Im „Funky Fisch“ zeigt The Duc Ngo, dass er nicht ohne Grund soeben erst von der Jury der „Berliner Meisterköche“ als „Gastronomischer Innovator 2017“ ausgezeichnet worden ist. Fisch und Meeresgetier aller Art stehen im Fokus, und dies auf moderne, eben auf funky Art.
Dunkelblau glänzend und mit gezackten gelben Flösseln liegt der Thunfisch auf dem Edelstahltisch. Meister Masao führt das lange Messer durch das rote Fleisch. Schneidet Filet für Filet aus dem spindelförmigen Körper. Wir schauen Masao Watari durch die raumhohe Glastür bei seiner Präzisionsarbeit zu. In „Masaos Fisch Zimmer“, wie in großen Buchstaben auf die Glastür geschrieben steht, verwandeln sich Showfische in für die Köche des „Funky Fisch“ handhabbare Stücke.
Eine halbe Stunde zuvor noch lag der Raubfisch mit Kopf und allem Drum und Dran in der großen Theke. Dort modeln Steinbutt, Scholle, Lachs, Kabeljau und Adlerfisch im Ganzen auf dem Eis. Sie sind die Stars in dem Mitte August eröffneten neuen und elften Restaurant von Besitzer The Duc Ngo an der Kant-, Ecke Schlüterstraße. „Das ist ein mit 35 Kilogramm noch kleiner Blauflossen-Thunfisch“, erklärt er. Wir bekommen nun dunkelrot glänzende Scheiben serviert, die garantiert frisch aufgeschnitten wurden. Ein Hütchen Wasabi und Sojasoße auf dem dunkelgrün changierenden Teller und im Schälchen dazu. Zart, bissig, mit einem Hauch Meeresaroma ist das. Sehr pur und fein. Mehr braucht es nicht zum frischen Fischglück.
Oder doch. Zum Vergleich braucht es einige Scheiben vom „Toro-Sashimi“, dem mit etwas mehr Fett marmorierten Bauch des Thunfischs. Noch weicher und sanfter schmeichelt sich das Fleisch – als „das Kobe-Rind unter den Thunfischen“ bei den Gourmets gehandelt – an den Gaumen ran. Gut, dass wir mit purem Fisch angefangenen haben und die Geschmacksknospen noch auf hochfein eingestellt sind. Der Thunfisch, ein Zander-Carpaccio und eine „Blume“ aus hauchdünnem rohen Kabeljau, Lachs und einem einfacheren Thunfisch überzeugen allesamt durch ihre feine Textur und zarte Aromen. Pikanterie und komplexere Verarbeitungsformen kommen später.
Fisch und Meeresgetier aller Art stehen im Fokus des weitläufigen Restaurants mit seinen 70 Plätzen im Erdgeschoss eines unauffällig-betonklotzigen 60er-Jahre-Gebäudes. „Wir gehen in die mediterrane Richtung, mit leicht asiatischem Einschlag“, sagt The Duc Ngo. Es gibt Fische „à la plancha“, aus der Theke frisch gewählt und mit einzelnen Beilagen wie Gemüse, Salat, Brot und Reis sowie Soßen frei kombinierbar. Für Erstere ist vor allem Küchenchef Daniel Sangareau mit dem neunköpfigen Küchenteam zuständig. Der Portugiese, der zuvor bereits in The Duc Ngos benachbarten japanischen Restaurant „893 Ryōtei“ gearbeitet hat, entwickelte Gerichte wie die „Papillote“ mit Dorade und Venusmuscheln. Mitarbeiter Or Kalish öffnet das Alufolien-Bonbon vorsichtig, Dampf entweicht. Das mit Lauch, Sellerie und Weißwein gedämpfte Filet fühlt sich in der gemüsigen Gesellschaft wohl. Die Begleiterin, der Fotograf und ich wissen die heiße Gemengelage ebenso zu schätzen – sie ist ebenso fein nuanciert wie der rohe Fisch zuvor.
Wir kommen alle drei mit unseren individuellen Geschmacksvorlieben zum Zuge. Die Freundin ist mit gegrillten Oktopus-Beinchen und karamellisierten roten Zwiebeln in einem Yuzu-Chili-Dressing auf Romanasalat glücklich. Ich mag die Backfisch-Buns mit Hoisin-Sauce, eingelegten Gurken und Koriander besonders gern. Knusprig ausgebacken, klein, säuerlich-würzig abgeschmeckt und in kissenartige Brötchen-Hüllen chinesischer Art verpackt, zeigen die Asia-Mini-Fischburger, dass Backfisch in einer filigranen Variante jenseits von Kirmes und Weihnachtsmarkt sehr wohl eine Existenzberechtigung hat. „Wir sind funky, wir können alles machen, wie wir es wollen“, sagt Küchenchef Daniel. The Duc Ngo, der mit uns speist, ist selbst Backfisch-Fan: „Ich mag das so gern, dass ich gleich drei Sachen daraus gemacht habe.“ Sepia, Garnelen oder klassischer Kabeljau werden in Tempurateig getaucht und ausgebacken.
Die Freundin liebt ebenfalls die schärferen Garnelen-Tacos mit Tomaten-Chipotle-Sauce, Zwiebeln und Koriander. Diese kleineren Gerichte wie Buns oder Tacos kosten sieben und acht Euro. Hauptgerichte nach der „Chef’s Recommendation“, der Empfehlung des Küchenchefs, können von zwölf bis 35 Euro variieren. Der Preis orientiert sich an der Verfügbarkeit und Besonderheit der Fische und Produkte. Mir hat es prompt eines der teuersten Gerichte angetan – eine „Massa Imperial“ mit Austern und Kaviar. Auf einem Nest von Eiernudeln lagert ein pochiertes Ei, getoppt von schwarzem Imperial-Kaviar. Das Eigelb fließt und umschließt die schwarzen, meerigen Kügelchen. Ich lasse sie in dieser „Meeres-Carbonara“ für 35 Euro genüsslich in mich hineingleiten.
Das Fisch- und Meeresgetier-Angebot steht auf einer großen Schiefertafel hinter der Theke angeschrieben. 90 Prozent davon bezieht Küchenchef Daniel vom Fisch-Großhandel „Deutsche See“. Jeden zweiten Tag sind die Showfische vom Atlantik bis zu den Azoren dabei, die anschließend vor Ort zerlegt werden. Nur aus Portugal wünschen sich Patron und Küchenchef noch mehr Fische in ihrem Lokal. „Es gibt so tolle Fische wie den Adlerfisch von den Azoren, der sehr gut zum Rohverzehr geeignet ist“, erzählt The Duc Ngo. „Wir versuchen immer, solche Fische exklusiv zu bekommen.“ Das ist nicht so einfach, wird doch der Großteil davon in Portugal selbst verzehrt.
Refugium für Veganer nebenan
Manche Fische kommen wiederum aus spezialisierten Farmen – der Zander etwa von einem Züchter aus Niedersachsen, der seine Fische nach „Ike Jime“-Art tötet. Mit dieser japanischen Methode werden, verkürzt gesagt, die Nerven so rasch durchtrennt, dass der Fisch nicht mehr zuckt und das Muskelfleisch nicht säuert. Anschließend blutet er aus und reift mehrere Tage. „So schmeckt er noch frischer“, fasst The Duc Ngo zusammen. Das bestmögliche vom und für den Fisch soll es sein. Das gilt auch für den Handwerkskünstler an den japanischen Fischmessern: „Masao ist seit 15 Jahren dabei“, erzählt The Duc Ngo. „Jetzt hat er alles, was er braucht: das größte Waschbecken, die größte Kühlung und viel Platz.“ Der Respekt für die Tiere, die so viel Genuss bereiten, ist – gleich ob lebendig oder tot – allgegenwärtig spürbar.
Der italienische Feinschmecker-Fotograf verhält sich angesichts des Tagesgerichtes seinerseits ziemlich „funky“. 16 Stunden geschmorter Schweinebauch geht mit Venusmuscheln, Kabeljau und frittierten Kartoffelwürfelchen eine wohlschmeckende „Surf-and-Turf“-Liaison ein. Ein „Food-Model“ spielt seiner Meinung nach nicht so recht mit. „Kann man bitte die Muschel etwas mehr schließen?“, fragt er. Wir lachen laut. „Wenn die zugeht, dann hast du ein ernsthaftes Problem, spätestens nach dem Essen“, antwortet die Freundin. Sie bietet an, den Teller umzudrehen und fotogener auszurichten. Der Fotograf ist zufrieden. Wir ebenso, als wir das würzig-knusprige Gericht noch vor dem Kaltwerden probieren dürfen. Zeit genug, um uns an unserem Wein zu erfreuen. Wir nehmen den 2016er „Federspiel“, einen Grünen Veltliner von Rudi Pichler aus der Wachau. Mit feiner Säure und beinah proseccoartigem Geprizzel, Noten von Apfel und Orangenzesten sowie leicht angepfeffert hält er den Fischen und ihren Aromen unaufdringlich stand.
Das „Funky Fisch“ ist schlicht gehalten und namensgemäß konsequent auf Fisch fokussiert. The Duc Ngo, soeben von der Jury der „Berliner Meisterköche“ als „Gastronomischer Innovator 2017“ ausgezeichnet, setzt gern das Naheliegende um. Er übernahm die Räume des vormaligen „Kant-Cafés“, arbeitete wie beinah immer mit Designerin Hyun Jung Kim zusammen. Als die Beton-Kassettendecke zum Vorschein kam, war’s um das ursprüngliche Konzept mit dem „best fried chicken“ und Bier geschehen. „Das Haus ist einfach zu besonders“, sagt The Duc Ngo. Also musste etwas anderes, Passenderes hinein. „Fisch ist schon meine Expertise, aber nicht unbedingt nur asiatisch.“ Nicht zuletzt deshalb wird der „Fisch“ auf deutsche Art geschrieben.
„Meine Läden entwickeln sich immer weiter“, sagt der 43-Jährige. Vom Huhn zum Fisch, vielleicht gibt’s irgendwann anstelle des großen Weinkühlschranks einen Außer-Haus-Verkauf in der ehemaligen Eingangstür. Sonntags soll künftig auch geöffnet sein. „Familienessen mit großen Fischplatten“, schwebt The Duc Ngo vor. Aber auch die Nicht-Fischesser können an der Kantstraße ihren Spaß haben. Viele der Beilagen im „Funky Fisch“ können als Hauptgericht „funky“ und neu zusammengesetzt werden. Bald schon bekommen Vegetarier und Veganer überdies ihr eigenes Refugium gleich nebenan. Hinter der blauen Tür zum Nebenraum soll Anfang November mit dem „White Rabbit“ das zwölfte Restaurant aus dem Hause Ngo eröffnen. Der „Veggie-Butcher“ darf dann beim Gemüse ebenso qualitätsversessen und „funky“ agieren wie die Fisch-Truppe nebenan.