In Paderborn wurden viele gute Spielleiter entdeckt. Roger Schmidt zum Beispiel. Oder Steffen Baumgart. Lukas Kwasniok könnte der nächste sein, der durchstartet.
Benjamin Weber hat fast anderthalb Jahrzehnte den besten Trainern Europas über die Schulter geschaut. Er begann als Videoanalyst für Jürgen Klopp in Mainz, wurde dann von Thomas Tuchel übernommen und blieb zwölf Jahre dessen Zuarbeiter mit ständig wachsenden Aufgaben. Mit Tuchel arbeitete er bei Borussia Dortmund, danach bei Paris Saint-Germain, wo beide 2020 das Champions-League-Finale erreichten, und dann beim FC Chelsea, mit dem sie es 2021 gewannen.
Wenn Weber eines einzuordnen weiß, dann also Trainingsarbeit. Beim SC Paderborn war Weber wenige Tage Sportchef, da schwärmte er schon in den höchsten Tönen von Lukas Kwasniok. „Ich bin vom Training beeindruckt“, sagte er: „Zudem erkenne ich vieles wieder, was wir im Trainerteam um Thomas Tuchel in den vergangenen Jahren gemacht haben. Es macht Spaß zuzuschauen.“ Und kündigte gleich an, Kwasniok trotz seiner eigenen Erfahrung nicht groß in seine Arbeit reinreden zu wollen. „Wenn du einen guten Cheftrainer hast, solltest du ihm auch vertrauen“, sagte Weber: „Und Lukas macht einen richtig guten Job.“
Sprungbrett für Trainer und Manager
Es ist wieder einmal ein sehr spannendes Duo, auf das der SC Paderborn da gerade setzt. Hier der erst 41-Jährige Kwasniok, der zuvor unter anderem den Regionalligisten 1. FC Saarbrücken trainierte. Den er aber in die 3. Liga und sensationell ins Halbfinale des DFB-Pokals führte. Und dort der noch zwei Jahre jüngere Weber, der im europäischen Spitzenfußball und in Weltstädten gearbeitet hat, aber nie in sportlicher Führungsposition, auch wenn ihm bei Chelsea zuletzt eine Abteilung unterstand. Als Paderborn wieder einmal der Sportchef von der Fahne gegangen war – Fabian Wohlgemuth wechselte im Winter zum Bundesligisten VfB Stuttgart – erreichten den SCP zahlreiche Bewerbungen. Auch prominente Namen sollen dabei gewesen sein. Der Ruf des Vereins ist inzwischen gut. Doch statt sich einfach aus allen Bewerbern den besten auszusuchen, hatten sie in Paderborn eine ganz andere Idee. „Mit einem Anruf aus Paderborn habe ich nicht gerechnet“, gestand Weber später. „Wir sind eben für ‚Projekte‘ bekannt“, sagt Präsident Thomas Sagel: „Wir gucken auch in die zweite Reihe.“
Und dort finden die Ostwestfalen oft die allererste Klasse. Pavel Dotchev und Jos Luhukay starteten hier ihre Karrieren als Cheftrainer auf höherer Ebene. Danach kamen der spätere Gladbach-Coach André Schubert, der einst bei Leverkusen, Eindhoven und nun für Benfica Lissabon arbeitende Roger Schmidt, der in Hannover, Schalke und Hoffenheim arbeitende André Breitenreiter und vor allem der gerade in Köln gehypte Steffen Baumgart. Bei den Sportchefs waren es Wohlgemuth und Eintracht Frankfurts Vorstand Markus Krösche, der 16 Jahre als Spieler und Funktionär in Ostwestfalen arbeitete.
Im Verein herrscht eine große Ruhe
Hier scheinen gleich mehrere Dinge zusammenzukommen, warum Trainer sich gut entwickeln. Zum einen scheinen die Verantwortlichen – auch wenn sie im Laufe der Jahre wechselten – ein extrem gutes Näschen für Talente in diesem Bereich zu haben. Sie haben die Möglichkeit und gar die Pflicht, auch mal auf Youngster zu setzen, müssen nicht mit Blick auf das Umfeld nach Namen gehen und auf ausgetretenen Pfaden wandeln. Und schließlich geben sie ihnen offenbar ein Umfeld, das sie glänzend reifen lässt.
„Nach heutigem Kenntnisstand ist Paderborn tatsächlich der perfekte erste Schritt für die 1. oder 2. Bundesliga“, sagt Kwasniok: „Deshalb entwickeln sich ja nicht nur Trainer und Funktionäre, sondern auch Spieler.“ Es herrsche eine große Ruhe, medial wie im Verein, „die einen auch mal Fehler machen lässt, aus denen man lernen kann.“ Zudem helfe, so kurios das klinge, dass der Verein „so ein bisschen ein Graue-Maus-Image hat. Also müssen wir uns über offensiven Fußball definieren, um attraktiv zu sein für Fans und neue Spieler. Das führt vielleicht dazu, dass man als Trainer und Funktionär ins Blickfeld gerät.“ Und schließlich, so Kwasniok, „kann hier jeder neue Ideen und eine persönliche Note einbringen, weil wir ein relativ junger Verein sind und noch nicht so festgefahrene Strukturen herrschen.“
Das alles klingt durchaus schlüssig. Und bei Baumgart klingt es ähnlich. „Wenn du dich wirklich um Fußball kümmern willst, kannst du dich da überragend entwickeln“, sagt er: „Du hast nicht nach jeder Niederlage einen Aufstand. Du kannst in Ruhe arbeiten, hast gute Trainingsbedingungen und eine gute Lebensqualität. Es ist nicht Mailand, aber es ist ein schönes, angenehmes Leben. Und gutes Geld gibt es auch, die zahlen nicht mit Erdnüssen.“
In Paderborn wird Baumgart schon seit jeher so verehrt wie nun im größeren Blickfeld in Köln, weil er den Verein kurz vor dem sportlichen Abstieg aus der 3. Liga übernommen hatte. Und ihn nach der Rettung durch einen Lizenzentzug in zwei Jahren in die Bundesliga führte. 2021 ging er nach Köln, und viele fragten sich, wie es nun weitergehen soll. In seinem letzten Jahr war Baumgart Neunter in der 2. Liga geworden. Danach wechselten vier Spieler in die Bundesliga. Doch Kwasniok wurde Siebter und spielte lange ganz oben mit. In seinem zweiten Jahr klopft Paderborn noch heftiger ans Tor zur Bundesliga.
„Im Job ist es wie mit einem Banküberfall: Ohne die richtigen Komplizen wird das nichts“, sagt Weber. Und um im Bild zu bleiben: In Paderborn planen sie in absehbarer Zeit das ganz große Ding: Den dritten Aufstieg nach 2014 und 2019. „Ich werde hier alle so lange nerven, bis aus den Pessimisten die Optimisten werden und bis aus der Angst zu verlieren die Lust zu gewinnen wird. Das verspreche ich“, sagt Weber.
Dann würden er und Kwasniok, die ohnehin von größeren Clubs beobachtet werden, sicher noch interessanter. Doch der SC signalisierte bereits, sich nicht mehr selbstverständlich als Ausbildungsverein und Durchgangsstation zu sehen und somit alle Angebote höherer Clubs akzeptieren zu müssen. Symbolisch dafür stand im Winter Ron Schallenberg. Für das in Paderborn geborene Eigengewächs, das seit dem elften Lebensjahr im Club ist und mit 24 nun Kapitän der Profis, soll Bundesligist FC Augsburg im Winter rund drei Millionen geboten haben. Paderborn lehnte ab. „Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Spieler, Trainer und Sportchefs an das Oberhaus geliefert“, sagt Präsident Sagel: „Unser Club muss länger die Qualität halten, die er selbst hervorbringt. Wir sind nicht der Selbstbedienungsladen der Bundesliga.“ Wohlgemuth prägte vor rund einem Jahr noch den Satz: „Der Umbruch ist hier Geschäftsgrundlage.“
„Das muss organisch gesund wachsen“
Kwasniok freut das Umdenken. „Ich habe meinen Vertrag verlängert, weil ich das Gefühl habe, es tut sich hier etwas“, sagt er: „Der Verein will vorwärtskommen, das Fundament etwas breiter machen. Damit wir im Falle eines positiven Unfalls in der Lage sind, diesen Unfall länger genießen zu können.“ Man werde in Paderborn „keine Quantensprünge machen. Das muss organisch gesund wachsen. Wichtig ist, dass es wächst. Und das Gefühl habe ich.“ Stagnation, so Kwasniok, sei „ganz gefährlich. Aber du musst auch sehen, dass du dich nicht übernimmst. Das tun wir nicht. Wir wollen grundsätzlich den Abstand zu den großen Vereinen der 2. Liga verkleinern, damit man mit guter Arbeit vorbeiziehen kann.“ Vorgänger Baumgart hält das für möglich. „Sie spielen sehr, sehr guten Fußball. Deshalb traue ich ihnen sehr viel zu“, sagt er. Auf die Frage, ob der SCP aktuell schon ein Geheimtipp für den Aufstieg ist, antwortet er: „Das ist doch kein Geheimtipp mehr. Für mich gehörten sie schon vor der Saison zu den Mannschaften, die unter die ersten Sechs kommen können. Und wenn du Sechster werden kannst, kannst du auch aufsteigen.“ Paderborn habe eine stabile Mannschaft, Kwasniok zudem „eine klare Idee vom Fußball“.
Auch Roger Schmidt, der mit Benfica Lissabon derzeit ein Überraschungs-Team der Champions League trainiert, traut seinem Ex-Club viel zu. „Der SCP wirtschaftet gut, entwickelt sich Schritt für Schritt weiter und ist immer – wie die beiden Aufstiege in die 1. Liga gezeigt haben – für eine Sensation gut“, sagte er dem „Westfalen-Blatt“: „Ich bin mal gespannt, wohin die Reise den SCP in den kommenden zehn Jahren noch so führt.“
Bis dahin werden sie sicher noch die ein oder andere Trainer-Perle entdecken in Paderborn. Einen großen Namen haben sie auch mal ausprobiert, 2016 mit Stefan Effenberg. Und obwohl der frühere Nationalspieler und Bayern-Kapitän als Trainer noch ein unbeschriebenes Blatt war, ging ausgerechnet dieses Projekt komplett daneben. „Eine Hollywood-Welt, die nicht zu Paderborn passt“, hatte der 2019 verstorbene Wilfried Finke, mit zwei kurzen Unterbrechungen 21 Jahre Mäzen und Präsident des SC, damals erkannt. Und sich gleich von dieser wieder verabschiedet.