Alle 27 Mitgliedsstaaten haben ein Ziel: Bis 2030 Treibhausgasemissionen um 55 Prozent senken. Der Europäische Green Deal packt alles gleichzeitig an: Emissionshandel, Energie und Mobilität, Gebäudesanierung, Wiederherstellung von Ökosystemen und noch mehr.
Die EU will grüner werden – und das schon seit 2019. Denn in diesem Jahr hat die Europäische Union entschieden, dass sie der Vorreiter für die globale Klimapolitik werden will, und zwar mit dem Europäischen „Green Deal". Der Pakt, zu dem sich 27 Mitgliedsstaaten bekannt haben, soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen und grünen Zukunftstechnologien einen Weg bahnen. Dafür ist es auch allerhöchste Eisenbahn, denn die Klimakrise rast auf uns zu.
Erst vergangene Woche kamen bei einem Gletscherbruch in Italien mindestens sieben Menschen zu Tode. Zurückzuführen ist dieser wohl auf die hohen Temperaturen. Und selbst im Umkreis Berlins sind die Böden so trocken, dass es Ende Juni zu schweren Waldbränden kam. Nicht zu vergessen die tödliche Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Es besteht kein Zweifel: Wetterextreme und Klimakatastrophen haben den europäischen Kontinent längst erreicht. Deshalb braucht es jetzt eine Klimapolitik, die nicht nur aus unmissverständlich formulierten Zielen, sondern auch effektiven Maßnahmen besteht.
Die Europäische Union hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Bis 2030 will sie die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent senken. Das „Fit für 55"-Paket soll es möglich machen. Dafür hat die EU umfassende Änderungen am bestehenden Emissionshandelssystem vorgeschlagen, die unter anderem im Rahmen der Initiativen „ReFuelEU Aviation" und „FuelEU Maritime" Änderungen im Flug- und Schiffsverkehr mit sich bringen. Die Rede ist von einer neuen CO2-Bepreisung und alternativen Kraftstoffen. Auch für den Gebäudebereich und den Straßenverkehr will sie ein eigenständiges Emissionshandelssystem schaffen, wobei sie sich vor allem an Deutschland orientiert hat: Hier gibt es bereits seit 2021 eine CO2-Bepreisung durch ein ergänzendes Emissionshandelssystem für Sektoren fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas und damit auch im Straßenverkehr und beim Heizen. Die EU hat außerdem Grenzausgleichsmechanismen für Produkte aus denjenigen Ländern vorgeschlagen, die weniger strenge Emissionsvorschriften haben. So will sie europäischen Unternehmen Sicherheit geben, die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und verhindern, dass große Firmen aus der EU abwandern.
Umdenken in allen Bereichen
Dazu hat der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine lange schlummernde Ängste wachgerüttelt. Unter anderem auch die, dass im kommenden Winter Deutschlands Heizungen kalt bleiben. Es fehlt an Gas, und der Bundesrepublik ist ihre Abhängigkeit von Drittstaaten, nicht nur in der Energieversorgung, auf schmerzhafte Weise bewusst geworden. Schon vor Kriegsbeginn wollte die Europäische Union etwas gegen die Klimakrise tun. Jetzt kommen verschiedene Krisen zusammen, und das Vorhaben ist noch befeuert worden. Die Zeit drängt.
Über allem steht das große Thema Energiesicherheit und der Ausbau erneuerbarer Energien. Diese sollen im Energiemix der EU auf 45 Prozent angehoben werden. Wasserstoff wird als der Energieträger der Zukunft gehandelt, vor allem in den Bereichen Industrie und Schwerlastverkehr. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck arbeitet mit Hochdruck an der Ausarbeitung seines „Sommerpaketes", in dem unter anderem festgelegt wurde, dass bundesweit in jedem Bundesland zwei Prozent der Fläche zwingend für den Ausbau von Windenergieanlagen genutzt werden müssen. Auch die Leistung der installierten Solaranlagen soll in Deutschland bis 2030 auf 215 Gigawatt ansteigen. Bis zum selben Jahr will die EU ihren Energie- und Primärenergieverbrauch um bis zu 39 Prozent reduzieren.
Anfang 2022 hat die EU-Kommission Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als nachhaltig eingestuft. Anfang des Monats mischte sich nun auch die Ukraine in den Streit um das Ökosiegel für Atomkraft- und Gaskraftwerke ein. Der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk argumentierte, das umstrittene Gesetz käme vor allem Russlands Gasexporteuren zugute, LNG-Terminals, in denen Tankschiffe Flüssigerdgas von anderen Lieferländern anlanden könnten, dagegen nicht. Das Europäische Parlament wies den Einspruch gegen die Verordnung der EU-Kommission zur Taxonomie zurück. Damit dürften Atomkraft und Gas ab 2023 tatsächlich als nachhaltig gelten.
Mit Blick auf den Winter hat die Europäische Union daher als eine erste Versicherung Energieeinsparungen verordnet. Die EU-Kommission hat Regulierungen eingeleitet, die sicherstellen sollen, dass die Energiespeicher bis zum 1. November jeden Jahres bis zu 90 Prozent gefüllt sind. Dazu sollen 50 Billionen Kubikmeter russisches Gas durch Flüssiggas und 10 Billionen Kubikmeter durch zusätzliche Pipeline-Lieferungen ersetzt werden. Insgesamt will die EU Flüssiggasimporte um 36 Prozent anheben.
Seit 2017 gibt es die Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Gewährleistung einer sicheren Gasversorgung, nach der sich auch Deutschlands Notfallplan für Gas richtet. Am 23. Juni hat Robert Habeck die Alarmstufe ausgerufen. Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung mit Blick auf den Winter zu senken, hat der Bundeswirtschaftsminister außerdem angekündigt, zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abzurufen. Dazu wurde eine Kreditlinie von zunächst 15 Milliarden Euro zur Speicherbefüllung sichergestellt. Von einer Reaktivierung der Atomkraftwerke dagegen ist Deutschland im Gegensatz zu seinem französischen Nachbarn weit entfernt. Noch in diesem Jahr sollen die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen.
Mehr natürlicher CO2-Abbau
Gemeinsam hat sich die EU darauf geeinigt, ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennermotor mehr zu produzieren und das Marktwachstum für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge zu steigern. Noch nicht alle Mitgliedsstaaten haben eine Position dazu gefunden. Ende Juni einigte sich jedoch die Ampel-Koalition der Bundesregierung: Nach 2035 sollen nur noch Verbrenner zugelassen werden, die E-Fuels, also klimafreundliche und synthetische Kraftstoffe nutzen. Umweltverbände sehen die Entscheidung kritisch und sprechen sich für einen stärkeren Ausbau von E-Mobilität aus. Die Ladeinfrastruktur in vielen Teilen Deutschlands müsste dringend ausgebaut werden. Außerdem arbeitet die EU im Rahmen des Green Deals an einer Reform der Energiesteuerrichtlinie, die sicherstellen soll, dass die umweltschädlichsten Kraft- und Brennstoffe am höchsten besteuert werden. Das betrifft vor allem auch die Diesel- und Benzinbesteuerung.
Neben den großen Themen Energieversorgung und Mobilität will die EU auch die Biodiversität und den Naturschutz nicht aus den Augen verlieren. Mithilfe der Biodiversitätsstrategie für 2030 und rund 100 Milliarden Euro sollen 80 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden. Ziel ist eine Renaturierung von landwirtschaftlichen Flächen und Meeresgebieten über Wälder bis hin zu städtischen Gebieten in ganz Europa. Auch der Schutz von Gebieten mit hohem Biodiversitätswert soll ausgebaut werden. Insgesamt will die EU ihren natürlichen CO2-Abbau auf 310 Millionen Tonnen erhöhen. Derzeit liegt er bei 268 Millionen Tonnen. Insgesamt fließen 1,8 Billionen Euro aus dem Aufbaupaket „Next Generation EU" und dem Siebenjahreshaushalt der EU in den Europäischen Green Deal.
Im Europäischen Green Deal wurden ambitionierte Ziele formuliert – wesentlich mehr, als auf zwei Seiten beschrieben werden kann. Der Weg ist das Ziel, doch der ist in vielen Bereichen noch nicht zu sehen. Das EU-Verbot des Verbrennermotors ist möglicherweise eine erste von künftig noch vielen lästigen, aber dafür umso notwendigeren Entscheidungen, die getroffen werden müssen. 27 Mitgliedsstaaten haben beschlossen, bei der Rettung des Klimas an einem Strang zu ziehen. Der Entschluss allein reicht jedoch nicht.