Die IG-Metall belebt ein altes Thema wieder: Die Vier-Tage-Woche ist wieder in aller Munde. Was die Gewerkschaft fordert, führen Unternehmen in Deutschland längst ein – jedoch anders, als es sich der DGB vorstellt.

Nur noch einen Tag arbeiten, dann ist auch schon Freitag und damit – Wochenende. Der Traum der Arbeitnehmer: Nur noch vier statt fünf Tage pro Woche schuften? Nicht nur in Deutschland ist diese Frage mittlerweile Trend, nachdem die IG Metall eine 32-Stunden-Woche für die Stahlbranche forderte. In ganz Europa laufen Experimente mit der Vier-Tage-Woche. Zwei Modelle sind dabei tonangebend: einmal das „Vier mal zehn Stunden“-Modell – inklusive Pausen –, wie es Belgien nun auf freiwilliger Basis eingeführt hat, in dem in Betrieben nun wahlweise an vier Tagen die Woche zehn Stunden täglich gearbeitet wird; und als zweites das sogenannte „100-80-100“-Modell, in dem 100 Prozent der Arbeit in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Gehalt erledigt wird – im Grunde eine Kürzung der Wochenarbeitszeit um acht Stunden bei gleichem Arbeitspensum, also die 32-Stunden-Woche. In Großbritannien testeten 61 Unternehmen mit insgesamt 2.900 Mitarbeitern unter Aufsicht der Universität Cambridge dieses Modell ein halbes Jahr lang. Nach Abschluss des Experimentes blieben fast alle – bis auf fünf Unternehmen – bei diesem Modell.
Zwei Modelle sind denkbar
Für den Bund Deutscher Arbeitnehmer ist dies eine Milchmädchenrechnung. Dessen Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter hält weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich für Unsinn, vor allem angesichts des Fachkräftemangels. Vier-Tage-Modelle bei gleicher Stundenzahl, sprich das Aufteilen von 38 Stunden auf vier Tage pro Woche, hält Kampeter dagegen für überlegenswert. Union und FDP halten eine Vier-Tage-Woche für kontraproduktiv, ja sie könne der deutschen Wirtschaft sogar schaden, weil sie die Arbeit verteuere, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Bundestag, Hermann Gröhe. Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, ist der Meinung, die Deutschen müssten mehr arbeiten und nicht weniger. Ohnehin hätten die Betriebe im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten viele Freiheiten, die Vier-Tage-Woche sei also für alle Unternehmen, die diese einführen wollten, machbar.
Marius Weber hat dieses Modell in seinem Betrieb schon eingeführt. „Zunächst einmal bleibt es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst überlassen, ob die Arbeit an vier Tagen pro Woche à zehn Stunden oder an fünf Tagen pro Woche à acht Stunden erledigt wird“, sagt Marius Weber, „denn die stundenbasierte Arbeitsleistung ist ja dieselbe“. Er hat 2021 einen Maschinenbaubetrieb, den er mitgründete, als alleiniger Geschäftsführer übernommen. „Wir arbeiten in verschiedenen Stundenkonstellationen je nach Bedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Betriebes, zum Beispiel viermal zehn Stunden pro Woche oder fünfmal acht Stunden pro Woche, weil wir in unserer Branche wenig Vorlaufzeit und wenig Planungszeitraum in unseren Projekten haben. Zehn Stunden Arbeit bedeuten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen längeren Arbeitstag, zudem ist eine längere Zeit der Konzentration erforderlich – dafür aber gibt es im Gegenzug auch je nach Arbeitszeit bis zu drei freie Tage am Stück.“ Ein zusätzlicher freier Tag sei für die Familie, die eigene Erholung und wichtige Termine bei Ärzten oder Behörden ein Gewinn für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Führungskräfte von Webers Unternehmen sind weiterhin fünf, manchmal sechs Tage im Unternehmen – jedoch bei verminderter Arbeitszeit und je nach betrieblichem Ermessen. Im Werk arbeiten die Angestellten in der Regel entweder von sonntags bis mittwochs oder von montags bis freitags.
Die Praxis gestaltete sich anfangs jedoch schwierig: „Die Einsatzzeiten der Angestellten im Einklang mit den immer kürzeren Projektzeiten der Kunden zu koordinieren war nicht einfach.“ Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter taten sich schwer. „Die Kombination aus Gewohnheit und Arbeitsablauf zu verändern war die Herausforderung. Mehr Freizeit und Flexibilität war das eine, aber es stand auch die Angst im Raum, dass es weniger Geld geben könnte.“ Denn einen Tag weniger arbeiten bedeutet auch, möglicherweise auf Zulagen für Nachtschichten an einem Tag pro Woche zu verzichten. „Unser Altersdurchschnitt im Betrieb liegt bei 30 Jahren, entsprechend planen einige Angestellte eine Familie oder ein Eigenheim. Daher ist die Sensibilität gegenüber dem Geld hoch.“ Dieser Aspekt wird demnach von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Wahl ihres Einsatzmodells stark berücksichtigt.
Mehr Personal, mehr Kapazitäten
Der Effekt der Option der Vier-Tage-Woche: „Wir haben in dem Projektgeschäft mehr Kapazitäten zur Verfügung und damit mehr Aufträge generieren können, weil vorher bestimmte Zeitfenster nicht verfügbar waren“ – sprich, sonntags arbeitete das Unternehmen zuvor nicht. In einer Branche, die häufig nur insgesamt sechs Tage für das Umsetzen eines Bauteils hat, sind auch verlängerte Arbeitszeiten pro Tag ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. „Das Arbeitsklima und die Mitarbeiterstimmung sind sehr gut und die Flexibilität in der Arbeitseinteilung ist ein gutes Argument, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.“ Machbar war dies jedoch nur mit neuen Mitarbeitern.
Tatsache ist, dass Betriebe sich etwas einfallen lassen müssen, um künftige Arbeitskräfte anzulocken – in den meisten Branchen fehlen Azubis und Festangestellte. Das Mercedes-Autohaus „Torpedo Garage“, das in Südwestdeutschland mehrere Niederlassungen mit insgesamt 1.300 Mitarbeitern unterhält, wirbt mit dem Argument der Vier-Tage-Woche um neue Mitarbeiter. „Wir müssen unsere Attraktivität steigern“, sagt Geschäftsführer Jörg Eißfeld. Im September 2022 fiel nach einer Mitarbeiterbefragung, in der sich 60 Prozent dafür ausgesprochen hatten, die Entscheidung. „Ich habe gesagt: Wenn wir das umsetzen, dann für alle. Ich bin also in jede Niederlassung gefahren und habe mit den Leuten gesprochen. Ab 1. Juni führen wir die Vier-Tage-Woche ein.“

Organisiert wird dies wie in einer Urlaubsplanung: Von 8 bis 18 Uhr muss jeden Tag ein Angestellter die Rolle an seinem Arbeitsplatz ausfüllen, ob nun in der Werkstatt, im Verkauf oder im Backoffice des Autohandelsunternehmens. Wer wann arbeitet, organisieren die Abteilungen selbst. Vierzig Stunden pro Woche wird gearbeitet, aber ob das nun an vier oder fünf Tagen geschieht, kann jeder selbst bestimmen. „Jeder kann wählen, wie er dies gestaltet und ob er zwischen dem Fünf- oder Vier-Tage-Modell wechseln möchte.“ Das sei jederzeit möglich, so Eißfeld. Auch er erwartet, wenn das Modell eingeführt ist, eine Produktivitätssteigerung von 20 bis 25 Prozent. Dafür brauche man aber neue Mitarbeiter, die frei gewordene Zeit- und Kapazitätsslots füllen. „Es macht ökonomisch Sinn, Mitarbeiter mit diesem Arbeitszeitmodell zu motivieren, neue Schichten einzustellen und in der gleichen zur Verfügung stehenden Wochenarbeitszeit mehr Kapazität zur Verfügung zu haben“, so Eißfeld. Außerdem entschärfe es die Krankheits- und Urlaubsplanung, weil die Arbeit auf mehr Schultern verteilt sei. Seitdem die Torpedo-Garage im Februar veröffentlicht hat, dass sie die Vier-Tage-Woche einführen möchte, hat sie bereits 50 neue Mitarbeiter einstellen können, die sich explizit wegen der Vier-Tage-Woche beworben hatten.
Die Gewerkschaften bevorzugen ein etwas anderes Modell – auch, weil zehn Stunden Arbeit am Tag umstritten sind. Timo Ahr ist seit 2022 SPD-Abgeordneter im saarländischen Landtag und stellvertretender DGB-Bezirksvorsitzender Rheinland-Pfalz/Saar. Für ihn sieht eine Vier-Tage-Woche so aus: „Ideal wäre das Modell einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Dieses könnte aus unserer Sicht bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels hilfreich sein, zumal es den Wünschen und Lebensvorstellungen junger Leute entgegenkommt.“ Drastische Gehaltseinbußen lehnen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ab. „Es darf nicht sein, dass Beschäftigte dann in vier Tagen das abarbeiten müssen, was eigentlich in fünf Tagen erledigt wird. Dadurch würde die Arbeitsverdichtung nur noch schlimmer“, so Timo Ahr, denn eine Umverteilung sollte aus seiner Sicht nicht dazu führen, dass sich Beschäftigte gestresster und ausgebrannter fühlen als vor der Umstellung. „Im Gegensatz zu dem in Belgien angewandten Modell darf eine Vier-Tage-Woche keine bloße Verschiebung von Arbeitsstunden sein. Demnach ist klar, dass eine echte Vier-Tage-Woche mit mehr Beschäftigten einhergeht.“ „Keine bloße Verschiebung“ hieße, eine echte 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen. „Denkbar ist, dass der Staat eine verkürzte Arbeitszeit mit einem Teillohnausgleich unterstützt und aufgestocktes Entgelt steuerfrei stellt, doch so etwas ist noch Zukunftsmusik.“
Klar ist: Fragt man den deutschen Arbeitnehmer, würde er sich eine Vier-Tage-Woche wünschen. Das hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung ermittelt: 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen.
Die – möglicherweise vorschnelle – Kritik lautet: Nicht überall könne man nur vier Tage arbeiten. Gewerkschaften aber halten dagegen. Timo Ahr: „Erfahrungen aus der Metallbranche haben gezeigt, dass eine Arbeitszeitverkürzung überall vorstellbar wäre: in Wissensberufen ebenso wie in Produktionsberufen. Um ein Viertage-Konzept wirkungsvoll umzusetzen, werden verbindliche Vertretungsregelungen benötigt, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation.“ Er nennt beispielsweise die Erreichbarkeitsregeln im Kundenkontakt und eine verringerte Arbeitsmenge durch Automatisierungsprozesse. „Eine Arbeitszeitverkürzung in der Interaktionsarbeit, also in der Pflege oder im Verkauf, funktioniert nur mit mehr Personal.“
Gewerkschaft warnt vor Arbeitsverdichtung

Dies sagt der DGB auf Grundlage der Wissenschaft. Dr. Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und Dr. Eike Windscheid fanden in einer gemeinsamen Studie heraus, dass die Arbeitsmenge angepasst werden müsse und man daher mehr Personal brauche. Allerorten klagen Handwerk und Industrie jedoch über Fachkräftemangel. Wie soll das zusammen gehen? Versteht man die Vier-Tage-Woche als arbeitnehmerorientiertes Zugeständnis der Betriebe, könnte dies die Attraktivität von Unternehmen für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steigern – solange der Trend noch nicht überall angekommen ist. Mehr Personal und damit mehr Kapazitäten könnten die Produktivität insgesamt erhöhen. Die Studie der Universität Cambridge belegt weniger Krankheitstage, weniger Stress und weniger Kündigungen in den Test-Unternehmen. Deren Umsätze aber stiegen während des Zeitraums der Studie lediglich um 1,4 Prozent.
Und dennoch: „Ich bin davon überzeugt, dass Arbeitgeber, die sich weigern, auch nur über eine Vier-Tage-Woche nachzudenken, in Zukunft massive Probleme bekommen werden, Fachkräfte zu finden“, ist Timo Ahr vom DGB überzeugt. Für Jörg Eißfeld ist weniger arbeiten jedoch nicht drin: „Meine Arbeitszeit beträgt rund 80 Stunden pro Woche“, sagt er. Dennoch würde er sich einen breiteren Dialog in Deutschland, und nicht nur anlässlich des „Tages der Arbeit“, über die Vier-Tage-Woche wünschen. „Sie muss eine gemeinsame Entwicklung aller beteiligten Akteure sein“, so Eißfeld. Auch wenn die Skepsis in vielen Unternehmen noch überwiegt.