In Sachen Corona zeigt der Jahresbeginn zwiespältige Entwicklungen. Die einen verkünden das Ende der Pandemie, andere warnen vor neuen Varianten aus den USA – und alle blicken einmal mehr auf das Reich der Mitte.
Das Ende der Pandemie stand kurz vor dem Jahreswechsel praktisch fest. „Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie vorbei“, erklärte der Virologe Christian Drosten. Keine zwei Wochen später kündigt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wieder eine Testpflicht an – für Einreisende aus China. Zuvor hatten bereits andere Länder eine entsprechende Testpflicht eingeführt, beziehungsweise die Einführung angekündigt, darunter Italien, Spanien und Frankreich. Die EU hatte das „nachdrücklich“ empfohlen. Ein einheitliches Vorgehen in der EU, wie von vielen Experten gefordert, war allerdings nach intensiven Debatten zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekommen. Bis dahin war auch noch zu unübersichtlich, was sich an Entwicklung zusammenbraut. Genau drei Jahre nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie richten sich wieder viele besorgte Blicke nach China.
Rückschlag für Null-Covid-Politik
Trotz strikter Null-Covid-Politik mit drastischen Maßnahmen war es China nie gelungen, die Pandemie zu besiegen. Die radikalen Absperrmaßnahmen machten sich schließlich auch wirtschaftlich immer mehr bemerkbar. Es kam zu derart massiven Protesten, dass die chinesische Führung praktisch von heute auf morgen alle Maßnahmen beendete. Mit verheerenden Folgen. Eine schwere Infektionswelle soll allein in den ersten Dezemberwochen bis zu 250 Millionen erfasst haben. Dabei handelt es sich um eine Schätzung, genaue Zahlen gibt es nur spärlich. Zuletzt sollen die Infektionszahlen auch wieder leicht gesunken sein. Das könnte aber auch daran liegen, dass weniger Tests durchgeführt wurden, vermutet die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC.
China war offensichtlich durch die 180-Grad-Wende der Politik schlicht völlig unvorbereitet und überfordert. Vor allem das Gesundheitswesen war einer solchen Infektionswelle nicht gewachsen. Rund um den Globus wuchs die Sorge, dass von China aus neue, womöglich noch ansteckendere und gefährlichere Varianten alle Hoffnung auf ein Pandemieende zunichte machen würden.Bis Anfang Januar wurden aber keine besonders ungewöhnlichen Mutationen festgestellt. Aber schließlich ist man durch die letzten Jahre vorgewarnt.
Die Testpflicht für Einreisende aus China ist allerdings politisch wie unter Experten umstritten, was ihren Nutzen betrifft. Der Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Gérard Krause, ist vom Nutzen nicht überzeugt. „Ich persönlich halte es nicht für angemessen, in der aktuellen Situation Einreisekontrollen für Reisende aus China oder woanders her zu COVID-19 einzuführen. Maßnahmen zur Eindämmung wie Einreisebegrenzungen oder -kontrollen sind für eine kurze anfängliche Phase einer Epidemie oder Pandemie sinnvoll, aber nicht mehr jetzt“.
Das bewertet Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung Infektionskrankheiten der Uni Genf, etwas anders: „Da aus China selbst kaum Informationen zu den dort zirkulierenden Varianten oder dem Infektionsgeschehen allgemein verfügbar sind, macht die Sequenzierung von Reisenden aus China durchaus Sinn in meinen Augen. Bei dem, was bisher an solchen Sequenzen verfügbar ist, ist bislang aber nichts Ungewöhnliches oder Überraschendes zu entdecken“.
Der Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, Hajo Zeeb, sieht das differenziert, betont aber zugleich: „Das Monitoring auf neue Varianten ist wichtig, sollte aber insgesamt für Infektionen in Deutschland und der EU aufrechterhalten werden“.
Während sich verständlicherweise nach den Erfahrungen von vor drei Jahren sorgenvolle Blicke vor allem nach China richten, macht sich in den USA eine Entwicklung breit, die bei der Weltgesundheitsorganisation WHO längst für große Aufmerksamkeit sorgt.
Impfungen regelmäßig anpassen
Die Entwicklung trägt das Kürzel XBB.1.5 und ist seit Oktober vergangenen Jahres bekannt. Es soll sich dabei um eine Art Mischvariante zweier Omikron-Varianten handeln. Die Virusvariante sei so leicht übertragbar wie keine der bisher bekannten Varianten, sagte WHO-Corona-Spezialistin Maria van Kerkhove. In den USA soll sie bereits über 40 Prozent aller positiven Corona-Proben ausgemacht haben und dabei ihren Anteil in nur einer Woche verdoppelt haben. Ob diese Variante auch wieder verstärkt zu schweren Verläufen führt, ist noch nicht sicher. Das hat allerdings Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wieder auf den Plan gerufen. „Hoffentlich kommen wir durch den Winter, bevor eine solche Variante sich bei uns ausbreiten kann“, schrieb er auf Twitter.
Noch gibt es (Stand Anfang des Jahres) in Deutschland keine signifikante Verbreitung der neuen Variante. Da es sich um eine weitere Variante von Omikron handelt, geht es nach Einschätzung von einigen Experte im Grund auch weniger um die Frage nach der Verbreitung, sondern darum, ob einer neuen Variante eine Immunflucht gelingt und wie gut Impfstoffe helfen, insbesondere um vor schweren Verläufen zu schützen. Nach aktuellen Einschätzungen ist vulnerablen Gruppen, insbesondere auch älteren Menschen, eine weitere Auffrischungsimpfung unbedingt zu empfehlen. Das gilt auch, wenn die Pandemie nun zu einer Endemie wird.
Das würde bedeuten, dass sich Corona-Infektionen weiterhin in bestimmten Regionen oder Gruppen gegebenenfalls auch saisonal verbreiten. Impfungen könnten dann schwere Verläufe verhindern und könnten – ähnlich wie bei der Grippeschutzimpfung – regelmäßig angepasst werden.
Wie die aktuelle Entwicklung in Deutschland verläuft, wird sich wohl erst bis Mitte Januar einigermaßen realistisch zeigen. Die Lage könne nach den Weihnachtsfeiertagen und dem Jahreswechsel „nicht in gleicher Weise wie im restlichen Jahr bewertet werden“, schreibt das RKI und nennt als Gründe: „Schulen und Kitas sind bundesweit geschlossen, Kontaktmuster und Mobilitätsverhalten sind anders. Da in dieser Zeit weniger Personen eine Arztpraxis aufsuchen, werden weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt…In dieser Zeit werden auch nicht alle Gesundheitsämter und zuständige Landesbehörden an allen Tagen Daten an das RKI übermitteln. Auch bei anderen pandemiebezogenen Daten kann es entsprechend zu Einschränkungen kommen“.
Entsprechend hat sich seit spätestens Mitte Dezember in Sachen Impffortschritt auch nicht allzu viel bewegt. Am 4. Januar wurden nach Angaben des RKI-Dashboard gerade mal 10.000 Impfdosen verabreicht. Bei der Verteilung spiegelt sich auch der Trend des vergangenen Jahres wider, der weiterhin eine Bereitschaft zu Auffrischungsimpfungen zeigt, aber praktisch eine Stagnation, wenn es um Erstimpfung und Grundimmunisierung geht. Lediglich exakt 229 der an diesem Tag verabreichten Dosen waren für eine Grundimmunisierung, alle anderen für erste oder zweite Booster-Impfung.