Im Saarland starben 2017 mindestens 29 Menschen an den Folgen ihres Rauschgiftkonsums, eine erschreckende Zahl. Stephan Kolling, Drogenbeauftragter der Landesregierung, zu „neuen Trends“ und wie das Saarland gegensteuern will.
Herr Kolling, im Saarland ist die Zahl der Drogentoten im vergangen Jahr erneut gestiegen. Wie bewerten Sie das?
Die Höhe der Zahl der Drogentoten ist erschreckend, weil wir einen Höchststand haben. Dass bundesweit die Zahl der Drogentoten steigt, hat auch mit der Verfügbarkeit und der Reinheit zu tun. Wir wissen von den Polizeibehörden, dass noch nie so viele Drogen auf dem Markt verfügbar waren wie derzeit. Zudem sind die durch Internet und Darknet wesentlich schneller verfügbar als früher. Zudem sind sie viel reiner und daher viel gefährlicher als in der Vergangenheit.
Deutet das auf eine Zunahme des Missbrauchs von Rauschgift hin?
Das sind alles nur Vermutungen, und es ist schwierig, da Aussagen zu treffen. Denn der Drogenkonsum spielt ja in der Illegalität, wenn es nicht um weiche Drogen geht. Wir wissen aber von Abhängigen und Einsteigern, dass wir beim Cannabis deutliche Zunahmen haben. Wir wissen aber auch, dass die Zahlen bei Tabak- und Alkoholabhängigkeit stark gefallen sind. Das ist eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch der Präventionskampagnen.
Was wird im Saarland angesichts der erschreckenden Entwicklung getan?
Wir müssen neue Wege gehen, uns fragen: Was bedeutet das für unser Land? Und neue Hilfsangebote schaffen. Derzeit haben wir 600 Nutzer im Drogenhilfezentrum in Saarbrücken. Ein neues Phänomen ist, dass diese nicht mehr lange im Umfeld des Drogenhilfezentrums bleiben und sich neue Rückzugsmöglichkeiten suchen, etwa im Bereich der Johannisstraße.
Wir wollen gemeinsam mit der Stadt und dem Drogenhilfezentrum eine Studie beim Drogenforschungszentrum in München in Auftrag geben. Es soll ermittelt werden: Welche Drogen nehmen die Nutzer und Besucher des Drogenhilfezentrums? Wie sehen sie die Angebote? Was erwarten sie an Hilfen etwa beim Ausstieg und bei der medizinischen Betreuung? Wie können wir die Angebote vernetzen? Wenn das erforscht ist, wollen wir uns mit allen Akteuren zusammensetzen, um zu ermitteln, was wir tun können.
Zum Beispiel?
Man muss überlegen, ob die Zentralisierung in der Drogenhilfe noch trägt oder ob man die Drogenberatung dezentralisiert im Land anbietet. Denn wenn ich etwas zentralisiere, schaffe ich im Umfeld auch einen Markt. Deshalb muss mit den Experten beraten werden, ob es Sinn macht, dezentrale Angebote zu schaffen – etwa im Bereich der Saarschiene oder in St. Wendel ergänzend zu Saarbrücken.
Wann wird das Gutachten vorliegen?
Mitte kommenden Jahres.
Was tun Sie in der Zwischenzeit?
Bereits angestoßen haben wir eine stärkere Vernetzung der Akteure und eine Einbeziehung der Substitutions-Ärzte. Bisher war es so, dass die Drogenabhängigen, die in der Substitution waren, nicht offiziell in das Drogenhilfezentrum (DHZ) gehen durften. Wir haben das legalisiert durch eine Änderung der Druckraumverordnung.
Ziel ist es, die Drogenärzte und die Drogenzentren mit den niederschwelligen Hilfsangeboten zusammenzubringen, um zu eruieren: Was können wir tun, damit diese Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können – unter Aufsicht, medizinisch kontrolliert oder im Idealfall drogenfrei?
Wie viele Mittel wendet das Land für die Drogenhilfe auf?
Wir geben im Moment 1,4 Millionen Euro im Jahr für die Suchtkrankenhilfe aus. Wir werden die Mittel von 2019 an voraussichtlich weiter aufstocken müssen, insbesondere mit Blick auf das vor zwei Jahren geschaffene Gesetz, das die Prävention in Lebenswelten vorsieht. Wir wollen auch Drittmittel der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) ins Land holen, um auch das Thema von harten Drogen stärker in den Fokus zu nehmen.
Der Drogentod steht am Ende einer Suchtkarriere. Was unternehmen Sie, um es gar nicht so weit kommen zu lassen?
Die eigentliche Suchtproblematik liegt bei den weichen Drogen, also etwa beim Alkohol- oder beim Tabakkonsum, aber auch bei Cannabis. Cannabis ist ein Phänomen, das unterschätzt wird. Deshalb müssen wir alles tun, um den Einstieg in den Drogenkonsum zu verhindern.
Sollte Cannabis insgesamt legalisiert werden?
Diese Frage stellt sich für uns Gesundheitspolitiker nicht. Das ist eine Diskussion, die in den rechtspolitischen Kreisen mit Blick auf die Entkriminalisierung geführt wird. Wir Gesundheitspolitiker sagen, dass Cannabis erhebliche Folgen für die Gesundheit hat. Deswegen darf es nur angewandt werden, wenn es vom Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen oder starken Schmerzen verordnet wird. Das Saarland hat einer entsprechenden Gesetzesänderung zugestimmt. Eine generelle Legalisierung von weichen Drogen ist für uns nicht das Thema.
Haben die bisherigen Präventionsprogramme versagt?
Wir haben eine Reihe von Einzelprojekten im Land, die gut bewertet wurden. Aber wir haben eine neue Situation. Stärkere Verfügbarkeit etwa von Cannabis, ist kein Randthema mehr, etwa für Jugendliche und junge Erwachsene. Hinzu kommt die stärkere Reinheit von Drogen sowie das Auftauchen immer neuer Designerdrogen und über das Internet verkaufter legaler Drogen.
Kommt das nicht alles zu spät?
Das ist ein neuer Trend. Noch vor zwei Jahren hatten wir im Saarland und vor fünf Jahren im Bund so wenig Drogentote wie lange nicht. Im Übrigen ist die Zahl der Drogentoten heute immer noch niedriger als im Jahr 2000 und davor. Deshalb kommt das nicht zu spät, sondern es ist eine Feststellung, dass sich das Konsumverhalten und seine Auswirkungen massiv verändert haben.
In den 90er-Jahren kam Ecstasy als Partydroge auf. Wie sieht das heute aus?
Heute ist die gleiche Pille in Form etwa von Delfinen, Sternen oder anderen Figuren erhältlich – aber mit einer vier- bis siebenfachen Wirkmenge. Das heißt: Der Nutzer, der vor 20 bis 25 Jahren die Tablette zu sich genommen hat, wird heute eine ganz andere körperliche Wirkung erzielen. Er weiß meist nicht, dass sich die Konzentration dieser Droge dramatisch verändert hat. Wer früher die Droge als Muntermacher oder zur Belustigung genommen hat, läuft heute Gefahr, dass er sich ums Leben bringt. Deshalb muss die Generation zwischen 40 und 45 Jahren als Zielgruppe in die Prävention einbezogen werden. Oft beginnen die Menschen, wenn die Kinder erwachsen sind, einen neuen Lebensabschnitt und lassen die alten Zeiten Revue passieren. Wenn sie in die alten Gewohnheiten verfallen, kann eine solche Ecstasy-Tablette tödlich werden.
Warum sind die Drogen reiner geworden?
Weil die Herstellung professionalisierter wurde, weil die Entwicklung der Droge in einigen Ländern in Südamerika, Osteuropa oder auch in arabischen Ländern intensiv vorangetrieben wird, um die politischen Systeme zu finanzieren.
Wie stehen Sie zur Einrichtung von Drug-Checking-Stellen?
Wir verschließen uns nicht generell der Möglichkeit, Drogen auf die Inhaltsstoffe überprüfen zu lassen. Da gibt es Pilotprojekte in Hamburg und Hessen. Wir wollen diese Erfahrungen abwarten. Man muss schauen: Welchen Nutzen hat es gebracht? Welche Risiken sind bestehen geblieben? In der Abwägung werden wir dann entscheiden, ob so etwas auch im Saarland umgesetzt werden soll.
Was steht einem solchen Vorgehen entgegen?
Das ist sowohl ein praktisches als auch ein rechtliches Problem. Dadurch, dass der Markt so schnelllebig ist und eine Analyse oftmals Tage braucht, bis alle Substanzen gefunden sind, die synthetisch hinzugefügt wurden, ist das Interesse der Nutzer gering. Sie haben ja das Bedürfnis, möglichst schnell das Ergebnis zu haben. Deswegen ist das Projekt noch in den Kinderschuhen. Rechtlich ist es natürlich ein Graubereich. Wie geht man damit um?