Erstmals konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass verblüffende äußerliche Ähnlichkeiten von nicht verwandten Doppelgängern ihren Ursprung in großen Übereinstimmungen ihres Genoms haben dürften. Unterschiede gab es hingegen in den mehr von der Umwelt beeinflussten Faktoren Epigenom und Mikrobiom.
In den Sozialen Medien hatte ein Fotoprojekt des Künstlers François Brunelle mit dem Titel „Ich bin kein Doppelgänger!" für Furore gesorgt, in dem der Kanadier Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Menschen mit verblüffend ähnlichen Gesichtszügen im Web vorgestellt hatte. Per Zufall wurde der spanische Molekularbiologe Dr. Manel Esteller, Direktor des in Barcelona ansässigen Josep Carreras Leukaemia Research Institute, auf die Bilderserie aufmerksam, für deren Entstehung die Entdeckung eines eigenen Doppelgängers durch den Künstler in Gestalt des britischen Schauspielers Rowan Atkinsons ursächlich war.
Dr. Esteller hatte sich bis dahin in seiner Forschungsarbeit vor allem mit eineiigen Zwillingen beschäftigt und untersucht, warum sich diese trotz exakt der gleichen DNA in bestimmten Merkmalen unterscheiden. Dabei hatte er vor allem die Rolle von sogenannten epigenetischen Faktoren unter die Lupe genommen, welche die Aktivitäten der Gene auch aufgrund von Umwelteinflüssen verändern können. Was unmittelbar die Frage aufwerfen musste, ob die Gene oder die Umwelt den Menschen am stärksten prägen.
Die Doppelgänger schienen ihm vor diesem Hintergrund einen hochinteressanten Untersuchungsansatz zu bieten, weil es sich bei ihnen um Menschen handelt, die ohne jegliche verwandtschaftliche Beziehungen ein ähnliches Aussehen aufweisen. Es schien ihm spannend, die Ursachen dafür wissenschaftlich herauszuarbeiten – zu ermitteln, ob die phänotypische Ähnlichkeit auf Gemeinsamkeiten im Genom, eher auf andere Faktoren wie die Umwelt oder auf reinen Zufall zurückgeführt werden kann.
„Das Aussehen von Menschen, die einander ähneln wie eine Fotokopie", so Dr. Esteller, „hat in der Kunst und Populärkultur viel Beachtung gefunden. Aber bisher wurde es nie aus wissenschaftlicher Sicht untersucht." Dabei wird es längst als Allgemeinwissen angesehen, dass es für jeden Erdenbürger irgendwo auf dem Globus einen Gegenpart gibt, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht; was aber für den Einzelnen erst im Zeitalter des Internets dank unzähliger Bildveröffentlichungen recht einfach und schnell verifiziert werden kann. „Seit Jahrzehnten wird die Existenz von Individuen, die sich ohne familiäre Bindungen ähneln, als erwiesen beschrieben, aber nur anekdotisch und ohne wissenschaftliche Begründung", so Dr. Esteller.
Er nahm Kontakt mit dem Fotokünstler Brunelle auf und wählte aus der Serie von rund 200 Doppelgängern 32 Paare aus, die ihm auf den ersten Blick die größten Übereinstimmungen in ihrem Gesichtsprofil aufzuweisen schienen. Mit seinem Team, darunter dem jungen Molekularbiologen Ricky Shantilal Joshi, ließ er die Ähnlichkeit der ausgewählten Paare zunächst mithilfe dreier Gesichtserkennungsprogramme überprüfen. Die Software konnte für die Hälfte der Paare so hohe Übereinstimmungswerte ermitteln, wie sie sonst nur bei eineiigen Zwillingen erzielt werden können.
Für jeden soll es auf der Welt einen Doppelgänger geben
Auf diese vergleichsweise kleine Gruppe von 16 Doppelgänger-Paaren, die fast ausschließlich aus Europäern bestand, konzentrierten die Wissenschaftler ihre Arbeit, deren Ergebnisse sie jüngst im Fachmagazin „Cell Reports" veröffentlicht haben. Sie konnten alle Porträtierten zur Teilnahme an ihrer Studie bewegen und baten sie zur DNA-Analyse um die Abgabe einer Speichelprobe sowie um das Ausfüllen eines ausführlichen Fragebogens bezüglich ihres Lebensstils, ihrer Vorlieben und Gewohnheiten. Die Speichelproben, von denen sich die Wissenschaftler den Nachweis versprochen hatten, dass die DNA so viele Gemeinsamkeiten aufweisen würde, wie es die Gesichtsähnlichkeiten hatten vermuten lassen, wurden mittels einer sogenannten Multiomics-Analyse untersucht, um Erkenntnisse bezüglich des Genoms, des Epigenoms (worunter chemische Veränderungen der genetischen Bausteine verstanden werden) und des Mikrobioms (hier: der Bakterienzusammensetzung im Speichel) zu gewinnen. Laut Dr. Esteller mag es zwar wie eine Binsenweisheit klingen, dass Menschen, die sich besonders ähneln, auch mehr gemeinsame Gene haben müssten, „es wurde aber nie bewiesen".
Bei neun der 16 Paare waren die Erbgut-Überschneidungen so stark ausgeprägt, dass sie von den Forschern als „Ultra-Lookalikes" bezeichnet werden konnten. Bei ihnen stimmten 19.227 Genvarianten von 3.730 Genen überein. Aber auch sonst waren die Genom-Gemeinsamkeiten unter den Doppelgängern verblüffend hoch, wobei im Rahmen der Genom-Analyse insgesamt 4,3 Millionen Genvarianten überprüft wurden, während im Zuge des Epigenom-Vergleichs 850.000 verschiedene Anlagerungsstellen an der DNA untersucht wurden.
Auffällig war, dass sich die größten Gemeinsamkeiten bei genau den Genen nachweisen ließen, die für das Aussehen des Gesichts, vor allem der Ausprägung von Mund, Nase, Augen, Kinn und Stirn, entscheidend sind. „Dies spricht dafür", so die Forscher, „dass die äußerliche Ähnlichkeit von Doppelgängern auf eine genetische Ähnlichkeit zurückgeht", sprich: dass das ähnliche Aussehen der Paare letztendlich mit Gemeinsamkeiten in ihrer DNA zusammenhängt und die Umgebung, in der sie aufgewachsen sind, eine eher untergeordnete Rolle spielt. Was den Studienleiter Dr. Esteller nach eigenem Bekunden schon ziemlich überrascht hat, weil er einen größeren Einfluss der Umwelt erwartet hatte.
Denn bei der Analyse von Epigenom und Mikrobiom konnten so gut wie keine eindeutigen Ähnlichkeiten zwischen den Doppelgängern festgestellt werden. Mit einer Ausnahme beim Epigenom, denn bei dem sogenannten epigenetischen Alter gab es bei den Doubles deutlich mehr Übereinstimmungen als bei zufälligen Kontrollpaaren. Dieses Alter verrät sich durch das Muster von Methyl-Anlagerungen an die DNA, das sich im Laufe des Lebens auf typische Weise verändert, wodurch letztendlich das Ablesen der Gene beeinflusst wird. „Die DNA-Methylisierung als Marker des biologischen Alters könnte demnach", so die Forscher, „auch zu den phänotypischen Gemeinsamkeiten von einander besonders ähnlichen Doppelgängern beitragen."
Teilen auch andere Merkmale
Dank der Auswertung der Fragebögen konnten die Wissenschaftler zudem nachweisen, dass Gemeinsamkeiten im Genom auch ihre Entsprechung in anderen Bereichen wie der Körpergröße, dem Gewicht, bestimmten persönlichen Vorlieben wie dem Rauchen, dem Bildungsstand oder der Lebensweise gefunden hatten. „Menschen mit einem ähnlichen Gesicht teilen demnach auch viele andere genetisch beeinflusste körperliche und wahrscheinlich auch psychische Merkmale", so das Forschungsteam. „Unsere Studie bietet einen seltenen Einblick in die menschliche Ähnlichkeit", so Dr. Esteller, „indem sie zeigt, dass Menschen mit extrem ähnlichen Gesichtern gemeinsame Genotypen haben, während sie auf der Ebene des Epigenoms und des Mikrobioms nicht übereinstimmen. Die Genomik bringt sie zusammen und der Rest unterscheidet sie voneinander."
Das Forscherteam erachtet das Ergebnis seiner Studie nicht nur als „molekulare Grundlage für zukünftige Anwendungen in Bereichen wie Biomedizin, Evolution und Forensik", sondern wies auch auf direkte praktische Einsatzmöglichkeiten in zwei Bereichen hin, nämlich in der genetischen Diagnose und der Forensischen Medizin.
Wenn Menschen viele ähnliche Gene aufweisen, könnte bei ihnen demnach auch eine gemeinsame Disposition für Krankheiten vorliegen, was bei der Prophylaxe von Gesundheitsschäden ungemein hilfreich sein könnte. In der kriminalistischen Forensik könnte sich die – ethisch allerdings ziemlich umstrittene – Möglichkeit eröffnen, anhand von sichergestellter DNA ein Gesicht zu rekonstruieren.