Die steigenden Preise durch den russischen Überfall auf die Ukraine nagen am Wohlstand. Gegenmaßnahmen wie das Neun-Euro-Ticket der Bundesregierung stoßen auf Schwierigkeiten und können die hohen Preise nur bedingt abfangen.
Krieg treibt die Preise. An diese Lektion wird Deutschland in den kommenden Monaten schmerzlich erinnert. Energiepreise sind die Haupttreiber, hinzu kommen Engpässe, die ohnehin schon durch die Corona-Pandemie entstanden sind und durch den harschen Lockdown der chinesischen Industriemetropole Shanghai noch verstärkt werden. Entsprechend hat der Internationale Währungsfonds seine Prognose des weltwirtschaftlichen Wachstums in diesem Jahr von vier auf 3,6 Prozent gesenkt – das klingt wenig, summiert sich jedoch in absoluten Zahlen auf ein Minus von 660 Milliarden Euro.
Das deutsche Ifo-Institut korrigiert das deutsche Wachstum 2022 ebenfalls nach unten – die Gründe: Die Weltmarktpreise vieler Rohstoffe seien drastisch gestiegen. „Anders als erwartet ist die Inflationsrate seit Jahresbeginn nicht zurückgegangen. Vielmehr haben die Verbraucherpreise und insbesondere die Preise für Energie und Nahrungsmittel weiter mit kräftigen Raten zugelegt. Dies reduziert die Kaufkraft vieler Haushalte und dämpft die Erholung der Konsumkonjunktur", so das Wirtschaftsinstitut. Die gegen Russland beschlossenen Sanktionen dämpfen zeitgleich die Exportleistung Deutschlands, der Krieg lässt Produktionen in der Ukraine komplett ausfallen. Dazu gehören beispielsweise Autoteile, die sich deutsche Konzerne nun woanders beschaffen müssen. „Die Unsicherheit hat deutlich zugenommen, da die Dauer und der Ausgang des Krieges sowie die weitere Entwicklung der Sanktionen gegen Russland schwer abzuschätzen sind."
Sanktionen dämpfen Export
Die Unsicherheit treibt die Energiepreise und damit auch den Preis von Produkten, die mithilfe dieser Energie hergestellt werden. „Dies schlägt sich nicht zuletzt in der hohen Volatilität der aktuellen und erwarteten Börsenpreise für Energieträger nieder, was die Ausgabebereitschaft von Unternehmen und Haushalten für Investitionen und langlebige Konsumgüter zusätzlich belasten dürfte."
Letztlich spüren werden dies auch deutsche Konsumenten, sie zahlen nun mehr – auch für Benzin. Zwar hat die Bundesregierung Gegenmaßnahmen beschlossen und dafür Geld bereitgestellt. Bei einigen dieser Maßnahmen aber gibt es Schwierigkeiten in der Umsetzung. Zum Beispiel beim Neun-Euro-Ticket.
„9 für 90" verkündete die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang als Offensive gegen den hohen Spritverbrauch. Drei Monate lang sollen die Deutschen mit einer Monatskarte für neun Euro im öffentlichen Nahverkehr fahren dürfen. Die Ankündigung stürzte die Verkehrsverbünde zuerst in Ratlosigkeit. Eine Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) kommentierte damals gegenüber FORUM: „Ein absoluter Nulltarif wäre für uns wesentlich einfacher umzusetzen." Unklar ist zunächst, wo nun „9 für 90" genau gelte. Der ÖPNV ist ein dehnbarer Begriff, konkret geht es um Tarif-Zonen. Darüber hinaus um den Regionalverkehr der Bahn. Die Verkehrsminister der Länder einigten sich mit Vertretern der Bahn schließlich darauf, die Neun-Euro-Monatskarte gilt ab dem ersten Juni bundesweit im gesamten ÖPNV und Regionalverkehr und das länderübergreifend. Von Frankfurt an der Oder nach Magdeburg oder von Mannheim nach Saarbrücken: Aus „9 für 90" ist dabei nun ein „9 für 92" rausgekommen. Vom ersten Juni bis zum 31. August sind es 92 Tage, an denen die Neun-Euro-Monatskarte nun gilt.

Wobei die Verkehrsbetriebe der Länder bei der Umsetzung erheblich gefordert sind. Denn für die drei Sommermonate wird das bislang geltende Tarifsystem in den bundesweiten Tarifverbünden bei ÖPNV und Regionalverkehr in den Ländern komplett ausgehebelt. Die Kosten, ursprünglich auf eine Milliarde Euro kalkuliert, nun mit 2,5 Milliarden bewilligt, übernimmt der Bund. Um diese Hauruck-Aktion besser umsetzen zu können, gehen manche Verkehrsverbünde nun den kleinen Dienstweg: In einigen Ländern verzichtet man in diesen drei Monaten schlicht auf jegliche Fahrscheinkontrollen, weil der Aufwand einfach zu groß wäre, heißt es zum Beispiel aus dem hessischen Verkehrsministerium.
Bei der Bahn AG macht man sich unterdessen ganz andere Sorgen. Gerade die touristisch intensiv genutzten Regionalstrecken könnten in der Zeit, dazu im Sommer, hoffnungslos überlastet werden. Mehr Regionalzüge können nicht eingesetzt werden, da die Streckentaktung auf Anschlag ausgelastet ist, so die Bahn-AG.
Preise für Strom und Energie explodieren
Die Hoffnung bleibt, dass dadurch mehr Autofahrer auf den ÖPNV umsteigen werden. Gleichzeitig steigen jedoch die Strompreise, laut dem Portal Verivox auf nun fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Zahlte ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden noch 1.171 Euro per annum für Strom, so sind es nun 1.737 Euro. Die durchschnittlichen Jahrespreise sind brutto, also inklusive Mehrwertsteuer.
Mit dem geplanten Wegfall der EEG-Umlage, die Ende April im Bundestag beschlossen werden soll, könnte sich die Preisrallye wieder ein wenig beruhigen. Dazu soll sichergestellt sein, dass die Ersparnis auch beim Verbraucher ankommt –
und dazu muss das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden. Die Auswirkungen dessen werden aber kaum spürbar, prophezeien Experten schon heute.
Beim Gas zählt Verivox im zweiten Quartal 118 Preiserhöhungen von Grundversorgern, in deren Gebiet sieben Millionen Haushalte liegen. Im Schnitt verteuern sich die Tarife hierbei um 42,3 Prozent. Musste eine beispielhafte Familie mit einem Gasverbrauch von 20.000 Kilowattstunden im April 2021 noch 1.184 Euro pro Jahr ausgeben, so sind es derzeit 2.787 Euro – das ist ein Anstieg von 135 Prozent.
„Alle Gasanbieter in Deutschland haben mit historisch hohen Einkaufspreisen zu kämpfen", sagt Verivox-Experte Thorsten Storck. „Der Krieg in der Ukraine und ein möglicher Gas-Lieferstopp verschärfen die Situation noch zusätzlich." Daher müssten sich die Verbraucherinnen und Verbraucher auch in den kommenden Monaten auf steigende Preise einstellen.
Klar ist, dass Spekulation die Preise anheizt – noch ist der Gaslieferstopp eine Option, und im Falle Deutschlands sogar eine allzu ferne, so die Bundesregierung. Der Blick nach vorne ist also alles andere als vielversprechend, und auch der Blick zurück ist ernüchternd. Frieden bleibt, so viel ist sicher, die kostengünstigere Variante des Zusammenlebens.