niveau von vor der Corona-Pandemie. 94 Prozent der befragten Unternehmen beurteilen ihre Lage mit gut oder befriedigend. Und auch bei der Entwicklung der Beschäftigung geht die HWK derzeit noch von einer stabilen Lage aus. Die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Monate habe die Einstellungsbereitschaft der Betriebe sogar leicht verstärkt.
Keine unbeschwerte Zukunft
Diese Befunde ziehen sich durch die Konjunkturberichte der Handwerkskammern in ganz Deutschland. Dennoch kann von einer unbeschwerten Zukunft keine Rede sein. Obwohl die Auftragsbücher voll sind, die Konjunktur im Handwerk deutlich an Fahrt gewinnt, die Umsätze zulegen und die Nachfrage nach Handwerkerleistungen steigt, treiben die Risikofaktoren den Betrieben immer mehr Sorgenfalten auf die Stirn. Die Materialengpässe wegen der angespannten Lieferketten und der sprunghaft gestiegenen Nachfrage weltweit allen voran bei Kunststoffen, Metallen, Holz und Elektrokomponenten sorgen für Verzögerungen bei der Auftragsabwicklung und für Preissteigerungen. Über 70 Prozent der Handwerksunternehmen seien inzwischen betroffen, erklärt Dr. Christian Seltsam von der Saar-Handwerkskammer die Ergebnisse einer Online-Sonderumfrage im Bundesland. Rund 90 Prozent der befragten Betriebe gaben an, dass sie Aufträge verschieben oder sogar stornieren müssten. Dass Preissprünge Aufträge sogar unrentabel machen, sagen mehr als die Hälfte der Unternehmen.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Denn ob die steigenden Energiepreise eins zu eins an die Kunden weitergegeben werden könnten, stehe in den Sternen, so HWK-Präsident Bernd Wegner. Hier sei dringender Handlungsbedarf seitens der Politik gefragt, zumal die grenznahen Unternehmen hierzulande gegenüber Frankreich und dessen billigem Atomstrom in puncto Energiepreise klare Wettbewerbsnachteile hätten.
Dann der Faktor Zeit: Inzwischen gebe es bereits Wartezeiten am Bau von über drei Monaten und mehr. Dies führe zu erheblichen Verzögerungen bei nachfolgenden Gewerken und könnte zunehmend mehr Auftragsverluste zur Folge haben, mit allen Risiken für Betriebe und Beschäftigte. Ein Teufelskreis, der eine Abwärtsspirale für zahlreiche Gewerke in Gang setzen könnte.
Hinzu kommen weitere Risikofaktoren wie die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens und die Fachkräfteversorgung für die derzeit noch rund laufende Konjunktur im saarländischen Handwerk. Neben den Materialknappheiten suchen viele Betriebe des Saar-Handwerks händeringend nach Auszubildenden und qualifizierten Fachkräften. „Das zusammen sind wesentliche Gründe, weshalb die vollen Auftragsbücher nicht so schnell abgearbeitet werden können wie es eigentlich gewünscht ist", so Bernd Reis.
Es gebe allein 400 bis 500 offene Ausbildungsstellen, die mangels Nachfrage nicht besetzt werden können. „Die Corona-Pandemie hat die Suche nach neuen Azubis zusätzlich erschwert, da viele Veranstaltungen nur online durchgeführt werden durften", so Bernd Reis. Die Erlebbarkeit des Handwerks, was es im Stande sei zu leisten, bleibe da einfach auf der Strecke. Die Anforderungen an die Azubis hätten zudem deutlich zugelegt. Auf der anderen Seite müssten aber auch die Unternehmen viel offensiver werden, quasi neue Wege gehen, und die Attraktivität eines Ausbildungsberufs samt Karrierechancen deutlicher machen, um junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Anwerbeversuche junger Azubis aus Frankreich für saarländische Handwerksbetriebe sind in der Vergangenheit nur begrenzt erfolgreich verlaufen. Derzeit befinden sich laut Angaben der HWK knapp 40 französische Azubis mit Wohnsitz in Frankreich in Ausbildung in saarländischen Handwerksbetrieben. Neben den üblichen sprachlichen, infrastrukturellen und administrativen Problemen geht die Nachfrage seitens der Franzosen außerdem spürbar zurück, da in Frankreich selbst eine groß angelegte Initiative zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit in diesem Jahr gestartet wurde.
Steuerrechtliche Aufgaben für Bundesregierung
Ein anderes Problem sieht die Handwerkskammer in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf viele Betriebe zukommen: Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger als Firmenchef. Rund 2.000 Betriebe werden in den nächsten Jahren im Saarland betroffen sein, schätzt die HWK. Es dürfte auch zu Verschiebungen kommen, wie Aufkauf von Betrieben oder Gründung von Filialen seitens der Großbetriebe. Hier soll in nächster Zeit eine detaillierte Analyse mit belastbaren Zahlen durchgeführt werden. Die HWK macht sich deshalb stark für die unternehmerische Selbstständigkeit und verweist auf die Karrieremöglichkeiten. „Mit der Gründung eines eigenen Betriebs eröffnet sich für Jungunternehmer ein breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten. Hier stehen wir allen Gründungsinteressierten mit Beratung zur Seite", wirbt Bernd Wegner. Positive Beispiele dafür gibt es: zum Beispiel Tischlermeister Hannes Seidel. Er hat Anfang des Jahres die Geschäftsführung der alteingesessenen Schreinerei Hodapp übernommen. Der erst 27-jährige Seidel beschäftigt nun 27 Mitarbeiter und fühlt sich in der Rolle mit neuer Verantwortung gut angekommen. „Entscheidungsfreudigkeit, Flexibilität und Teamfähigkeit" seien Tugenden ganz unabhängig vom Alter, die an der Spitze eines Betriebs mehr denn je gefragt seien.
Gefragt sind außerdem Konzepte für eine tragfähige Zukunft. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, plädiert hier vor allem für steuerliche Reformen. „Das lässt sich beispielsweise erreichen, indem die Abschreibungsbedingungen – besonders für Investitionen in den Klimaschutz und den digitalen Wandel – oder aber auch die Möglichkeiten zur Verlustverrechnung verbessert werden", so Schwannecke. Dies aber wird Aufgabe der neuen Bundesregierung.