Fachkräfte verzweifelt gesucht. Standort und Wohlstand sind daher in Gefahr. Das Saarland sieht sich aber trotz Transformation und Digitalisierung auf einem guten Weg.
Wer sein Auto zur Reparatur abgibt, muss sich auf deutlich längere Wartezeiten einstellen als noch vor ein paar Jahren. Wehe dem, der jetzt schon eine neue Heizung benötigt: Der kann sich bei den Wartezeiten schon mal warm anziehen und das nicht nur wegen Lieferengpässen. Wer mittags gern mal ins Restaurant will, kann durchaus vor verschlossenen Türen stehen, denn es gibt schlicht und ergreifend keinen Service. Dass es im Gesundheitsbereich, in der IT-Branche und im verarbeitenden Gewerbe seit Jahren an qualifizierten Fachkräften mangelt, daran haben wir uns leider schon gewöhnt. Aber mittlerweile gibt es kaum noch eine Branche, die nicht vom drohenden Arbeitskräftemangel betroffen ist. Und das hat fatale Folgen für Wirtschaft und Wohlstand in unserem Land.
Neben all den Krisen kommt der Fachkräftemangel zwar schleichend daher, trifft viele Unternehmen dafür aber umso heftiger. Nach einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit gab es deutschlandweit bereits im vergangenen Jahr über 200 sogenannte Engpass-Berufe nach rund 150 im Jahr 2021. Wesentlicher Grund für den Arbeitskräftemangel ist natürlich der demografische Wandel, es gibt einfach zu wenig Nachwuchs in Deutschland. Aber auch die zunehmende Diskrepanz zwischen Qualifikation und Anforderung im Beruf, ein Bildungssystem, das zu wenig auf die Berufe von morgen vorbereitet, oder die mangelnde Attraktivität vieler Jobs tragen dazu bei, dass Unternehmen ihre Stellen nicht mehr besetzen können.
Nahezu alle Branchen betroffen
Was also tun? Mehr Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland, bessere Integration und Qualifizierung, höhere Frauenerwerbsquote, attraktive Arbeits- und Standortbedingungen, gezielte Förderungen, flexiblere Arbeitsmodelle, freiwillige längere Arbeitszeiten, Vier-Tage-Woche, neue Arbeitsformen, verstärkter Einsatz neuer Technologien. Möglichkeiten gibt es viele, aber die Zeit drängt, denn der Wettbewerb um Talente und qualifizierte Arbeitskräfte ist schon längst in vollem Gang.
Wie geht das Saarland mit dem Fachkräftemangel um? Darüber diskutierten im Juli auf dem „Markt der Möglichkeiten“ in Saarbrücken Vertreter aus Politik, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit sowie Unternehmen des Saarlandes. Eingeladen hatte das saarländische Wirtschaftsministerium. Zudem konnten die Teilnehmer in anschließenden Workshops am Beispiel erfolgreicher Unternehmen lernen, wie diese mit dem Fachkräftemangel umgehen.
Die Politik könne zwar die Rahmenbedingungen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik setzen und durch gezielte Förderprogramme dafür sorgen, dass alle Arbeitswilligen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen, aber Unternehmen müssten auch selbst initiativ werden, betonte Wirtschaftsminister Jürgen Barke.
Dass Unternehmen dem Fachkräftemangel erfolgreich trotzen, zeigt die Karl Schmidt Spedition aus Heilbronn mit Niederlassung im saarländischen Dillingen. Personalleiter Marcus Riecker verwies auf neue Wege beim Recruiting über soziale Netzwerke, einem forcierten Marketing zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und einem professionellen digitalen Bewerbermanagement. Die Spedition, die dringend Lkw-Fahrer braucht, machte gezielte Werbemaßnahmen an Autobahnraststätten, forcierte Aktionen wie „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ und investierte auch in Extras für Mitarbeiter sowie neue Arbeitszeitmodelle. „Die Zeiten mit Anzeigenschaltungen im Print-Bereich großer Tageszeitungen gehören bei uns der Vergangenheit an. Aber jedes Unternehmen muss selbst wissen, wo es potenzielle Bewerber am besten ansprechen kann.“

Für Stella Pazzi, Geschäftsführerin des Saarbrücker Software-Unternehmens für digitales Business Moltomedia, sei es extrem schwierig, qualifizierte Kräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, obwohl die Universität des Saarlandes im IT-Bereich viele geeignete Arbeitskräfte ausbilde. „Die meisten werden von den großen IT-Firmen abgeworben oder die Absolventen bleiben erst gar nicht im Saarland. Kleinere IT-Firmen haben es da naturgemäß schwerer.“ Das Unternehmen mit zurzeit 20 Mitarbeitern könnte aufgrund der Auftragslage gut und gern zehn weitere einstellen. Der Blick ist also auf das Ausland außerhalb der EU gerichtet. Doch überbordende Bürokratie der deutschen Verwaltung wie Beschaffung von Arbeitsgenehmigungen oder Aufenthaltspapieren würden das Anwerben von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern Arbeitgeber und Arbeitnehmer schier verzweifeln lassen. „Wie soll das funktionieren, wenn in einer Ausländerbehörde kaum jemand Englisch spricht und Digitalisierung ein Fremdwort ist?“ Das grenze schon an Behördenversagen. Ein Willkommenscenter als eine Art Servicecenter, in dem alle Anforderungen für Neuankömmlinge erledigt werden könnte, wäre sehr hilfreich.
Katja Hobler, kaufmännische Leiterin von Glöckner Natursteine, sucht zwar nicht im Ausland nach Arbeitskräften, fragt sich aber, wie die bereits hier lebenden Ausländer besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Neben dem Spracherwerb fängt für sie eine Vorbereitung auf den Beruf samt Ausbildung bereits in der Schule an und spricht damit dem Handwerk aus dem Herzen. „Wir müssen zeigen, dass eine gute Ausbildung im Handwerk die bessere Wahl sein kann und durchaus zu Wohlstand mit eigenem Haus führt.“
Die Lösung, dem Fachkräftemangel Herr zu werden, kann zwar nicht einzig und allein darin liegen, sich gegenseitig die Fachkräfte abzuwerben. Denn dann fehlen sie wieder an anderer Stelle und Kannibalismus wäre die Folge. Trotzdem ist ein Standortwettbewerb nicht zu verhindern. „Wir müssen auch die Vorteile des Saarlandes von Arbeiten und Leben viel offensiver vertreten“, forderte VSU-Hauptgeschäftsführer Martin Schlechter. „Wir haben viele gute Jobs und dürfen trotz aller Schwierigkeiten nicht den Eindruck erwecken, wir würden das Saarland abwickeln.“ Einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich wie es Timo Ahr, stellvertretender Vorsitzender des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland forderte, erteilte er schon aus volkswirtschaftlicher Sicht eine deutliche Absage. Bis 2030 fehlen in Deutschland rund drei Millionen Arbeitskräfte durch Verrentung und Pensionierung. Eine Verkürzung der Arbeitszeit um weitere 20 Prozent wäre das völlig falsche Signal, will man den Faktor Arbeit nicht noch weiter beschneiden. Das gefährde den Wohlstand und beschädige nachhaltig den hiesigen Wirtschaftsstandort. „Es gibt dann irgendwann weniger zu verteilen, wenn die Unternehmen nicht mehr produktiv und wettbewerbsfähig sind.“
Drei Millionen Fachkräfte fehlen
Auch wenn die Politik sich aus Tarifauseinandersetzungen und Vereinbarungen der Sozialpartner grundsätzlich heraushält, sieht Jürgen Barke derzeit wenig Spielraum für derartige Arbeitszeitverkürzungen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Im Gegenteil: „Wir haben derzeit rund 395.000 Sozialversicherungsbeschäftigte und wir brauchen in Zukunft weit über 400.000. Denn wir müssen die Modernisierung der Infrastruktur, das Erreichen der Klimaneutralität und die Technologietransfers aus der Wissenschaft mit Beschäftigung finanzieren und nicht mit Transferleistungen.“ Dass das Saarland attraktiv sei, zeigen die Ansiedlungserfolge der letzten zwei Jahre. „Es geht um Qualifikation und um die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften und auf diesem Gebiet steht das Saarland zurzeit gut da. Dieses Momentum müssen wir nutzen, damit gut ausgebildete junge Menschen im Saarland bleiben und andere qualifizierte Kräfte ins Saarland kommen. Wir haben innovative Unternehmen im Halbleiterbereich, in der Batteriezellenfabrikation, im Forschungsbereich und wir verfügen über gute Lebensbedingungen. Diese Dynamik gilt es zu halten und nicht den Schwung herauszunehmen.“
Dass im Saarland bereits vieles auf den Weg gebracht sei, um Arbeitskräfte zu qualifizieren und im Land zu halten, betonte außerdem Reinhilde Willems von der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz/ Saarland der Bundesagentur für Arbeit. Viele Kursangebote, Projekte, Kooperationen und Förderprogramme seien allerdings für die breite Öffentlichkeit nicht immer sichtbar. „In puncto Transparenz und Prozessoptimierung sind wir sicherlich noch verbesserungswürdig, aber so schlecht wie einige meinen, ist das alles auch nicht.“