Egal, ob es nun um Leserinnen und Leser, LeserInnen, Leser*innen oder Leser:innen geht – selten wurde so viel über Sprache diskutiert wie in der Gender-Debatte. Befürworter und Kritiker haben durchaus ihre Argumente – nur scheinen die jeweils anderen davon nichts hören zu wollen.
Politik, Talkshows, Medien, Universitäten – immer häufiger trifft man auf genderneutrale Sprache in Wort und Schrift. Mittlerweile zählen das Gendersternchen und die mit ihm verwandte kurze Sprechpause zur weiblichen Endung wohl zu einem der Top-Streitthemen in Deutschland. Während die einen von einem neuen geschlechter- und hierarchiebewussten Sprachgebrauch reden, ist es für die anderen die ideologisch besetzte Verhunzung deutscher Sprache. Beide Gruppen haben durchaus ihre Argumente.
Sprache ist mehr als nur ein Wort. Sprache kann verletzen – somit trägt sie durchaus eine gewisse Verantwortung. Diese Verantwortung wird nicht nur in Sachen Gendern angeführt, sondern überall dort, wo es zu Diskriminierung durch Sprache kommen kann. Umstritten ist es wohl in den meisten Fällen – dafür muss man nur einen kurzen Blick auf die Debatte um die Benennung einer pikanten Paprikasauce werfen, die vor nicht allzu langer Zeit geführt wurde.
Aber zurück zur geschlechterneutralen Schreibweise: Einer belgischen Studie zufolge trauen sich mehr Mädchen einen Beruf zu, wenn sowohl die männliche als auch die weibliche Berufsbezeichnung verwendet wird, als bei der reinen Anwendung des generischen Maskulinum. Das läge daran, dass Aufgaben aus „typisch männlichen" Berufen als „schwerer" eingeschätzt werden als jene von „typisch weiblichen". Durch die Verwendung der weiblichen Form wirke man diesen Stereotypen entgegen und gebe gerade jungen Mädchen mehr Selbstbewusstsein.
Gender und Genus nicht verwechseln
Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch spricht sogar davon, dass das generische Maskulinum – also die Form eines Wortes, mit der per se erst einmal alle gemeint sein sollen (der Bürger, der Mitarbeiter …) – Frauen „besser unsichtbar macht als jede Burka". Dieses „Mitgemeint-sein" von Frauen in dieser Sprachregel sei benachteiligend.
Eine komplett andere Sichtweise hat dort ihr Braunschweiger Kollege Martin Neef: „Wenn ich einen Stern einbaue oder einen Buchstaben großschreibe, bleibt es immer noch ‚Teilnehmer*in‘ oder ‚TeilnehmerIn‘ – also eine Frau. Damit sind also strukturell nur Frauen gemeint, weder Männer noch Diverse", kritisiert er. Das generische Maskulinum sei zudem keine männliche Form. Während ein Geschlecht nur einer Person, aber keinen Dingen zugeordnet werden kann, sei der Genus lediglich eine grammatische Kategorie und somit eine abstrakte Größe (Beispiel: Der Mund, die Nase, das Auge). Zudem weist er darauf hin: Eine „männliche Endung" gibt es in der deutschen Sprache überhaupt nicht. Während die Endung „-in" klar einer Frau zugeschrieben wird, gibt es kein Äquivalent für eine rein männliche Bezeichnung. Der Journalist Ulrich Greiner hatte in einem Artikel für „Die Zeit" einmal auf jene Sprachen verwiesen, die keinen Genus in ihrem Aufbau haben, beispielsweise Türkisch: So dürften türkische Frauen aufgrund des fehlenden Genus keine Probleme mit geschlechtergerechter Sprache haben, „aber vielleicht haben sie dennoch ein Problem mit Gleichstellung".

Dennoch scheinen sich viele an der grammatisch männlichen Form vieler Begrifflichkeiten zu stören. Das liegt insbesondere daran, dass der Mensch in Bildern denkt. Denn die abstrakte Größe des generischen Maskulinums ist sogleich auch sein Nachteil: Man kann es sich nicht vorstellen. Also stellt sich der Mensch per se erst einmal einen Mann vor, wie einige psycholinguistische Studien belegen. Fragt man Probanden beispielsweise nach bekannten Schauspielern, so werden im Durchschnitt mehr männliche Prominente genannt als bei der expliziten Frage nach Schauspielerinnen und Schauspielern.
Politisch stark aufgeladene Debatte
Die ausdrückliche Nennung weiblicher Begriffe ist auch keine neue Modeerscheinung: Schon im Mittelalter belegen Schriftstücke eine Nennung von „Händlern und Händlerinnen". Schriftsteller Johann Christoph Gottsched hatte bereits 1748 in seiner „Grundlegung der deutschen Sprachkunst" darauf hingewiesen, immer dann Bezeichnungen wie „Oberstin", „Hauptmännin" oder „Doctorin" zu nutzen, wenn Frauen diese Funktion bekleideten. Spätestens seit den 70er-Jahren ist die Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache so richtig in Fahrt gekommen – nicht zuletzt aufgrund der immer höheren Bedeutung von Diversität und Individualismus. Spätestens aber seit der Entscheidung, nicht länger in zwei sondern in drei Geschlechter zu unterteilen, hat die Debatte einen neuen Höhepunkt erreicht. Während immer häufiger auf Genderstern, Binnen-I oder die konsequente Nennung beider Formen („Leserinnen und Leser") geachtet wird und teils sogar etwas umständliche Neologismen wie die allseits gerne als Beispiel herangezogenen „Zufußgehenden" zu Rate gezogen werden, setzt sich das Gendern im Alltag bislang nur wenig durch. Das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass es in der Alltagssprache auf Kürze und Effizienz ankommt. Die Verkomplizierung – nicht nur im Sprechen, sondern besonders auch in Schriftstücken jeglicher Art – ist auch eines der am häufigsten aufgeführten Gegenargumente. Aus diesem Grund verzichten auch einige deutsche Zeitungen und Zeitschriften aufs Gendern.
Nun ist die Frage, ob jemand gendern möchte oder nicht, aber schon lange nicht mehr nur eine Frage der persönlichen Vorliebe. Das liegt unter anderem auch an der Art und Weise, wie das Gendern präsentiert wird. Spätestens seit es offizielle Leitfäden in Institutionen und Behörden gibt, wie eine geschlechtergerechte Sprache auszusehen hat, ist die Aufruhr groß. Viele wollen sich allerdings nicht vorschreiben lassen, wie sie zu formulieren haben. Zudem lösen Neuerungen – gerade in der Sprache – ohnehin erfahrungsgemäß erst einmal Irritationen aus.
Wie viele andere Debatten ist auch jene um geschlechtergerechte Sprache politisch stark aufgeladen. Beim Thema Gendern – oder Gender generell – ist das noch einmal besonders stark ausgeprägt. So werden den „Gender Studies" regelmäßig die Wissenschaftlichkeit aberkannt, allgemeingültig wird das Konzept „Gender" als linke Ideologie abgestempelt. Wer sich dagegen wehrt, landet in der „rechten" Schublade der Diskriminierung. Wer sich um genderneutrale Sprache bemüht, möchte auf Biegen und Brechen seine „moralische Überlegenheit" demonstrieren. Dem jeweils anderen seine Entscheidung – sei sie nur für oder gegen das Gendern – selbst zu überlassen, gelingt dabei weder den Befürwortern noch den Kritikern so wirklich. Dass die Debatte durch verschiedene politische Kräfte zusätzlich aufgebläht wird, macht es nicht besser.
Im Wesentlichen sollte aber dennoch stets im Hinterkopf bleiben: Die Sprache hat sich schon immer geändert – und zwar von unten. Der Linguist Rudi Keller hatte dieses Phänomen einmal so beschrieben: „Ein Trampelpfad entsteht, weil eine Vielzahl von Menschen von A nach B geht." So wird es auch hier sein: Die Wissenschaft, auch die Politik, kann letztlich nur über die Effekte sprechen; ob diese wirklich Anklang finden, entscheidet am Ende jeder für sich – egal wie hitzig die Diskussion zuvor gewesen sein sollte.