Deutschland braucht dringend ausländische Fachkräfte. Doch wer hierzulande in seinem Beruf arbeiten will, braucht oft Geduld, starke Nerven – und Glück. So wie die afghanische Asylantin Rahimeh Safgare, die sich anfangs völlig hilflos fühlte. Inzwischen steht sie kurz vor ihrer Zulassung als Krankenschwester.
Es ist ein trüber Tag im brandenburgischen Eberswalde. Der Himmel ist bedeckt, leichter Schneefall sorgt für weiße Straßen und das Thermometer zeigt nur zwei Grad über Null. „Mistwetter“, sagt Rahimeh Safgare und bindet ihre langen braunen Haare zum vorgeschriebenen Zopf, bevor sie gut gelaunt die „Akademie der Gesundheit“ betritt. Dort absolviert Safgare eine Qualifizierungsmaßnahme. Vereinfacht gesagt, bekommen dort Kranken- und Pflegekräfte aus aller Welt gezeigt, wie Pflege in Deutschland funktioniert; einen Fachkurs in Deutsch für die richtige Kommunikation mit Ärzten und Kollegen gibt es „on Top“. Am Ende der Maßnahme stehen dann mehrere Prüfungen. Sollte Safgare bestehen, darf sie ab Sommer endlich in Deutschland ganz offiziell als Krankenschwester arbeiten. „Es wäre ein emotionaler Höhepunkt in meinem bewegten Leben“, sagt die 30-Jährige und kämpft mit den Tränen.
Rückblende: 1988 wird Safgare in Kabul, Afghanistan, geboren. Nach der Schule zieht sie zu ihren Eltern in den Iran. „Da habe ich meinen Beruf gelernt.“ Die Krankenschwester-Ausbildung dort ist gänzlich anders als in Deutschland, findet an der Universität statt. Am Ende ist sie so etwas wie eine Hilfsärztin. Einen Job findet sie allerdings im Iran nicht.
„Ich habe alleine gelebt, das ist im Iran nicht erwünscht. Die wollen einfach nicht, dass Frauen auf eigenen Beinen stehen und ihr eigenes Geld verdienen. Ich wurde von allen Seiten angefeindet und schließlich abgeschoben.“ Safgare geht zurück nach Kabul. „Anderes Land, gleiche Probleme“, ist ihr Fazit. Auch in Afghanistan ist sie als alleinstehende, berufstätige Frau eine Außenseiterin. „Ich habe mich oft extrem bedroht gefühlt.“
Mehrjähriger Ämtermarathon
Als sie 2015 Augenzeugin eines Bombenanschlags mit mehr als 80 Toten wird, steht ihr Entschluss fest: „Ich musste da weg.“ Was folgt, ist eine abenteuerliche Flucht über den Iran und Syrien. „Irgendwann strandete ich schließlich mit dem Boot in Griechenland. Über die Balkanroute und unter Lebensgefahr kam ich nach Deutschland.“
Als Asylbewerberin landet Safgare im brandenburgischen Neuruppin, wo sie bis heute lebt. Während sie in der Stadt in Frieden wohnen kann, beginnt ein neuer Kampf: der gegen die deutsche Bürokratie. Nachdem sie als Asylantin anerkannt wird, will sie arbeiten, wie früher, als Krankenschwester. Doch ihr Abschluss, den sie an der Universität im Iran erworben hat, wird nicht ohne Weiteres anerkannt. „Ich war völlig überfordert. Ich hatte erst mal keine Ahnung, was ich machen muss, und Angst, dass ich das, was ich gelernt habe, verliere.“
Kein Einzelfall: „Es kommen Menschen wie Rahimeh mit einem Studienabschluss nach Deutschland und denken, das muss doch akzeptiert werden. Doch das Prozedere ist sehr aufwendig und viele bürokratische Hürden müssen überwunden werden“, erklärt Anne Dann vom Verein „Kontakt Eberswalde“. Dann berät und begleitet der Verein ausländische Fachkräfte im Bereich Gesundheit und Soziales, die ihren Abschluss in Brandenburg anerkennen lassen wollen. „Grundlage meiner Arbeit ist das von der Bundesregierung geschaffene Anerkennungsgesetz“, sagt Anne Dann. „Es sichert ausländischen Fachkräften das Recht zu, ihren Berufsabschluss auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Referenzberuf überprüfen zu lassen.“ Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit spielen bei diesem Verfahren keine Rolle. Dann: „Vor allem für Menschen, die sogenannte reglementierte Berufe ausüben, für die eine bestimmte Qualifikation per Gesetz oder Verwaltungsvorschrift festgelegt ist – wie bei Gesundheits- und Krankenpflegern –, ist dies notwendig, um überhaupt in dem erlernten Beruf arbeiten zu dürfen.“
Auf Gleichwertigkeit überprüfen lassen – das hört sich einfach an, ist es aber in der Praxis nicht. Erstens wird das Gesetz von Bundesland zu Bundesland anders umgesetzt. Außerdem sind beim Thema Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen zum Beispiel im Saarland ganz andere Ämter und Behörden zuständig als in Schleswig Holstein.
„Schritt eins ist aber auf jeden Fall erst einmal, dass überhaupt ein Antrag gestellt wird“, sagt Anne Dann. In Brandenburg sei das Landesamt für Arbeitsschutz dafür zuständig. „Das ist schon ganz schön schwierig. Es müssen sämtliche Nachweise und Zeugnisse eingereicht werden. Bei Menschen, die geflüchtet sind, sind die Unterlagen meist unvollständig.“
Rätselspiel Zuständigkeit
Rahimeh Safgare hat diese Hürde gemeinsam mit Anne Dann und dem Verein „Kontakt Eberswalde“ genommen, konnte alle notwendigen Unterlagen einreichen. „Schon dabei wäre ich ohne Hilfe aufgeschmissen gewesen. Ich hatte Dutzende Formulare und Briefe, die ich nicht verstanden habe“, erinnert sich Safgare. „Etwa vier Monate nach dem Antrag kam die Post vom Landesamt.“
Inhalt: Der Abschluss der Afghanin kann so nicht in Deutschland anerkannt werden. Zur Erklärung hieß es: Der Beruf einer Krankenschwester im Iran oder Afghanistan sei nicht vergleichbar mit der Arbeit in deutschen Krankenhäusern. Hierzulande lege man mehr Wert auf Pflege, die Arbeit dort ähnele eher der einer Hilfsärztin.
Wie schwierig es sein kann, den erlernten Beruf in Deutschland anerkennen zu lassen, zeigt auch das Beispiel von Nathalia Midtsinki. Die 43-jährige Russin studierte an der Moskauer Lomonossow-Universität Deutsch und Englisch auf Lehramt. Als sie vor neun Jahren mit ihrem deutschen Mann hierher kam, wollte sie in Deutschland als Lehrerin arbeiten. Doch eine wirkliche Anerkennung hat sie bis heute nicht. „Ich musste mehr als 20 Sprachprüfungen ablegen und war in zahlreichen Qualifizierungsmaßnahmen. Gebracht hat es aber alles nichts. Eine Anerkennungsurkunde wurde mir verweigert.“
Midtsinksi musste sich andere Arbeit suchen, jobbte in Hotels, spielte kleinere Rollen in Filmen und arbeite als russische Sprecherin für Werbespots und als Fremdenführerin. „Im letzten Jahr während der Flüchtlingswelle in Deutschland bekam ich plötzlich Post, ob ich nicht als Lehrerin für die Flüchtlinge arbeiten möchte. Man würde meine Qualifikation umgehend anerkennen. Ich habe zähneknirschend zugesagt.“
Zähigkeit und Glück sind nötig
Um solche Fälle künftig zu verhindern, gründete die Bundesregierung das sogenannte IQ-Netzwerk (Integration durch Qualifizierung). Das Förderprogramm soll Menschen mit Migrationshintergrund helfen, besser in den deutschen Arbeitsmarkt integriert zu werden. Über 400 Teilprojekte gibt es mittlerweile in Deutschland. Die Kosten teilen sich Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Europäische Sozialfond (ESF).
„Das Programm funktioniert“, sagt Anne Dann, deren Verein ebenfalls Mitglied im IQ-Netzwerk ist. „Im Fall von Rahimeh Safgare konnten wir ganz konkret ansetzen.“ So vermittelte der Verein der gebürtigen Afghanin erst eine Wohnung und anschließend eine Qualifizierungsmaßnahme zum Ausgleich der beruflichen Unterschiede. Seither besucht sie die „Akademie der Gesundheit“ in Eberswalde. „Dort wird den Teilnehmern alles beigebracht, was in deutschen Krankenhäusern wichtig ist“, bemerkt Wilma Möhring, Chefin der Akademie. „Bei Rahimeh ist es vor allem die direkte Pflege am Körper der Menschen. Waschen und Betreuen am Patienten gab es weder in Afghanistan noch im Iran. Zusätzlich unterrichten wir die Fachsprache.“
Vieles ist geschehen, seit Rahimeh Safgare in Deutschland angekommen ist. Einiges hat sich mit viel Einsatz, Zähigkeit und der sprichwörtlichen Prise Glück zum Guten gewandt.
Wenn es um die Zukunft von Rahimeh Safgare geht, sind sich Akademiechefin Möhring und Anne Dann einig: „Ihre Prüfungen im Sommer wird sie ganz sicher bestehen.“