Die Gastronomen fühlen sich durch eine Hygieneampel an den Pranger gestellt. Die Gäste möchten gern wissen, ob es in der Küche wirklich hygienisch zugeht. Der Berliner Senat will die Ampel. Der Streit ist noch nicht entschieden.
Berlin geht voran. In der Hauptstadt soll künftig per Hygieneampel erkennbar sein, wie es um die Hygiene in Restaurants, Cafés oder Kantinen bestellt ist. Dafür soll es jeweils im Eingangsbereich ein Balkendiagramm mit einem Farbverlauf von Grün über Gelb bis Rot geben. Darauf markiert ein Pfeil, wie das Restaurant oder Café nach den Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelkontrolle eingeschätzt wird. Die Betreiber müssen dieses Ergebnis in Zukunft gut sichtbar für die Kunden aushängen, es wird auch im Internet veröffentlicht. Allerdings erst ab Januar 2023 – wegen der Corona-Pandemie wurde der Start verschoben. Nach zehn Jahren Diskussion um die Hygieneampel hat das Abgeordnetenhaus Anfang September 2021 dem sogenannten „Saubere-Küchen-Gesetz" zugestimmt.
Allein in Berlin stellten mehr als 5.000 Verbraucher Anfragen
Druck auf das Land hatten vor allem die Initiatoren von Foodwatch ausgeübt, die mit den Online Portalen „Topf secret" und „Frag den Staat" für mehr Transparenz bei Lebensmittelkontrollen sorgen wollen. Bisher lehnten mehrere Berliner Bezirke die Herausgabe solcher Kontrollergebnisse ab. In Pankow gab es bis 2014 schon einmal eine Smiley-Liste – sie wurde jedoch nach Klagen von Gastronomiebetrieben abgeschaltet. Seitdem habe sich jedoch die Rechtsgrundlage durch Verabschiedung einer neuen europäischen Kontrollverordnung geändert. Die Nachfrage nach Transparenz sei danach gestiegen, schreibt „Topf secret" auf seiner Webseite. Allein in Berlin stellten mehr als 5.000 Verbraucher Anfragen.
Die Verbraucherschützer berufen sich bei ihrem Vorgehen auf das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Das Gesetz ist 2008 veröffentlicht worden mit dem Ziel, die gesundheitsbezogene Verbraucherinformation zu optimieren. Der Informationsanspruch der Verbraucher gilt nicht nur bei Gefahren oder Risiken für Gesundheit und Sicherheit, sondern er umfasst auch andere Bereiche wie etwa Informationen über die Kennzeichnung und Beschaffenheit von Produkten oder Herstellungsverfahren und Produktionsbedingungen. Auch Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften und Überwachungsergebnisse können abgerufen werden.
Danach hätten die Menschen Anspruch darauf, auch Einzelergebnisse von Hygiene-Kontrollen zu erfahren. Es ist nach Einschätzung von Dirk Behrend (Grüne), Senator für Justiz und Verbraucherschutz, bisher kaum nachvollziehbar, ob bei der Herstellung, Verarbeitung und dem Verkauf von Lebensmitteln die Hygienevorschriften eingehalten wurden. „Bei den Überprüfungen wird immer wieder festgestellt, dass es leider zu viele nicht allzu genau nehmen mit den Hygienevorschriften", sagte er in der Abendschau von Radio Berlin-Brandenburg (rbb). „Durch die Veröffentlichung wollen wir ihnen einen kleinen Schubs geben, dass sie sich vielleicht doch ein bisschen mehr Mühe geben, denn es geht ja um unser aller Gesundheit."
Darauf könnten die Hotel- und Gaststättenbetreiber gerne verzichten. Ihnen passt das Ganze überhaupt nicht. Wer möchte schon, dass Kunden an der Eingangstür gewarnt werden in diesem Lokal zu essen? Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) läuft seit Monaten schon Sturm gegen dieses Vorhaben: „Die immer wieder diskutierte Veröffentlichung von Ergebnissen der Lebensmittelkontrolle – egal ob in Form eines Smileys, einer Ampel oder eines Barometers – birgt nach Ansicht des Dehoga jedoch die große Gefahr, dass Gastronomen auf Dauer stigmatisiert werden", heißt es wörtlich in einer Stellungnahme. Die Pläne um das „Hygienefarbbarometer müssten endgültig vom Tisch". Der Verband bekenne sich ausdrücklich zur Einhaltung der zu Recht strengen Lebensmittelhygieneregelungen. Bei gravierenden Hygieneverstößen biete das geltende Recht ausreichend Sanktionsmöglichkeiten. Dieses Instrumentarium müsse im Sinne eines nachhaltigen Verbraucherschutzes voll ausgeschöpft werden. „Es ist völlig unverhältnismäßig und rechtlich bedenklich, dass in Restaurants das Ergebnis einer Momentaufnahme über Wochen und Monate zum Aushang kommen soll, obwohl längst alle Mängel beseitigt sind."
In Deutschland fehlen schlicht die personellen Ressourcen dafür
In der Tat trifft der Dehoga damit einen wunden Punkt. Anders als beim dänischen Smiley-System, auf das immer wieder als Vorbild hingewiesen wird, fehlen in Deutschland schlicht die personellen Ressourcen in der Lebensmittelüberwachung. Es gibt zu wenig Kontrolleure, um systematisch Kontrollen durchzuführen und vor allem eine zeitnahe Nachkontrolle vorzunehmen. Aus Sicht der Hotel- und Gaststättenbetreiber wäre das aber eine notwendige Bedingung: Jedes veröffentlichte negative Kontrollergebnis hat zwangsläufig schädigende Wettbewerbsauswirkungen und die Betroffenen müssen die Chance bekommen, sich zu rehabilitieren, um nicht einen dauerhaften wirtschaftlichen Schaden davon zu tragen.
Inzwischen haben Dutzende Verwaltungs- und mehrere Oberverwaltungsgerichte Klagen gegen die Herausgabe von Daten abgelehnt. Zum Beispiel dürfen nach einem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) die zuständigen Behörden die Ergebnisse von Hygiene-Kontrollen in Restaurants, Bäckereien und anderen Lebensmittelbetrieben an Bürgerinnen und Bürger herausgeben. Das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) verpflichte Behörden, Verbrauchern derartige Berichte auf Anfrage „unverzüglich zugänglich zu machen". Der Gesetzgeber strebe „eine umfängliche Information der Marktteilnehmer über Rechtsverstöße" an. Deshalb sei es auch mit dem VIG vereinbar, die Berichte im Internet zu veröffentlichen, so das Gericht, etwa über das Portal „Topf Secret": Bürger müssen sich dort mit allen Identitätsnachweisen anmelden, einen Antrag stellen, der zur Lebensmittelüberwachungsbehörde geht. Das kann einige Wochen dauern, wird auf der Webseite gewarnt. Die Antwort der Behörde geht wieder an das Portal und ist dann dort einsehbar. Wer möchte, kann die amtlichen Kontrollergebnisse der Lebensmittelüberwachung anschließend hochladen, sprich öffentlich machen, aber das geht nur unter dem eigenen Namen. Das ist genau der springende Punkt: Die Mängel können längst behoben sein, und die Veröffentlichung hängt hinterher. Oder der Betrieb steht im Internet und eventuell wenig später über die Medien am Pranger. Dieser Konflikt lässt sich so nicht lösen.