Das Thema war immer emotionsgeladen: Tegel. Der Streit um den Volksentscheid „Pro Tegel" gießt zusätzlich Öl ins Feuer: Wie viel ist der Volkswillen wert? „Mindestens so viel wie ein Parlamentsentscheid", sagt Sebastian Czaja, FDP-Fraktionsvorsitzender und Galionsfigur des Geschehens. Er will weiter kämpfen – mit Fakten und Emotionen.
Herr Czaja, der Volksentscheid im September vergangenen Jahres ist mit 56 zu 41 pro Tegel ausgegangen – und trotzdem tut sich nicht wirklich etwas. Steckt die Sache fest?
Es ist eine Situation, die bislang einzigartig in ihrer Respektlosigkeit und Unverfrorenheit ist. Der rot-rot-grüne Senat ignoriert einen erfolgreichen Volksentscheid, in dem sich rund eine Million Berliner klar zum Flughafen Tegel bekannt haben. Einerseits heißt es: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. In der Realität gilt dieser Grundsatz nur, wenn er politisch genehm ist. Eine ganze Bürgerbewegung dermaßen zu ignorieren, ist schädlich für unsere demokratische Kultur.
Offensichtlich kann man das Ergebnis ja auslegen.
Nein! Mit dem Entscheid vom 24. September 2017 wurde dem Senat ein unmissverständlicher Auftrag erteilt, TXL als Flughafen für die Hauptstadtregion zu erhalten. Dieser Entscheid lässt keinen Spielraum zu irgendwelchen Auslegungen. Der Senat spricht permanent vom „Umgang" mit dem Volksentscheid und erklärt, an der Haltung vor dem Volksentscheid hat sich nichts geändert. Ich verstehe jeden, der da frustriert und enttäuscht ist. Das ist ein Konjunkturprogramm für Politikverdrossenheit. Und das in einer Zeit, in der Parteien erstarken, die sich als Anti-Establishment verstehen. Ich bin überzeugt, wir haben immer noch Möglichkeiten.
Welche denn?
Die Möglichkeiten, die wir derzeit bereits nutzen, sind Gutachter und Auseinandersetzung mit dem Senat. Es gilt immer wieder aufzuzeigen: Der Volksentscheid hat eine Rechtsverbindlichkeit. Im Zweifel werden wir das vom Verfassungsgericht feststellen lassen, deswegen haben wir ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Zweitens: Tegel kann auch rechtlich offen gehalten werden. Das sagen alle Gutachter übereinstimmend – mittlerweile auch Herr Paetow, der das Gutachten des Senats verfasst hat. Es ist möglich und sogar notwendig, wenn der BER bei seiner Eröffnung nicht die geforderte Kapazität sowie 20 Prozent Puffer vorhält.
In Sachen Nicht-Bebauung des Tempelhofer Feldes wurde der Volksentscheid umgesetzt. Was ist denn bei Tegel anders? Dass es zwei weitere Gesellschafter, Brandenburg und den Bund, gibt?
Ein Volksentscheid ist ein Volksentscheid! Deswegen haben wir das ja begutachten lassen. Es wurde immer gesagt, das könne man doch nicht vergleichen mit dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld, das war ein Gesetz. Natürlich war das ein Gesetz – aber es steht nirgendwo, dass nur ein Gesetz bei einem Volksentscheid verbindlich ist.
Warum stand bei Tegel kein Gesetz zur Abstimmung?
Bei Tegel gibt es mehrere Notwendigkeiten, dafür braucht es mehr als ein Gesetz. Das eine ist das Verwaltungshandeln: Der Widerruf vom Widerruf der Betriebsgenehmigung – die muss also wieder erteilt werden, über die Öffnung des BER hinaus. Das könnte die zuständige Senatorin sofort im Rahmen ihrer Fachaufsicht machen. Zudem haben wir die gemeinsame Entwicklungsplanung mit dem Land Brandenburg. Dafür müsste Berlin einen Sonderweg Tegel verabreden, ohne andere gemeinsame Entwicklungsplanungen zu gefährden. Entscheidend ist für den Regierenden Bürgermeister: Er muss verhandeln und durchsetzen, weil sich die Geschäftsgrundlage im Bundesland Berlin aufgrund eines Volksentscheids geändert hat. Damit muss er politisch auftreten und in der Folge auch Gesetze in Angriff nehmen und Änderungen herbeiführen. Der Volksentscheid umfasst genau dieses Maßnahmenpaket.
Das klingt gerade alles andere als volksnah …
Das sind die politischen Notwendigkeiten hinter diesem sehr emotionalen Thema. Dem ging ein hitziger und überaus lebendiger Diskurs voraus, an dem sich die gesamte Stadt leidenschaftlich beteiligt hat. Am Ende hat sich eine große Mehrheit für TXL entschieden. Zudem sind die Hürden für einen Volkentscheid unglaublich hoch, damit nicht jeder zu jedem Thema einen Volksentscheid initiiert. 20.000 Unterschriften sammeln, dann nochmal 174.000, dann kommt das Quorum, die Abstimmung. Die Legitimierung durch den Entscheid der Berliner ist gleichzusetzen mit dem Beschluss eines Parlaments, wenn nicht sogar höherwertig.
Was denken Sie ist also die Strategie des Senats?
Der Senat spielt auf Überdruss und Verdruss bei diesem Thema und natürlich auf politische Mechanismen. Nach dem Motto: Solange der Aufstand ausbleibt, kann man ja so weitermachen…
Aufstand?
Der ist schon allein dadurch gegeben, dass wir jetzt auch in Brandenburg einen Volksentscheid initiiert haben. In nur vier Wochen sind bereits 10.000 Unterschriften gesammelt worden.
Das klingt so, als ob Sie bei einem Fußballspiel 6:5 gewinnen, aber den Siegerpokal nicht kriegen …
Ein schöner Vergleich. Der Senat erkennt den Sieg an, stellt im Nachhinein aber die Spielregeln infrage. Übertragen: Ihr habt ja nicht ein Gesetz, sondern nur die politische Aufforderung zur Wahl gestellt. Das genau ist der Streitpunkt. Aber anders hätte es wiederum geheißen: Das Gesetz reicht nicht, es braucht einen politischen Willen – mit allen Schritten, die daraus folgen.
Eine echte Zwickmühle …
Vielmehr eine Hinhaltetaktik. Der Senat versteckt sich hinter angeblichen Gesetzeshürden, Gesprächen und wechselseitig hinter sich selbst. Wenn es heißt, dass der Senat seine eigene politische Auffassung hat, zeigt das, dass ihm der Volksentscheid egal ist. Wenn sich der Regierende, Michael Müller, und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, zusammensetzen, erklären beide, man könne nichts machen, weil die jeweilige Landesregierung es ja nicht wolle. Ein Spiel auf Zeit, das beide Seiten am Ende nur verlieren können.
Und der Bund?
Der sagt, verständlicherweise, das ist erst einmal landespolitische Aufgabe. Wir reden über das Hoheitsgebiet des Landes Berlin. Die Fakten sprechen zudem jeden Tag mehr für Tegel – aber die politische Situation bleibt unverändert.
Nun hat die Berliner CDU ja ein halbes Jahr nach der letzten Wahl umgeschwenkt, obwohl sie – in Person von Eberhard Diepgen – die Tegel-Schließung mit beschlossen hat …
Herr Diepgen war übrigens einer der ersten, der für Tegel unterschrieben hat. Auch dem emotionalen Thema Tegel liegt eine Sachfrage zugrunde: Was braucht der Luftverkehrsstandort Berlin-Brandenbur? Der frühere Ministerpräsident und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, der uns in der Expertenkommission unterstützt, hat es treffend formuliert: Die Politik muss die Größe haben, Fehlentscheidungen der Vergangenheit auch zu revidieren. 1996 hat man gedacht, Berlin entwickelt sich klein. Alle Zahlen liegen nun darüber, Tendenz steigend. Das ist super für unsere Stadt, deshalb muss sich die Politik doch hinterfragen und die Entscheidungen den Realitäten anpassen. Wir dürfen nicht alles ideologisieren. Wir müssen die Metropolregion Berlin-Brandenburg in den Mittelpunkt
rücken – und das völlig ideologiefrei.
Ideologiefrei? Momentan schäumt die Debatte um Tegel doch vor Emotionen.
Weil der Berliner Senat aus ideologischen Gründen jegliche Beschäftigung mit den drängendsten Fragen von sich weist: ob Kapazitäten am BER, die Erfolgsperspektiven seines Nachnutzungskonzepts, die drängende Platznot der Beuth-Hochschule oder Entwicklungsperspektiven des Luftverkehrsstandortes. Zugleich gibt es auf beiden Seiten eine große Emotionalität bei dem Thema. Tegel ist eine Frage von Identität in der Stadt, genau wie der Friedrichstadt-Palast oder die Charité. Es ist aber keine rückwärtsgewandte Debatte, wie der Senat immer weismachen will, sondern eine Notwendigkeit. Schon der Masterplan 2040 ist dafür der beste Beweis. Der Senat erklärt, 2040 soll der BER möglicherweise die Kapazität haben, die notwendig sind angesichts der Entwicklungen im Luftverkehr. Obwohl das absolut unklar ist, soll Tegel kurz nach der BER-Eröffnung geschlossen werden. Das versteht niemand – vor allem, weil TXL selbst unter vollsten Auslastungen allen Umständen trotzt.
Dennoch: Ist Tegel nicht auch ein Symbol für die Frontstadt Westberlin?
Nein, TXL hat eine andere historische Bedeutung als beispielsweise Tempelhof mit der Luftbrücke. Jedoch hat Tegel als City-Airport eine besondere Bedeutung. Der Zuspruch für Tegel ist stadtweit vorhanden, jeder Berliner hat dabei seine ganz eigene Verbindung zu Tegel. Hinzu kommt, dass TXL aufgrund seiner Funktionalität auch international überaus geschätzt wird. Am Ende geht es aber einzig und allein um die Argumente für die Offenhaltung: Wenn Tegel bleibt, können sich auch die Lasten, zum Beispiel bei den Verkehrsströmen, gerecht über ganz Berlin verteilen.
Aber nicht mehr lange, wenn Tegel so weiter vor sich hin verfällt.
Wir erleben bundesweit anschaulich, wohin es führt, wenn wir unsere Infrastruktur vernachlässigen – TXL ist dabei leider keine Ausnahme. Darum muss der Flughafen für den Weiterbetrieb natürlich ertüchtigt werden. Hinzu kommt, dass der BER 2019 definitiv nicht eröffnet, aber am 1.1.2020 rund 380 Millionen für den Lärmschutz anfallen. Die verbaut man nicht einfach und schließt danach den Flughafen.
Gäbe es denn irgendwelche Zwischenlösungen?
Nein, Tegel ist alternativlos für die Region.