Nach der Homeoffice-Pflicht arbeiten viele Menschen wieder vor Ort. Welche Vorteile das mit sich bringt und wie man sich selbst motiviert, erklärt der Psychologe Florian Becker, Chef der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft.
Professor Becker, durch Corona galt für viele Arbeitnehmer bis vor Kurzem die Homeoffice-Pflicht. Sind wir jetzt wieder bei der Büropflicht angelangt?
Für viele ist es erst mal eine erwünschte und angenehme Abwechslung. Man kriegt aber irgendwann auch eine Art Koller im Homeoffice. Vielleicht freut man sich am Anfang, wenn man ständig zu Hause ist. Auf der anderen Seite vermissen viele Mitarbeiter das Büro. Homeoffice ist nicht reibungslos oder störungsfrei. Das kann im Einzelfall sein, dass jemand zu Hause gar nicht das geeignete Umfeld hat, sei es technisch oder sozial. Zudem ist es so, dass das Homeoffice an sich auch ganz andere Anforderungen stellt an Selbststeuerung, Disziplin und Struktur, auch an den Umgang mit Ablenkungen.
Viele Menschen arbeiten auch, weil sie sich im Team gut fühlen und dort so eine Art Heimat haben. Im Büro hat man Smalltalks. Diese Kommunikation zwischen Tür und Angel – zum Beispiel in der Teeküche – ist wichtig, um Beziehungen zu pflegen, um wichtige Informationen auszutauschen. Das heißt, im Homeoffice ist es typischerweise so, dass Vertrauen, Bindung, Teamgeist leiden. Auch die Einarbeitung und psychologische Einbindung neuer Mitarbeiter hat darunter gelitten. Es gibt Studien, die zeigen, dass bei dieser virtuellen Zusammenarbeit die Kommunikation verzögert und schlechter ist, dass Missverständnisse schneller auftreten, mehr Konflikte entstehen und länger andauern. Das Homeoffice hat also nicht nur Vorteile. Klar, Reisezeiten entfallen. Auch für die Arbeitgeber gibt es natürlich Vorteile: Du kannst dir Büroflächen sparen, du kannst die besten Talente zum besten Preis weltweit in virtuelle Teams einkaufen. Trotzdem ist es dann am Ende so, dass eben auch viele Nachteile im Spiel sind, die wir dort finden. Wenn wir ehrlich sind, ist die Produktivität im Homeoffice auch nicht das, was sich die Unternehmen gewünscht haben. Wir beobachten auch, dass einige Mitarbeiter sich entfremden. Da wird das Haus renoviert, der Garten gemacht, und die Arbeit wird psychologisch immer weiter entfernt. Nicht jede Führungskraft hat das gut geschafft, die Beziehungen zu pflegen und den Teamgeist in die digitale Arbeitswelt rüberzuholen. Insofern denke ich, viele werden tatsächlich mit Freude wieder in den normalen Arbeitsmodus wechseln.
Was ist mit denjenigen, die sich sehr an die Arbeit im Homeoffice gewöhnt haben und jetzt weniger motiviert sind, zur Präsenzarbeit zurückzukehren?

Es ist sehr gut möglich, dass Menschen sich gewöhnt haben an bestimmte Kontexte. Trotzdem haben sie auch ein Bedürfnis nach Abwechslung. Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft stark das hybride Modell finden werden. Dann gibt es geteilte Arbeitsplätze, da arbeitet beispielsweise jemand zwei Tage im Büro und jemand anders auch wieder zwei Tage. Da sind Mitarbeiter mehrere Tage remote im Homeoffice. Und es gibt ein paar Tage, an denen man sich im Büro sieht, um die Vorteile davon zu nutzen. Beispielsweise um spontan ein Problem zu lösen oder überhaupt ein Problem festzustellen, um Vertrauen und Beziehungen aufzubauen, um Themen anzusprechen, die man nicht einfach so auf Distanz anspricht. Aber warum brauchst du die Präsenz fünfmal die Woche den ganzen Tag? Der Trend zu virtueller Arbeit, zu Führung auf Distanz wird weitergehen. Bei allem Schrecklichen, was diese Pandemie mit sich gebracht hat, hat sie uns, wenn wir nach zehn Jahren irgendwann mal draufschauen, auch sehr viele positive Impulse gegeben. Tatsächlich wird das Arbeitsleben von vielen Menschen unterm Strich als positiver, erfreulicher und besser vereinbar mit dem Privatleben empfunden. Auch für die Unternehmen ist es ein Gewinn, weil sie von vielen Kostenbeschränkungen wegkommen. Vielleicht ist es auch für die Umwelt ein großer Gewinn. Dieses Hin- und Herpendeln zum Arbeitsplatz, das ist viel Energieverschwendung. Das sind Kosten in jeder Hinsicht, auch ökologisch, nicht nur ökonomisch. In Asien gibt es dieses Ying-Yang-Symbol: Das Schwarze hat immer auch etwas Weißes, und das Weiße hat etwas Schwarzes. In allem, was erst mal schwarz und schlecht aussieht, wie zum Beispiel in der Corona-Pandemie, steckt auch etwas Weißes, etwas Positives. Die positiven Impulse werden wir erst in einigen Jahren zu schätzen wissen.
Also wäre das hybride Modell eine Möglichkeit für unmotivierte Mitarbeiter?
Unmotivierte Mitarbeiter sind generell ein Problem, die machen zu Hause oft noch weniger. Wenig motivierte Mitarbeiter sind aber auch am Arbeitsplatz ein Störfaktor. Wenn du in deinem Umfeld Menschen hast, die antriebslos sind, die vielleicht auch Unzufriedenheit ausstrahlen, steckt das andere an. Das heißt, wenn du im Umkehrschluss mit jemandem zu tun hast, der gut gelaunt und motiviert ist und positive Energie ausstrahlt, wirst du nach einer Weile auch gut gelaunt sein und fühlst dich besser. Emotionen sind ansteckend, das wissen viele nicht. Menschen, die nicht so motiviert sind, können sich am Arbeitsplatz nicht so rausnehmen, weil sie durch die Gruppendynamik mitgerissen werden. Wenn sie zu Hause sind, dann fehlt ihnen diese äußere Struktur und sie machen noch weniger. Dafür bremsen sie aber auch die anderen nicht mehr so. Du hast eigentlich nur Nachteile mit solchen Mitarbeitern. Daher sollte man früher ansetzen, nämlich beim Thema Mitarbeiterauswahl und Mitarbeitermotivation und das nicht am Homeoffice oder an Präsenzarbeit festmachen.
Viele haben sich an das Arbeiten im Homeoffice gewöhnt. Wie kommt man aus dieser Gewohnheit, aus dieser Komfortzone wieder raus?
Das ist die Frage: Hat jemand tatsächlich zu Hause fast nichts gemacht? Ich würde das als absolute Ausnahme sehen. Wenn eine Führungskraft es tatsächlich zugelassen hat, dass Mitarbeiter zu Hause sich jetzt monatelang angewöhnt haben, nichts zu tun, dann ist schon vorher etwas ganz falsch gelaufen. Wenn Menschen sich einen gewissen Müßiggang und eine Disziplinlosigkeit angewöhnt haben, ist es für sie dann natürlich schwer, wieder zu sagen: So, jetzt stehe ich früher auf, jetzt gehe ich ins Office, jetzt gebe ich Vollgas. Es ist in der Verantwortung jedes Menschen, sich nicht gehen zu lassen. Da sind wir bei einem sehr spannenden psychologischen Thema, dem der Selbstregulation. Das ist tatsächlich sehr wichtig im Leben, dass du in der Lage bist, augenblicklich Impulse und Bedürfnisse zu beherrschen, weil du weißt, dass sie in Konflikt mit mittel- bis langfristigen Zielen stehen. Du hast zum Beispiel keine Lust, jetzt zu lernen, tust es aber trotzdem, damit du in einer Woche eine gute Note hast. In unserer Gesellschaft brauchst du diese sogenannte Selbstregulation, um erfolgreich zu sein. Sie macht beispielsweise etwa ein Drittel des Bildungserfolges aus. Im Berufsleben ist sie ebenso wichtig.
Gibt es Strategien für eine bessere Selbstregulation?
Natürlich. Das hat mit Ernährung, mit Bewegung, mit vernünftigen Gewohnheiten, mit Wach- und Schlafverhalten zu tun. Die Selbstregulation ist wie ein Muskel, den du trainieren kannst. Wir sind mittlerweile eine Gesellschaft, in der du jeden Wunsch auf Knopfdruck bewilligt bekommst, irgendwas Süßes oder Fettiges zu essen, eine tolle Unterhaltung oder auch Erfolg – etwa bei einem Computerspiel. Das klingt jetzt etwas unzeitgemäß, aber aus meiner Sicht sollte man als Mensch zunehmend lernen, Nein zu sich selbst zu sagen. Nein zu bestimmten Angeboten, Nein zu bestimmten ungesunden Möglichkeiten. Nehmen wir mal ein Beispiel: Du hast keine Freunde, keine sozialen Kontakte, und es ist anstrengend und schwierig, Leute kennenzulernen. Dann schaltest du den Fernseher an, schaust Serien, und es sind deine Freunde. Das ist nicht nachhaltig. Du kannst stattdessen trainieren, Nein zu bestimmten Gewohnheiten sagen, genauso, wie du zu deinem Körper sagen kannst: Beweg dich.