Im Saarland gibt es ein dichtes Netz an Haltestellen und eine gute Erreichbarkeit, so Ministerin Petra Berg (SPD). Für eine gelingende Verkehrswende sowie ein Nachfolgeticket für das 9-Euro-Ticket wird aber dringend Geld vom Bund benötigt.
Frau Berg, seit einigen Wochen wird um eine Nachfolgereglung für das 9-Euro-Ticket gerungen. Wird es eine geben?
Ich gehe davon aus, dass es eine Nachfolgeregelung gibt, weil das 9-Euro-Ticket in seiner Umsetzung und durch die Annahme der Bevölkerung ein Erfolgsschlager war. Die Länder wollen es auch, aber es ist eine Frage der Finanzierung, die bisher noch nicht geklärt ist. Im Entlastungspaket des Bundes stehen bisher 1,5 Milliarden Euro dafür drin. Weil aber die einzelnen Länder unterschiedliche Strukturen haben, wird man über die Einzelheiten sprechen müssen. Klar ist auch, und das haben wir Verkehrsministerinnen und -minister der Länder bei unserer Sonderkonferenz gegenüber dem Bund letzte Woche auch deutlich vertreten: Ein bundesweit gültiges Klimaticket kann es nicht geben ohne die im Mobilisierungspakt vom Bund zugesagte Mittelerhöhung für die Verkehrsinfrastruktur. Ticket und Erhöhung der Regionalisierungsmittel muss zusammen gedacht werden. Andernfalls wird uns dringend benötigtes Geld für die Bestandsverkehre und den Ausbau fehlen. Ein bundesweites Ticket kann nur nachhaltig und erfolgreich sein, wenn das ÖPNV-Angebot stimmt. Leider haben die Länder vom Bund bisher nichts Konkretes zur Klärung der Grundfinanzierung erfahren. Bundesminister Wissing ist bei der Sonderkonferenz völlig unverbindlich geblieben.
Es gab bereits Meldungen, dass Bundesländer wegen der Finanzierung Verkehre abbestellen mussten. Wie problematisch ist die Situation?
In den Ländern ist die Situation tatsächlich problematisch. Die Länder haben zu wenig Mittel, und das Problem wird jetzt noch einmal größer durch die hohen Energiekosten und durch steigende Personalkosten. Wenn der Bund die Regionalisierungsmittel nicht erhöht, werden wir die Bestandsverkehre wohl nicht alle erhalten können.
Die Ministerpräsidentin hat bereits formuliert, es brauche nicht nur ein Preissignal, sondern auch ein Angebotssignal. Über welche Summe reden wir im Zusammenhang mit dem 9-Euro-Ticket?
Das hängt natürlich davon ab, wie es ausgestaltet wird. Wir haben im Saarland ja vor Kurzem eine Tarifreform gemacht und haben damit eine gute Tarifstruktur. Jetzt kommt es darauf an, in welcher Größenordnung es eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket gibt und wie es in die einzelne Struktur wirkt. Wenn ein 69-Euro-Ticket käme, wäre natürlich aufgrund der Einnahmen der Zuschussbedarf geringer als bei anderen Lösungen. Darüber hinaus muss das Land weiterhin Schüler- und Azubi-Tickets anbieten. Und die werden in einer Preiskategorie angeboten werden müssen, die eine Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets nicht erreicht. Die Länder wollen jetzt gemeinsam mit dem Bund eine Arbeitsgruppe einsetzen, die bis zur regulären Verkehrsministerkonferenz am 12./13. Oktober die Rahmenvorgaben festlegt und Ticketmodelle vorlegt.
Das Saarland hat bereits viel Erfahrung damit gemacht, wie es ist, unterschiedliche Verbünde unter einen Hut zu bringen. Kann man dieses Know-how jetzt einbringen, wenn es um Verhandlungen unter den Ländern mit den unterschiedlichen Strukturen geht?
Die Erfahrung hilft auf jeden Fall. Das Saarland unterstützt vor allem die notwendige Transparenz. Der Bundesverkehrsminister hat Transparenzlisten eingefordert, um die Verwendung der Regionalisierungsmittel feststellen zu können, dabei hat das Saarland Unterstützung geleistet. Dabei ist auch herausgekommen, dass die Regionalisierungsmittel – Stand heute – nicht ausreichen, um die Verkehre finanzieren zu können. Wie die Strukturen in den einzelnen Ländern aufgestellt sind, das muss jedes Land für sich selbst entscheiden, ebenso wie es eine Nachfolgeregelung für das bundesweite 9-Euro-Ticket umsetzt. Das wird schon eine große Herausforderung, dieses Angebot zu schaffen. Beim 9-Euro-Ticket ist es uns gelungen, das quasi über Nacht aufzusetzen. Jetzt muss es darum gehen, eine Nachfolge dauerhaft etablieren und durchgängig digital anbieten zu können und sich auf ein gemeinsames Verfahren zu verständigen.
Zum ÖPNV im Saarland gab es unlängst eine viel diskutierte Untersuchung, wonach es im Land eine große Unzufriedenheit mit
dem ÖPNV gibt. Ist das aus Ihrer Sicht plausibel, und falls ja: Woran hängt es?
Um es vorwegzunehmen: Plausibel war die Untersuchung für uns nicht. Die Studie wurde in einem Zeitraum erstellt, in dem die von uns neu eingeführten Plus- und X-(Express-)Busse noch gar nicht berücksichtigt waren. Wir kennen auch die genauen Fragen dieser Befragung nicht. Was wir wissen ist, dass es um die öffentliche Finanzierung der Infrastruktur ging. Inwieweit konkrete Verkehrsangebote betrachtet wurden, wissen wir nicht. Die Studienteilnehmer sagten zwar, dass der ÖPNV nicht so gut ist, sie haben aber auch nicht gefordert, dass mehr investiert werden muss. Etwas frei interpretiert nach dem Motto: Wir fahren sowieso Auto. Das Saarland hat bekanntlich eine sehr gut ausgebaute Straßeninfrastruktur, die Menschen kommen überall schnell hin, es gibt nicht die großen Staus wie in den Ballungszentren. Es ist wie der Fluch der guten Tat: Eine gut ausgebaute Straßeninfrastruktur führt dazu, dass der ÖPNV von den Menschen nur stiefmütterlich betrachtet wird.
Bund-Länder-Beratungen über Nachfolger des 9-Euro-Tickets bis Mitte Oktober
Eine immer wieder geäußerte Kritik betrifft den Service im ÖPNV. Da hat sich einiges getan, trotzdem ist offenbar noch einige Luft nach oben.
Wir sind da ständig dran. Wenn man unter Service das Angebot an Linien und Verkehren versteht, ist es tatsächlich so, dass der städtische Raum gut angebunden ist, im ländlichen Raum noch Bedarfe bestehen. Die so genannte „letzte Meile" ist oft ein Hinderungsgrund, den ÖPNV zu benutzen. Wir haben aber dazu auch eine neue Studie der Stiftung Agora Energiewende. Dort wurde festgestellt, dass das Saarland ein dichtes Netz an Haltestellen und eine gute Erreichbarkeit hat. Dazu wurden die Fahrplandaten ausgewertet, also das, was an Angeboten real existiert, und da hat das Saarland mit Sachsen und Baden-Württemberg einen Spitzenplatz. Insofern sind wir nicht abgehängt, sondern stehen im Gegenteil auf einem bundesweiten Spitzenplatz. Das ist aber nicht so publik. Und da kommt auch wieder das 9-Euro-Ticket ins Spiel. Die Menschen haben den ÖPNV damit ganz anders wahrgenommen, nämlich als attraktive Möglichkeit in ihrer Mobilität. Wenn es gelingt, durch eine Nachfolgeregelung die Kunden zu halten, dann ist das schon ein sehr großer Erfolg. Dazu müssen wir den ÖPNV sicherlich attraktiver machen, aber ich glaube auch, dass der ÖPNV im Saarland oft schlechter geredet wird, als er ist.
Bei den Angeboten hat sich einiges getan. Dazu gehören auch Bürgerbusse. Wie sind die ersten Erfahrungen?
Wir haben ein Programm aufgelegt mit 150.000 Euro Förderung. Etliche Gemeinden haben Anträge gestellt. Wallerfangen, Gersheim, Eppelborn, Mandelbachtal, Püttlingen und Kirkel haben bereits eine Förderzusage erhalten. Die Projekte werden evaluiert, 2023 werden Ergebnisse vorliegen, und dann wird über eine Weiterführung entschieden. Bürgerbusse sind ein wichtiger Baustein für die Menschen in den ländlichen Gebieten, in denen die Taktung nicht ausreicht.
Zur besseren Anbindung im ländlichen Raum haben Sie jetzt sogenannte On-Demand-Verkehre auf den Weg gebracht. Was verbirgt sich dahinter?
Die Anbindung des ländlichen Raums kann uns aufgrund der Taktung oft nicht zufriedenstellen. Wir versuchen ja so ein bisschen, das Henne-Ei-Prinzip im ÖPNV aufzulösen: Wo keine Busse fahren und es keine Taktung gibt, gibt es keine Nachfrage, und wo es keine Nachfrage gibt, fährt auch kein Verkehr. Das muss durch attraktive Angebote aufgebrochen werden, und da können On-Demand-Verkehre einen guten Teil dazu beisteuern. Bei Potenzialanalysen haben sich 50 Gebiete herauskristallisiert, in denen das möglich ist. Wir erhoffen uns davon, den ÖPNV noch einmal ein Stück attraktiver zu machen. Das läuft jetzt, Kommunen können sich bewerben. Das Interesse war extrem groß. Es ist durchaus möglich, im ländlichen Raum ÖPNV zu nutzen, aber die Menschen haben das noch nicht so auf dem Schirm. Wir müssen dafür werben. Unser ÖPNV im Saarland ist nicht schlecht.
Es gibt die Förderprogramme und Angebote, die werden aber unterschiedlich stark angenommen, manche finden es zu kompliziert. Welche Rolle spielen Kommunen bei der Entwicklung?
Wir haben Kommunen, die das sehr gut annehmen. Wir haben aber auch Landkreise, die den ÖPNV nicht zu ihrer prioritären Zielsetzung machen. Da können wir als Land natürlich nur Angebote machen, wir sind ja kein Verkehrsträger. Im Übrigen sind Kommunen gerade jetzt, da die Energiepreise so steigen, auf Unterstützung durch das Land angewiesen. Wir arbeiten an einer Energiepauschale für die Kommunen, damit sie die gestiegenen Kosten tragen können. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Ticketpreise stabil bleiben. Wir stehen als Land dafür ein, entstehendes Defizit aufzufangen, auch um die Tarifreform, die wir auf den Weg gebracht haben, stabil zu halten. Man muss aber auch sagen, dass das bei den Preissteigerungen, die uns jetzt drohen, nicht mehr so ohne Weiteres möglich sein wird. Wir versuchen, steigende Ticketpreise zu vermeiden, aber es ist nicht ausgeschlossen.
Preissteigerungen setzen auch den Landeszuschuss für den ÖPNV unter Druck
Gibt es dazu Berechnungen oder Szenarien?
Es gibt Zahlen und Annahmen, und wir setzen uns auch mit den Beteiligten an einen Tisch, um das zu verhandeln. Generell kann man sagen: Bundesweit hält die Branche Preissteigerungen von fünf bis sechs Prozent für maximal durchsetzbar. Wir haben im Saarland aber Steigerungen von etwa 14,5 Prozent bei Energie- und Produktionskosten. Das wird eine spannende Aufgabe. Man darf dabei nicht vergessen, dass wir immer noch Corona-Schäden haben, die im Jahr 20 Millionen Euro ausmachen. Wir haben außerdem seit 2019 im SaarVV keine Tariferhöhungen mehr, die steigenden Kosten gleichen wir als Land aus. Wir haben die Tarifreform vor eineinhalb Jahren mit viel Geld auf den Weg gebracht. Dazu kommt jetzt die aktuelle Entwicklung. Da droht einiges über den Haufen geworfen zu werden. Und wir wissen nicht, was bei der Anschlussregelung für das 9-Euro-Ticket auf uns zukommt. Deshalb wird mit unterschiedlichen Szenarien gearbeitet. Wir müssen sehen, was am Ende dabei rauskommt.
Wie sieht es dann aus mit der Verkehrswende unter diesen Rahmenbedingungen?
Die Verkehrswende ist eine große Herausforderung, aber sie muss gelingen. Der Klimawandel kann nur durch eine Mobilitätswende gestoppt werden. Verkehr ist ein großer Faktor beim CO2-Ausstoß. Wenn wir nicht erreichen, mehr Mobilität bei weniger Verkehr hinzukriegen, kann man dem Klimawandel nicht so entgegentreten, wie wir uns das vorstellen. Durch den trockenen und heißen Sommer sind die Menschen einmal mehr dafür sensibilisiert, was Klimawandel bedeutet, und eher bereit, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern. Jüngere Menschen sowieso. Wir wollen die Menschen im Automobilland Saarland auch zu anderen Mobilitätsformen bewegen. Die Mobilitätswende muss gelingen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Menschen sind zunehmend flexibel in ihrem Mobilitätsverhalten, E-Bikes oder E-Roller als Beispiele. Wie kann Politik darauf reagieren?
Indem wir ein attraktives Angebot schaffen. Flexibilität hat auch etwas mit den Angeboten zu tun. E-Bikes und E-Roller an Verkehrsknotenpunkten bieten Möglichkeiten, dass Menschen sich bei der Wahl der Verkehrsmittel abwechseln können. Wir sind da auch insbesondere im städtischen Raum gut dabei, wir fördern Mobilitätsstationen. Wir bekommen jetzt auch aufgrund von Homeoffice immer wieder Anfragen zu einem Flexiticket. Unser Problem ist aber, dass wir eine Grundfinanzierung brauchen. Wir vergleichen das mit einem Handyvertrag, wo man einen festen Betrag zahlt, egal, ob man viel oder wenig telefoniert. ÖPNV-Angebote wollen viele Menschen nur bezahlen, wenn sie sie gerade nutzen. Bus und Fahrer müssen aber immer vorgehalten werden. Das ist schwierig. Wenn wir jetzt beispielsweise bei einem 49-Euro-Ticket in den Verhandlungen rauskämen, wäre das auch so etwas wie ein Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Ich glaube, dass die Attraktivität für ein durchlaufendes Abo vom Angebot abhängt und höhere Preise für diejenigen, die nur sporadisch den ÖPNV benutzen wollen, durch die Preisgestaltung machbar sind.
Zum Stichwort Kombination von Verkehrsträgern und intelligente Verbünde: Welche Rolle spielt das Fahrrad dabei auch mit Blick auf die technologische Entwicklung, also E-Bikes?
Das spielt jetzt schon eine wichtige Rolle. Wir werden bis Ende dieses Jahres einen Radverkehrsplan veröffentlichen. Dabei wird das Radverkehrsnetz noch mal völlig überarbeitet und konkretisiert. Es geht dabei auch um gute Anbindungen des Radverkehrsnetzes an das öffentliche Verkehrsnetz. Es ist aber auch klar, dass wir die Nutzung der E-Bikes als schnelles Verkehrsmittel im Blick haben. Bei Radschnellwegen ist es jetzt so, dass der Bund seine Finanzierung nicht so stemmt, wie wir das haben wollten. Es ist jetzt nur ein Teilbereich möglich.
Grundsätzlich: Sie führen jetzt nicht ein Verkehrs- sondern ein Mobilitätsministerium. Was hat sich dadurch geändert außer der Bezeichnung?
Ganz Entscheidendes, nämlich dass bei der Planung und Ausführung von Infrastrukturprojekten, ob Straßen oder Radwege, immer Klimaschutz im Fokus steht, Umweltschutz mitgedacht wird – und das in einem Haus. Das eine kann nicht mehr ohne das andere erfolgen, und das ist der entscheidende Punkt: dass alles zusammen gedacht wird.
Bei Planungen soll künftig immer Klimaschutz im Vordergrund stehen
Vorher war Verkehr im Wirtschaftsministerium, jetzt ist Mobilität im Umweltministerium. Ist das ein Paradigmenwechsel?
Nein. Wir haben schon immer gesagt, dass bei uns im Land Ökologie und Ökonomie zusammenpassen müssen. Wir stehen vor den Herausforderungen einer großen Transformation in der Wirtschaft. Das heißt auch, gute Anbindungen zu schaffen, damit bei Neuansiedlungen oder Ausbau die Infrastruktur stimmt und zugleich dabei Umweltgesichtspunkten Rechnung getragen wird. Da hat unser Ministerium, wie ich finde, eine herausgehobene Stellung, beispielsweise auch, wenn es um Planungsbeschleunigung geht. Wir achten darauf, dass Beteiligungsmöglichkeiten von Interessengruppen nicht hinten runterfallen. Durch die Bündelung in einem Ministerium ist es sehr gut möglich, Verfahren zu beschleunigen und dabei ordnungsgemäße Beteiligungen zu gewährleisten.
Wie soll das angesichts der Kapazitäten gelingen?
Wir hatten, als das Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht worden ist, vom Bund mehr Personal gefordert. Das ist uns nicht zugesagt worden. Wir müssen das also selbst bewältigen und schauen, wie wir in den personellen Strukturen effizienter werden.
Bei all den beschriebenen Schwierigkeiten: Gibt es eine Vision, wie Mobilität im Saarland in zehn Jahren aussieht?
Ja. Öffentlicher Personennahverkehr im Saarland in zehn Jahren heißt eine Verdopplung im ÖPNV- und im Radverkehr, bedeutet, dass Mobilität im Rahmen der Daseinsvorsorge für eine echte Teilhabe sorgt. Das wird bei den jetzigen Sprit- und Energiepreisen nicht mehr über den Automobilverkehr zu bewerkstelligen sein. Ein attraktives ÖPNV-Angebot ist auch ein Stück Freiheit: Menschen sollen mobil sein und es sich auch leisten können. Auch die wirtschaftliche Entwicklung wird davon abhängen, wie Menschen gut, schnell und attraktiv ihren Arbeitsort erreichen. Die Verkehrsmittel im ÖPNV sollen dann klimafreundlich und umweltgerecht sein. Das ist unser Ziel und der Anspruch, den wir an uns haben.