Laut saarländischer IHK steigt die Zahl fehlender Fachkräfte auch im Einzelhandel. Jens Berger, Personalchef, und Leon Elias Winkler, Azubi im Einzelhandelsunternehmen Globus, über mögliche Auswege und wie ein Unternehmen dem Wandel begegnet.
Herr Berger, 40 Prozent der saarländischen Betriebe müssen Aufträge wegen des Fachkräftemangels ablehnen, sagt eine aktuelle IHK-Studie. Wie beeinflusst dieser Fachkräftemangel den Arbeitsalltag?
Jens Berger: Die Struktur von Globus mit Gastronomie, Eigenproduktion, Verkauf, Verwaltung bedingt, dass wir in den verschiedensten Unternehmensbereichen suchen, unter anderem auch Handwerkerinnen und Handwerker. Wir haben die Herausforderung, unsere Serviceleistungen für unsere Kunden aufrechtzuerhalten. Wenn es aber zum Beispiel in der Gastronomie von einzelnen Markthallen zu Mitarbeiterausfällen kommt, müssen wir die Öffnungszeiten anpassen.
Leon E. Winkler: Wir spüren im Arbeitsalltag, wenn Menschen fehlen. Wir müssen das als Gemeinschaft auffangen. In meinem Haus kam es aber noch zu keiner Anpassung der Öffnungszeiten.
Berger: Die Tatsache, dass heute mehr Menschen in Rente gehen als vor zehn Jahren und weniger nachrücken, führt dazu, dass wir insgesamt weniger Hände für die zu leistende Arbeit zur Verfügung haben. Ich bin immer wieder überrascht, dass uns das heute so überrascht … Aber es wäre seit Jahren statistisch absehbar gewesen. Menschen gehen heute zum Teil früher, das heißt vor dem 67. Lebensjahr, in Rente. Und die neue Arbeits- Generation, die während der Pandemie ihren Abschluss gemacht hat, braucht etwas mehr Zeit, um sich zu orientieren und ihren Arbeitsplatz zu finden. Die Folge ist eine Lücke, die wir derzeit gesellschaftlich, aber auch bei Globus noch nicht schließen können.
Was sagen die Kunden dazu?
Berger: Unsere Kunden kommen wegen der Vielfalt und dem Erlebnis beim Einkaufen. Wir bieten Ware vom Einstiegssegment bis hin zu unseren täglich frisch zubereiteten Eigenproduktionen aus der Meisterbäckerei, Fachmetzgerei, Käse- und Fischtheke und mehr. Unsere Kunden wissen die Handarbeit und lokalen Besonderheiten zu schätzen und wünschen sich die bisherigen Öffnungs- und Bedienzeiten, damit sie zu jeder Zeit das gleiche Angebot vorfinden, wenn sie einkaufen kommen. Wenn die Kunden nun lange im Auto sitzen, um dieses Besondere vorzufinden, aber die Fischtheke nicht mehr besetzt ist, niemand mehr sie beim Kauf berät, überlegen sie sich, ob sie das nächste Mal wiederkommen.
Mit wem konkurrieren Sie um Fachkräfte?
Berger: Nicht mehr mit Discountern, sondern mit Großunternehmen wie Ford, ZF, der Kommune. Das Berufsbild des Einzelhandels ist in der Wertschätzung der Gesellschaft nicht auf Platz eins.
Herr Winkler, warum haben Sie sich für Globus entschieden?
Winkler: Mein Vater ist gelernter Koch. Mit ihm habe ich daher immer viel an und mit Fleisch gearbeitet. Das fand ich interessant und habe mich informiert, wo ich in meiner Umgebung diese Arbeit als Beruf erlernen kann. Auch bei Globus habe ich nachgefragt. Dort wurde ich direkt angenommen. Das Praktikum ist gut gelaufen, also habe ich nach der Schulausbildung dort angefangen.
Hat das Image denn eine Rolle gespielt?
Winkler: Es gab natürlich noch kleinere Metzgereien in meiner Umgebung. Die fand ich jedoch weniger interessant. Ich wollte in einem größeren Betrieb arbeiten, der mir die Möglichkeit zur Entwicklung und Zukunft in meinem Handwerk bietet.
Wie war die Umstellung von Schule auf Ausbildung?
Winkler: Ich hatte keine Lust, die Schule weiterzumachen. Deshalb ist mir die Umstellung leicht gefallen, das ging alles sehr reibungslos. Nach dem Praktikum wollte ich sofort einsteigen, aber Globus meinte, ich sollte noch den Mittleren Bildungsabschluss nach der 11. Klasse machen. Das habe ich dann auch gemacht. Jetzt bin ich seit 2021 in der Ausbildung und mittlerweile im dritten Lehrjahr. Die Lehre mache ich zu Ende, die Meisterprüfung ist eine Option danach, denn der Meister ist schon attraktiv. Dafür gibt es auch finanzielle Zuschüsse vom Unternehmen.
Berger: Finanzielle Unterstützung für eine Weiterbildung gibt es auch, um die Menschen zu halten. Wir arbeiten hier eng mit der Industrie- und Handelskammer zusammen und bieten Expertenschulungen an, sprich um bei einem Thema auch in die Tiefe einzusteigen, zum Beispiel eine Sommelier-Ausbildung. Indem wir in Menschen investieren, machen wir uns für Kunden attraktiv. Wir haben in den letzten Jahren kulturell viel getan, nun geht es vor allem um Führung und Weiterbildung. Das Gehalt ist in unserer Branche natürlich wichtig, aber eben auch die fachliche und persönliche Weiterentwicklung. Denn nicht nur die Branche verändert sich, auch der Kunde und der Mitarbeitende, und dies recht schnell.
Nun spielt der Einzelhandel zunehmend mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, zum Beispiel mit Kassen ohne Personal. Inwieweit beeinflusst dieses Thema die Mitarbeitersuche?
Berger: Branchen, die auf menschlichen Beziehungen aufbauen, haben sich hier lange zurückgehalten. Unser Anspruch ist es, dass wir unseren Kunden ein umfängliches Einkaufserlebnis bieten können, trotz des Kräftemangels. Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen machen ja Hände frei, die sich dann um unsere Kunden kümmern können. An der Frage, ob die Digitalisierung Tausende Arbeitskräfte überflüssig macht, sind wir lange vorbei. Nein, tut sie nicht, sie entlastet, damit Menschen wieder mit Menschen kommunizieren und Arbeiten verrichten können, die notwendig sind. Das fängt in der Logistik an, geht weiter bei der Verteilung bis zur Kasse. Dabei müssen wir aber auch den Mitarbeitenden deutlich machen, was der Sinn der Digitalisierungsmaßnahme im Unternehmen ist: eben nicht das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen, sondern von Arbeit, um die Arbeitskraft von Mitarbeitenden woanders und besser einzusetzen. Wir brauchen also Digitalisierung, um den Standard von heute überhaupt aufrechtzuerhalten.
Schauen Sie zur Mitarbeitergewinnung auch ins Ausland?
Berger: Ja, müssen wir. Nur regional in der Nähe des Marktes zu schauen, reicht nicht immer aus. Besonders für unsere Fachmetzgerei und Meisterbäckerei ist es schwer, neue Mitarbeitende zu finden. An manchen Standorten gelingt es uns noch sehr gut, wo es nicht funktioniert, schauen wir natürlich auch ins Ausland. Das haben wir bereits getestet, wollen aber keine Agenturen zwischenschalten, sondern selbst mit örtlichen Vereinen oder ähnlichem zusammenarbeiten. Wichtig ist uns hier besonders die Integration der neuen Mitarbeitenden, vor allem unter gesellschaftspolitischen und sozialen Aspekten. Das gebietet unsere soziale Verantwortung, die nicht bei Schichtbeginn anfängt und bei Schichtende endet.
Welche Rolle spielt die Weiterentwicklung der Führung?
Berger: Menschen arbeiten für Menschen, und Menschen verlassen Unternehmen auch wegen Menschen. Hier müssen wir schauen, dass wir unsere Führungskräfte befähigen, drei Generationen unter einem Dach zu führen. Die Generationsunterschiede sind zu berücksichtigen, und zwar so individuell wie nötig. Ein Satz einer Führungskraft kann bei einem Mitarbeitenden so ankommen und beim anderen Mitarbeitenden aufgrund seiner Sozialisierung anders. Insgesamt müssen wir wieder lernen, zwischen den Generationen zu kommunizieren.
Welche Prozesse gibt es im Unternehmen, die auf Unternehmenskultur und mögliche Veränderungen abzielen, um Mitarbeiter anzuwerben?
Berger: Wir sind in der gleichen Situation wie viele andere: Erstmals arbeiten drei Generationen unter einem Dach. Das Stammpersonal wird mit dem Unternehmen älter. Nun ist die Kultur jene des Einforderns von Ideen, von Mitdenken, von Loyalität zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden, ein Geben und Nehmen. Diese Kultur ist stark ausgeprägt in der Generation 50 plus, die schon lange im Unternehmen arbeitet. Hier ist die Fluktuation der Arbeitskräfte auch geringer als bei jüngeren. Die größte Herausforderung ist es also, Menschen wie Leon Winkler bei uns zu behalten. Diejenigen, die länger als vier Jahre im Unternehmen arbeiten, bleiben mit großer Wahrscheinlichkeit auch länger als 20 Jahre im Unternehmen. Die Kultur, die Thomas Bruch mit Leben gefüllt hat, hat zu einer so hohen Zahl an langjährigem Stammpersonal geführt. Diese Kultur müssen wir also weiterentwickeln und uns fragen: Was braucht die junge Generation heute? Und was braucht das langjährige Stammpersonal? Diese Fragen weisen sehr unterschiedliche Antworten auf. Aber erst einmal brauchen wir mehr Hände. Wir bekommen sehr selten gut ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker für unsere Gewerke in der Fachmetzgerei oder der Meisterbäckerei. Deshalb bilden wir selbst Metzger aus und überlegen, ob wir auch in der Meisterbäckerei ausbilden können. Oder ob wir Quereinsteiger ausbilden können? Können wir unser Employer Branding ausweiten, also unsere langjährigen Mitarbeitenden dazu bringen, für uns neue Arbeitskräfte zu werben? Diese Fragen stellen sich gerade.
Welche Veränderungen sind also konkret nötig?
Berger: Globus habe ich als sehr demütiges Unternehmen kennengelernt. Das heißt, es läuft sehr viel innerhalb des Unternehmens ab, das außerhalb kaum wahrgenommen wird. Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit, solche Werte werden hochgehalten. Heute sind jedoch die Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen, die Jobs vielfältiger. Das heißt, wir brauchen mehr Sichtbarkeit. Zum Beispiel, indem wir eine Initiative starten, um Mitarbeitende in den sozialen Medien zu promoten. Tiktok beispielsweise könnte eine solche Plattform sein. Denn dort sind unsere zukünftigen Kolleginnen und Kollegen unterwegs. Wir dürfen aber nicht dabei stehen bleiben, zu fragen, wie wir die Ansprache gestalten, sondern wir müssen auch unsere Arbeitszeitmodelle stärker nach außen tragen, Urlaubsgeld, Sonderzahlungen, Weihnachtsgeld und eine betriebliche Altersversorgung. Der Einzelhandel ist nicht mehr das Geschäft mit den sechs Tagen Arbeit pro Woche, aber die Außenwahrnehmung ist noch immer so. Grundsätzlich ist jedes Arbeitszeitmodell zwischen vier und 40 Stunden pro Woche möglich. Wir schaffen es, den möglichen Einsatz so flexibel wie möglich zu platzieren. Auch müssen wir uns fragen, wie eine Vier-Tage-Woche bei uns aussehen könnte. Wie können diejenigen, die schon 40 Jahre im Unternehmen sind, noch die letzten Jahre bis zur Rente verlässlich, gut und gesund arbeiten? Das funktioniert nicht über alle Standorte gleich, es gibt regionale Unterschiede. Auch darauf und das Zusammenspiel zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitenden und älterer und jüngerer Kundschaft müssen wir achten. Hier müssen wir kreativer werden und dafür sorgen, dass das, was wir nach innen und außen kommunizieren, auch im Unternehmen gelebt wird.