Spätestens mit der UAE-Tour beginnt für die Radprofis im Februar die heiße Phase der Vorbereitung. Wobei der zu erwartende Zweikampf zwischen Tadej Pogacˇar und Jonas Vingegaard bei der Tour de France jetzt schon seine Schatten voraus wirft.
Keine bösen Überraschungen für die 18 Topteams der UCI World-Tour vor dem Start in die Saison 2023. Denn der Radsport-Weltverband hat allen Mannschaften der ersten Liga des internationalen Radsports die Lizenz erteilt. Das Team DSM mit seinem jungen deutschen Hoffnungsträger Marco Brenner hatte allerdings die Auflage zur nachträglichen Einreichung weiterer finanzieller Unterlagen erhalten. Bei den anstehenden Rennen der Saison 2023 wird man sich daran gewöhnen müssen, im Teilnehmerfeld wegen Karriereende große Namen wie Tom Dumoulin, Alejandro Valverde oder Vincenzo Nibali zu vermissen. Dazu gab es wieder eine ganze Reihe von Transfers prominenter Stars. Vor allem der Wechsel von Mark Cavendish von Quick-Step zu Astana, von Richard Carapaz von Ineos Grenadiers zu Education EasyPost oder des letztjährigen Paris-Roubaix-Siegers Dylan van Baarle von Ineos Grenadiers zu Jumbo-Visma sind erwähnenswert. Auch der deutsche Rennstall Bora-Hansgrohe hat mit dem Weggang des Niederländers Wilco Kelderman zu Jumbo-Visma und des Österreichers Felix Großschartner zum UAE Team Emirates rund um Superstar Tadej Pogačar zwei starke Fahrer verloren.
Eine Reihe großer Transfers
Neben den Frühjahrsklassikern, denen der auf toskanischen Schotterstraßen ausgetragene, zum Halbklassiker aufgestiegene und daher prominent besetzte Strade Bianche am 4. März 2023 vorgeschaltet ist – und bei dem Tadej Pogačar Titelverteidiger ist – werden die Profis ihr Hauptaugenmerk in den kommenden Monaten wieder auf die drei großen Rundfahrten richten. Und wohl auch eine Teilnahme an den von der UCI völlig neu konzipierten Radsport-Weltmeisterschaften rund um Glasgow im August 2023 in Erwägung ziehen. Weil erstmals in der Radsport-Geschichte alle in der UCI zusammengeschlossenen Verbände, von Straßensport über Bahnradsport bis hin zu Montainbikesport oder BMX-Rennsport, ihre Titelträger in einer gemeinsamen Veranstaltung ermitteln werden. Die heimischen Radsport-Fans dürfen sich schon mal auf die – allerdings nicht zur World-Tour-Kategorie zählende – Deutschland-Tour freuen, die am 23. August im saarländischen St. Wendel mit einem anspruchsvollen Prolog starten wird.
Bei den Frühjahrs-Klassikern wird Tadej Pogačar versuchen, den schon im Vorjahr angestrebten Triumph bei Mailand-Sanremo, bei der Flandern-Rundfahrt, bei Paris-Roubaix oder bei Lüttich-Bastogne-Lüttich zu realisieren und nicht wieder wie 2022 bei der Flandern-Rundfahrt und bei Mailand-Sanremo das Podium knapp zu verfehlen. Wobei sein Lieblingsklassiker ohnehin die erst im Herbst anstehende Lombardei-Rundfahrt sein dürfte, die er 2022 ebenso für sich entscheiden konnte wie die UAE Tour und die Rundfahrt Tirreno-Adriatico. Bei dieser konnte Pogačar seinen Hauptkonkurrenten, den Dänen Jonas Vingegaard von Jumbo-Visma, auch um den diesjährigen Tour de France-Sieg, auf den zweiten Platz verweisen. Vingegaard sieht seine Stärken ohnehin nicht in den Eintagesklassikern, sondern in den schweren Rundfahrten, weil er dabei von seinem schnellen Regenerationspotenzial profitieren kann. Für die nähere Zukunft hat er sich daher das Ziel gesetzt, alle drei wichtigen Grand Tours zu gewinnen, also nicht nur die Frankreich-Rundfahrt, die er 2022 vor Pogačar für sich entschieden hatte, sondern auch den Giro und die Vuelta. Am ehesten rechnet sich Vingegaard Siegchancen bei der Lombardei-Rundfahrt aus, mit Abstrichen auch bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, wo sein bislang bestes Resultat aber nur Rang 28 gewesen war.
Kapitän: Niederlande schafft Klarheit
Von daher dürfte Pogačar bei den Frühjahrsklassikern eher mit anderen Konkurrenten wie den Niederländern Mathieu van der Poel und Dylan van Baarle, dem Belgier Wout van Aert, dem Briten Tom Pidcock, dem Franzosen Julian Alaphilippe oder auch dem Slowenen Matej Mohoric zu rechnen haben. Speziell mit der Verpflichtung von Dylan van Baarle als starken Kollegen an der Seite von Wout van Aert verspricht sich Jumbo-Visma große Chancen bei der Flandern-Rundfahrt und bei Paris-Roubaix. Auch hat das erfolgreichste Team der Niederlande frühzeitig Klarheit um die Kapitänsrolle bei der kommenden Tour de France geschaffen. Statt wie in den vergangenen Jahren auf zwei Fahrer im Kampf ums Gesamtklassement zu setzen, hat sich Jumbo-Visma nun auf Jonas Vingegaard als alleinigen Chef festgelegt und Primož Roglič aus dem Tour-Aufgebot gestrichen. Stattdessen wurde der Slowene als Kapitän für den Giro d’Italia nominiert, bei dem er im Kampf um den Gesamtsieg aber auf starke Kontrahenten wie den Belgier Remco Evenepoel von Soudal Quick-Step oder den Russen Alexander Wlassow von Bora-Hansgrohe treffen wird. Für die Tour de France 2023 hat das Team Jumbo-Visma für seinen Kapitän und Titelverteidiger Jonas Vingegaard schon mal die Favoritenrolle reklamiert: „Wir haben letztes Jahr herausgefunden, wie wir Pogačar besiegen können. Wir kennen seine Stärken und die Bereiche, in denen Jonas ihm überlegen ist. Wir kehren mit einem soliden Plan zur Tour zurück und glauben, dass wir mit Jonas wieder nach Gelb streben können“, so Sportdirektor Merijn Zeeman.
Mehr Qualität bei UAE Emirates
Statt ähnlich große Töne zu spucken, hat Pogačars UAE Team Emirates seinen Kader qualitativ weiter aufgerüstet. Das einst aus den Überresten des italienischen Traditionsrennstalls Lampre mit reichlich Petrodollars aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gegründete Team, das anfangs nur mit nicht sonderlich starken Fahrern rund um den Alleinunterhalter Tadej Pogačar aufgebaut worden war, hat sich inzwischen zu einer Macht im internationalen Radsport entwickelt, wofür 48 Siege und 113 Podiumsplatzierungen im Jahr 2022 ein ausreichender Beleg sein dürften. Dass Pogačar in den Jahren 2020 und 2021 ohne ausreichende Team-Unterstützung die Tour de France quasi im Alleingang gewinnen konnte, hatte ihm seinen Nimbus als Jahrhunderttalent eingetragen. Dem allerdings inzwischen mit Jonas Vingegaard ein Konkurrent auf Augenhöhe und mit einem bärenstarken Team erwachsen ist. Daher blieb dem UAE Team Emirates gar nichts anderes übrig, als seinen Kader ebenfalls signifikant zu verbessern. Folglich wurde das Edelhelfer-Team rund um den Portugiesen João Almeida, den Polen Rafał Majka oder den Spanier Marc Soler durch hochkarätige Neuankömmlinge wie den Briten Adam Yates, den Österreicher Felix Großschartner, den Belgier Tim Wellens, den Slowenen Domen Novak oder den Australier Jay Vine weiter verstärkt.
Seine hochgesteckten Ambitionen für die Saison 2023 hat das UAE Team Emirates dann auch gleich beim ersten Rennen der World Tour-Serie mit dem Sieg von Jay Vine bei der Tour Down Under vom 17. bis 22. Januar unter Beweis stellen können. Beim zweiten UCI-World Tour-Event am 29. Januar, dem Cadel Evans Great Ocean Road Race, Australiens bedeutendstem Eintagesrennen, hatte dann überraschenderweise der junge deutsche Profi Marius Mayrhofer (Jahrgang 2000) vom Team DSM nach furiosem Sprint triumphieren können.
Beim dritten Rennen der World Tour-Saison 2023, der UAE Tour in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wird Tadej Pogačar auf den sieben Etappen zwischen dem 20. und 26. Februar seinen dritten Titel nach 2021 und 2022 gewinnen wollen. Allerdings hat er mit Remco Evenepoel einen starken Konkurrenten, kann aber aus dem eigenen Team auf Unterstützung durch Adam Yates vertrauen. Zum erweiterten Favoritenkreis können der Spanier Pello Bilbao von Bahrain-Victorious, der Niederländer Dylan Groenewegen vom Team Jayco AlUla, der Belgier Tim Merlier von Soudal Quick Step oder der Ire Sam Bennett von Bora-Hansgrohe gezählt werden. Allerdings dürfte es ziemlich unwahrscheinlich sein, dass sie Pogačar beim elf Kilometer langen Anstieg zum Jebel Haffet wirklich Paroli bieten können.
49. Auflage der Algarve-Rundfahrt
Für die 49. Auflage der nicht zur UCI World Tour zählenden Algarve-Rundfahrt, die zwischen dem 15. und 19. Februar ausgetragen wird, haben 25 Teams ihre Meldung abgegeben. Für den Gesamtsieg dürfte der amtierende australische Giro-Sieger Jai Hindley von Bora-Hansgrohe am höchsten gehandelt werden. Aber auch der Brite Geraint Thomas von Ineos Grenadiers und der Franzose Warren Barguil vom Team Arkéa Samsic machen hier so etwas wie ihren persönlichen Saisoneinstieg. Stark einzuschätzen sind sicherlich auch Jay Vine, der Schweizer Marc Hirschi und João Almeida, allesamt vom UAE Team Emirates. Als Parallel-Event, das ebenfalls nicht zur World Tour zählt, wird vom 15. bis 19. Februar die Andalusien-Rundfahrt über die Bühne gehen, bei der dem Spanier Eric Mas vom Moviestar Team und seinem Landsmann Mikel Landa von Bahrain-Victorious die größten Siegchancen eingeräumt werden müssen. Von Jonas Vingegaard keine Spur, was ebenfalls für die Valencia-Rundfahrt zutrifft, die vom 1. bis 5. Februar ausgetragen wird. Dabei werden der Russe Alexander Wlassow von Bora-Hansgrohe oder der Spanier Pello Bilbao von Bahrain Victorious als Favoriten gehandelt.