Drei Spiele mit drei Niederlagen im Jahr 2023. Das 0:2 gegen Union war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Hertha BSC trennt sich von Sportvorstand Fredi Bobic.
Nach der Heimniederlage im Hauptstadtduell am vergangenen Sonnabend musste Fredi Bobic vor den TV-Kameras zunächst erneut eine Jobgarantie für Trainer Sandro Schwarz abgeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Geschäftsführer Sport von Hertha BSC noch keine Kenntnis davon, dass seine eigene gerade abgelaufen war. Erst kurz vor 20 Uhr jedenfalls verkündete der Berliner Bundesligist in einer dürren Pressemitteilung, dass Bobic nach einstimmiger Entscheidung von Präsidium und Aufsichtsrat von seiner Aufgabe entbunden worden sei. Natürlich überschlugen sich die Schlagzeilen sogleich von „Knall“ bis „Beben“ – und in der Tat kam der Beschluss und dessen Mitteilung durchaus überraschend.
Riskantes Spiel im Abstiegskampf
Sicher hatte die Arbeit des 51-Jährigen bis dato nicht die erhofften Erfolge gezeigt – nach dem gewaltigen Umbau, den Bobic im Verein und Kader auch aufgrund der finanziellen Lage vorgenommen (und immer noch vor) hatte, erschien ein Auseinandergehen zu diesem Zeitpunkt dennoch als problembehaftet. Mitten im Fluss die Pferde zu wechseln, wie das Sprichwort besagt, gilt gemeinhin als keine gute Wahl. Als Fredi Bobic (ohne sein Zutun, aber auch ohne eindeutige Ablehnung) ganz heiß für die Nachfolge des DFB-Sportdirektors gehandelt wurde, musste bereits eine solche Situation befürchtet werden. Schon zu diesem Zeitpunkt aber hatte Kay Bernstein seine doch recht nüchterne Einschätzung („Reisende soll man nicht aufhalten“) zur Personalie von sich gegeben – rückblickend lässt diese nun Interpretationsspielraum zu.
Möglicherweise hätte sich Herthas Präsident vielleicht gern vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Trennung abnehmen lassen, noch garniert mit einer Ablösesumme – nun aber, da die Zusammenarbeit zwischen DFB und Bobic nicht zustande gekommen war, bekommt der Hertha-Sportvorstand den Laufpass. Ein durchaus riskantes Spiel – mitten im Abstiegskampf. Dazu mit der Lösung des Ex-Akademieleiters Benjamin Weber (42) als Sportdirektor und „Zecke“ Neuendorf als Direktor Akademie/Lizenzbereich, beide Neulinge in ihrer Funktion. Aufgrund dieser Nachrichten rückte die Niederlage gegen Union dabei schnell in den Hintergrund – Hertha BSC lieferte nach den ersten beiden Pleiten der englischen Woche dieses Mal immerhin eine ordentliche Leistung ab. Union hatte seine liebe Mühe, löste die Aufgabe dann aber tatsächlich im Stil eines Topteams – nach einem Standard gingen die Köpenicker vor der Pause in Führung, in der zweiten Halbzeit konterten sie Hertha dann noch einmal aus. So, wie die Niederlage im „Derby“ jedoch laut Präsident Bernstein nicht ausschlaggebend für die Trennung von Bobic war, so führte sie auch nicht zur Entlassung von Trainer Schwarz – sein Verhältnis zur Mannschaft gilt weiterhin als intakt, und er genießt weiter „100 Prozent Rückendeckung“ der Führungsebene.
Schon nach dem 1:3 zum Auftakt der englischen Woche beim VfL Bochum sahen sich Herthas Verantwortliche dabei genötigt zu betonen, den Ernst der Lage durchaus zu erkennen. Sandro Schwarz versuchte, ein eindeutiges Bild zu vermitteln: „Die Spieler sind sehr selbstkritisch, das ist der erste gute Schritt – da hat keiner gesagt: ‚An mir liegt‘s nicht.‘“ Herthas Coach hatte unmittelbar nach der Pleite im Pott auch abgewiegelt, dass es ja „kein Entscheidungsspiel“ gewesen sei. Angesichts des Verlaufs einer Partie, bei der sich zwei direkte Konkurrenten im Abstiegskampf gegenüberstanden und die Berliner nach nicht einmal einer Stunde mit 0:3 im Hintertreffen waren, musste man jedoch beinahe davon ausgehen, dass Schwarz dies der Mannschaft bereits im Vorfeld einmal zu oft erzählt haben könnte. Auch Bobic war nach der Vorbereitung in Florida zitiert worden, dass er für das zweite Halbjahr mit einer „Leistungsexplosion“ des Teams rechne. Das ganze Gegenteil war drei Tage nach dem Bochum-Spiel zu erleben, als Hertha BSC gegen den formstarken VfL Wolfsburg diesmal nach rund 30 Minuten bereits drei Tore kassiert hatte und am Ende 0:5 verlor. „Es geht jetzt darum, sich in der Gruppe gemeinsam dagegenzustemmen, und darum, dass jeder in seiner Aufgabe drinbleibt“, hatte Sandro Schwarz noch vor der Partie appelliert – angesichts dieser Worte war die Leistung des Teams ein Offenbarungseid. Bereits in diesem Zusammenhang musste der (noch) amtierende Sportvorstand Bobic betonen, dass der Trainer „nicht mal ansatzweise zur Diskussion“ stehe.
Leistung des Teams als Offenbarungseid
Die personelle Situation war dabei im Verlauf der Woche obendrein nicht besser geworden – immerhin meldete sich Winterzugang Florian Niederlechner früher als erwartet einsatzbereit und stand so gegen Union erstmals im Kader. Auf der anderen Seite kamen jedoch die Ausfälle von Jonjoe Kenny und Agustin Rogel hinzu. Ersterer erlitt gegen Wolfsburg eine leichte Gehirnerschütterung, letzterer handelte sich in der Partie eine Gelbsperre ein. Zu allem Überfluss verletzte sich der Uruguayer dann noch im Training und fällt nun mehrere Wochen aus. Vor dem Hintergrund des Endes der Wechselperiode zum 31. Januar eine durchaus schwerwiegende Personalie.
Perspektivisch ebenfalls wenig verheißungsvoll, dass Chidera Ejukes Knieverletzung weitaus mehr Zeit benötigen wird (circa acht Wochen Pause), als ursprünglich gedacht – und auch Routinier Stevan Jovetic nach zwischenzeitlich guter Performance steht aktuell verletzungsbedingt wieder nicht zur Verfügung. Mehr als bedenklich ist aber, dass sich auch die Hoffnungsträger in die desolate Gesamtvorstellung gegen Wolfsburg eingeordnet hatten: Maximilian Mittelstädt, der – nach seiner Vertragsverlängerung bis 2027 – schon in Bochum etwa ebenso schwach spielte wie Lucas Tousart, um den sich bis Ende des Transferfensters (nach Redaktionsschluss) Abwanderungsgerüchte hielten. Und Dodi Lukebakio, der nach seiner Sperre zurückgekehrt war und sich von seiner länger nicht gesehenen, enttäuschenden Seite gezeigt hatte. Obendrein hatte Herthas Torschütze Nummer eins durch ein ungeschicktes Handspiel auch noch das 0:2 des VfL per Foulelfmeter verursacht. So stellt sich also schon die unmittelbare Zukunft von Hertha BSC vor den schweren Partien gegen Frankfurt am Samstag, Mönchengladbach und Dortmund mehr als ungewiss dar – ganz zu schweigen von der mittelfristigen Perspektive. Schließlich muss die „Alte Dame“ nach anderthalb Jahren unter der sportlichen Leitung von Fredi Bobic beinahe wieder von vorne anfangen.