Strukturwandel im Saarland, das bedeutet auch die Forschungslandschaft insgesamt zu stärken. Was aber geschieht dort gerade? Ein Blick in drei sehr unterschiedliche Labore und ihre Arbeit.
Alle Welt redet über Corona und die Folgen. Aber in der Natur lauern weitere Gefahren für die Menschen. Zum Beispiel multiresistente Keime, üblicherweise bekämpft durch Antibiotika. Doch weltweit nimmt die Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika dramatisch zu. Fachleute schätzen, dass deshalb bis 2050 rund zehn Millionen Menschen pro Jahr an nicht behandelbaren Infektionen sterben könnten. Herkömmliche Antibiotika stoßen mittlerweile zunehmend an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Allein in Deutschland sterben inzwischen rund 25.000 Menschen jährlich an den Folgen multiresistenter Keime, die sie sich in Krankenhäusern zugezogen haben. Neue antibiotische Wirkstoffe müssen also her.
Dem Forschungszentrum des Bundes, dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), Teil des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, ist dabei ein bemerkenswerter Erfolg gelungen. Nach acht Jahren intensiver Testreihen hat es das Forscherteam um Dr. Jennifer Herrmann und Prof. Rolf Müller geschafft, aus im Boden lebenden Mikroorganismen, sogenannten Myxobakterien, vielversprechende Ausgangsstoffe für die Entwicklung neuer Antibiotika zu gewinnen: Diese Bakterien bilden in ihrem „zellulären" Leben den antibakteriellen Wirkstoff Cystobactamid, der in der Lage ist, gefährliche Erreger abzutöten – auch multiresistente Keime.
Im nächsten Schritt geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse der Infektionsforschung konkret in die medizinische Anwendung zu bringen. Geplant ist dafür die Gründung eines Start-up-Unternehmens. „Die vorbereitenden Arbeiten sind bereits auf dem Weg, so dass das Startup Myxobiotics noch in diesem Jahr an den Start gehen kann", sagt Dr. Jennifer Herrmann. Neben dem HZI in Braunschweig, der Leibniz-Universität Hannover und dem HIPS in Saarbrücken ist Evotec daran beteiligt, ein Wirkstoffforschungs- und -entwicklungsunternehmen. Evotec mit mehr als 2.500 Mitarbeitern arbeitet in Forschungsallianzen und Entwicklungspartnerschaften mit öffentlichen Forschungseinrichtungen zusammen, um innovative pharmazeutische Produkte auf den Markt zu bringen. Ohne solche Partner mit entsprechender Ausstattung und Vernetzung hätten derartige Forschungsprojekte kaum Aussicht auf Erfolg.
„Die Gründung von Myxobiotics bildet eine wichtige Grundlage für die Durchführung der weiteren Entwicklung bis hin zu klinischen Studien an Menschen", sagt Prof. Rolf Müller, geschäftsführender Direktor am HIPS. „Außerdem können wir über das Start-up die für die weitere Forschungsarbeit so dringend benötigten Gelder einwerben, denn die Förderung mit Bundesmitteln neigt sich dem Ende zu."
Ein bereits etabliertes und über mehrere Standorte verteiltes Team von rund 20 Wissenschaftlern wird zunächst an dem vielversprechenden Forschungsprojekt weiterarbeiten. Die so erzielten Ergebnisse fließen in das als Joint-Venture zwischen dem Institut und Evotec geplante Startup Myxobiotics – ein Leuchtturm in der medizinisch-pharmazeutischen Forschung.
Mittlerweile nennt das Saarland noch ein weiteres Bundesforschungszentrum sein eigen – das CISPA. Hier geht es um Sicherheit in der Informationstechnologie, denn diese spielt mehr und mehr eine zentrale Rolle bei Mensch-Maschine-Interaktionen – egal ob beim Schreiben einer Whatsapp-Nachricht oder komplexer Maschinensteuerungen. „Die meisten Nutzer sind gar nicht in der Lage, die technisch sinnvollsten Sicherheitsentscheidungen zu treffen, da die Systeme, mit denen wir interagieren, immer komplexer werden", sagt Dr. Katharina Krombholz. Das Problem liege dabei aber nicht beim Nutzer, vielmehr seien es die komplizierten Systeme, die nicht an Bedürfnisse der Nutzer angepasst sind. Die 33-jährige Österreicherin betreibt seit knapp zwei Jahren angewandte Grundlagenforschung am CISPA Helmholtz Center für Informationssicherheit. Mit einem internationalen Team versucht die „Forscherin aus Leidenschaft", wie sie sagt, die Schwachstelle Mensch auszuschalten. Dabei zäumen sie quasi das Pferd von hinten auf, stellen bei ihrer ganzheitlichen Betrachtungsweise nicht nur den „ahnungslosen" Endnutzer in den Mittelpunkt, sondern alle am Prozess Beteiligten, angefangen beim Software-Entwickler über den Designer bis hin zum Benutzer. „Wir betreiben empirische Forschung und versuchen, aus den daraus resultierenden Erkenntnissen den Fachleuten Instrumente an die Hand zu geben, bessere Schnittstellen und Systeme zu bauen. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Wir wollen IT-Sicherheit für alle Nutzer einfacher machen", bringt es Dr. Krombholz auf den Punkt. Das Thema ist umfassend, sie spricht daher auch lieber von einer Forschungsagenda statt von einem Projekt. „Es sind zahlreiche interdisziplinäre Aspekte in vielen kleinen Projekten, in denen wir dem Sicherheitsthema auf den Grund gehen."
IT-Sicherheit für alle einfacher machen
Eine andere Herangehensweise, auf interdisziplinäre Fragen Antworten zu finden, aber auch das Wissen aus ganz konkreten Anwendungsfällen haben in der Industrie aufhorchen lassen. „Läuft alles planmäßig, könnten in den nächsten Wochen Forschungskooperationen mit namhaften Industrieunternehmen entstehen", freut sich die ambitionierte Forscherin. „Der Wissenstransfer in die Wirtschaft würde damit gelingen. Aber auch wir in der Forschung profitieren von den gewonnenen Erkenntnissen und bringen dieses Wissen wieder in unserer eigenen Forschung ein, indem wir Designmethoden und Prozesse auf Basis unserer Erkenntnisse verbessern."
Gleiches gilt für Industrieprozesse. „Bei uns gibt’s kaum etwas, was in der saarländischen Industrie keine Anwendung finden würde", betont Prof. Dr. Dirk Bähre vom Fachbereich Fertigungstechnik an der Universität des Saarlandes. Eines seiner Steckenpferde: die sogenannte additive Fertigungstechnik. Ein Beispiel dafür: der 3D-Druck.
Interdisziplinäre Teams nehmen Fertigungstechnologien von der Produktentstehung bis zum gesamten Produktionsprozess unter die Lupe, erforschen und produzieren Teile, die sonst nur mühsam herzustellen sind oder durch herkömmliche Verfahren gar nicht hergestellt werden können. Ob winzige Bauteile wie Zahnräder in Leichtbauweise für die Automotive-Branche, Einzelteile für die Hydraulik oder Pneumatik, individuell anpassbare Produkte der Medizin- oder Zahntechnik – die Einsatzgebiete der additiven Fertigung sind vielfältig und bedürfen auch interdisziplinärer Forschung. Daher gehören die Lehrstühle für Leichtbausysteme sowie für Konstruktionstechnik der Universität des Saarlandes und die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes mit dem Labor für industrielle Produktion mit zum Forschungsverbund.
Was macht die additive Fertigung nun so interessant für Unternehmen? „Wir arbeiten werkzeuglos und schaffen Strukturen und Produkte, die normalerweise nur sehr schwierig oder gar nicht mit herkömmlichen Verfahren zu realisieren sind", erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Franziska Herter. Sie untersucht Multi-Material-Bauteile aus Metall in Kombination mit Kunststoff, die virtuell entwickelt, individuell additiv gefertigt und bis zur gewünschten Qualität nachbearbeitet werden. Zwar werden schon längst Bauteile aus der additiven Fertigung genutzt, zum Beispiel in sehr hochpreisigen Autos oder der Luft- und Raumfahrt, aber eben noch nicht massentauglich. „In der additiven Fertigung steckt jede Menge Entwicklungspotenzial. Wir können viele Produkte anders und freier konstruieren sowie viele Dinge in einem einzigen Fertigungsprozess berücksichtigen", sagt Prof. Bähre. Das spare Kosten. Selbst Methoden der Künstlichen Intelligenz können zur Qualitätssteigerung von Fertigungsprozessen in Zukunft genutzt werden.
Konkret wird es für ein Unternehmen der Hydraulikbranche: Dieses plant seine Produktionspalette zu erweitern, und greift dafür auf das Know-how der Fertigungstechnik der Uni zurück. Läuft es gut, könnten am Ende sogar neue Arbeitsplätze im Saarland entstehen.