Was tun, wenn dringende Anliegen kein Gehör finden? Man kämpft dafür! So wie Dietmar Peters und rund 100 Mitstreiter. Sie setzen sich in der Bürgerinitiative Berlin Nord/Ost, kurz BINO, für ihre Gesundheit und für den Lärmschutz an der Bahnstrecke Richtung Schwedt ein.
Eigentlich könnte Dietmar Peters sein Leben genießen – eigentlich. Der 65-Jährige ist glücklich verheiratet, bekommt eine gute Rente, erbte vor gut zehn Jahren ein Häuschen im Grünen. Doch genau das ist das Problem: Häuschen und Grundstück liegen direkt an der Bahnstrecke Stettin – Berlin. Und dass auf der viel los ist, merkt man: Wenn die Güterzüge vorbeirauschen, zittern im Haus die Wände. „Das ist nicht auszuhalten." Doch die Peters’ sind nicht die einzigen Betroffenen: Allein am Streckenabschnitt zwischen Berlin-Blankenburg und Panketal in Brandenburg gibt es rund 4.000 direkte „Gleisnachbarn". Das sind nicht wenige, und umso mehr ein Grund, dass sich Peters aufregt: „Die Bahn kümmert sich nicht um Lärmschutz, unsere Gesundheit ist gefährdet!" Noch dazu sei es nachts besonders schlimm.
Um sich gegen den ohrenbetäubenden Lärm zu wehren, hob Peters 2010 mit gut 100 Mitstreitern die Bürgerinitiative BINO e.V. aus der Taufe – mit vollem Namen heißen sie „Bürgerinitiative Berlin Nord/Ost – Gesund Leben an der Schiene". Seitdem hat er viel gelernt: „Heute weiß ich, wie man eine solche Initiative sinnvoll gründet, organisiert und leitet. Und ich weiß auch, wer unser größter Gegner ist – Bundespolitiker und Bundesverwaltungen."
Besuch in Röntgental, einer Wohnsiedlung der Gemeinde Panketal, gut zehn Kilometer nordöstlich von Berlin. Seit 1848 gibt es hier eine Bahnstrecke. Sie verbindet Berlin mit der polnischen Stadt Stettin. „Bahnverkehr gab es hier natürlich schon immer, so richtig schlimm geworden ist es aber erst seit der Jahrtausendwende", erzählt Dietmar Peters. „Daran ist vor allem der steigende Flugverkehr schuld." Flugverkehr? Ja, denn die Flugzeuge brauchen Treibstoff, und die Bahnstrecke am Haus der Peters vorbei ist die direkte Verbindung zwischen Schwedt in der Uckermark und den Berliner Flughäfen. In Schwedt befindet sich die größte Ölraffinerie Ostdeutschlands, das Kerosin wird von dort auf der Schiene nach Berlin gebracht. Das große Problem, so Peters: „Beim Transport werden viele alte Kesselwagen eingesetzt, die laut sind. Rund 50 Züge rollen praktisch jeden Tag durch unsere Vorgärten."
Das wurde immer schlimmer, daher die Gründung der BINO im Jahr 2010. „Dabei waren uns zwei Grundsätze extrem wichtig", erklärt Peters. „Wir haben uns von Anfang an dafür ausgesprochen, Güter von der Straße auf die Schiene zu holen. Aber: Das muss eben leiser werden. Lärm ist ja nachweisbar gesundheitsgefährdend." Ein Grundsatz, der ankommt: Die 100 Mitstreiter sind quasi von Anfang an mit dabei, sie stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten und verschiedensten Berufsgruppen. „Das Spektrum reicht vom Juristen bis zur Krankenschwester". Außerdem wichtig: „Man muss Ziele klar definieren und festschreiben. Wir haben uns deshalb als eingetragener Verein mit einer Satzung gegründet. Dabei hat unser Jurist sehr geholfen, ehrenamtlich, versteht sich."
Laute Güterzüge + leise ICE = durchschnittliche Lärmbelastung
„Ehrenamtlich heißt ja immer ohne Geld", ergänzt Dietmar Peters lachend. Dabei geht „ohne Geld" in einer Bürgerinitiative fast gar nichts. Der Jahresbeitrag der Mitglieder, bei BINO sind es 20 Euro, reiche schlicht nicht aus, um etwas zu bewegen. „Dazu kommt, dass man zu Anhörungen oder Diskussionen fahren muss. Das zahlt dir kein Mensch." Peters selbst sei im Laufe der Jahre in seiner Funktion als Vorsitzender immer wieder im Bundestag, im Bundesverkehrsministerium oder bei der Deutschen Bahn gewesen. „Das habe ich alles aus eigener Tasche bezahlt. Als ich noch kein Rentner war, habe ich zusätzlich Urlaubstage für Termine geopfert."
Bei diesen Terminen trug Peters gebetsmühlenartig seine Forderungen nach Lärmschutz vor. „Wir haben immer wieder Lärmschutzwände oder den Einsatz neuer Züge gefordert. Da lernt man schnell, dass Politiker einen nicht immer ernst nehmen wollen." Eines der Probleme: Beim Thema Lärmmessung werden in Deutschland immer nur Durchschnittswerte ermittelt. „Das ist zum Beispiel in der Schweiz oder Österreich anders. Aber an unserer Bahnstrecke wird die Belastung von modernen und ruhigen Personenzügen mit der Extrembelastung von alten Güterzügen verrechnet." Konkret bedeute das für die Bewertung der Bahnstrecke Berlin – Stettin, die von allen Zugtypen vom ICE bis zum Kesselzug befahren wird: „Insgesamt ist die Belastung durchschnittlich. Dabei rauben uns die Güterzüge in der Nacht den Schlaf und machen uns krank."
Das musste die BINO aber erst einmal nachweisen, erklärt Dietmar Peters. Nun machten sich die über all die Jahre geknüpften guten Kontakte bezahlt: So hätten intensive Gespräche mit Lokalpolitikern und Verwaltungsvertretern im Panketal dazu geführt, dass der Initiative ein Lärmprüfungswagen zur Verfügung gestellt wurde, der normalerweise Fluglärm misst. „Das hat uns sehr geholfen. Wir konnten dokumentieren, dass die Güterzüge nachts mit einem gesundheitsgefährdenden Lärmpegel unterwegs sind." Auch in anderer Hinsicht haben sich die guten Verbindungen bezahlt gemacht: Die Gemeinde Panketal hat dem Verein für seine Arbeit einen Computer geschenkt.
Die Bahn-Anwohner kämpfen also weiter. Aber was geschieht, sollten die Forderungen der BINO nach Lärmschutzwänden und ruhigen Zügen irgendwann einmal umgesetzt sein? „Dann wird sich der Verein auflösen. Das haben wir in unserer Satzung festgeschrieben", sagt Peters. Noch etwas steht auch schon fest: „Was auch immer dann an Vereinsgeld da ist, spenden wir dann an einen Verein für krebskranke Kinder."