Aldi hat angekündigt, kein Billigfleisch mehr verkaufen zu wollen. Bleibt der Marktführer dabei, könnte das den Umbau einer ganzen Branche nach sich ziehen. Doch wer zahlt die Kosten?
Bis 2030 wollen Aldi Süd wie Nord komplett auf den Verkauf von Fleisch aus den höchsten sogenannten Haltungsformen drei und vier umsteigen. Damit sollen Landwirte und Fleischverarbeiter die Umstellung ihrer Produktion planmäßig angehen können. In drei Schritten will man das Angebot anpassen: In diesem Jahr wird beim Frischfleischverkauf ein Anteil von 15 Prozent angestrebt, bis 2026 solle er auf 33 Prozent steigen, und 2030 ist das Sortiment komplett erneuert.
Aldi und andere große Lebensmittelhändler hatten 2019 dieses vierstufige System für die Kennzeichnung der Tierhaltung eingeführt. Stufe 1 bedeutet reine Stallhaltung – die Tiere sehen keine Sonne und sind niemals an der Luft. Stufe 2 bedeutet etwas mehr Platz. Stufe 3 Kontakt nach draußen, mit der frischen Luft, Stufe 4 zusätzlich Auslaufmöglichkeiten.
Diese Ankündigung, bald nur noch Frischfleisch aus Freiland- und Biohaltung zu verkaufen, hat „das Potenzial, die deutsche Tierhaltung grundlegender zu verändern als die Agrarpolitik der Minister Schmidt und Klöckner der vergangenen sieben Jahre“, kommentiert Matthias Schulze Steinmann im Fachblatt „Topagrar“. Der Discounter ziehe damit am Gesetzgeber vorbei und schaffe klare Fakten – etwas, was die Bauern bisher vermissten.
In drei Schritten soll das Angebot angepasst werden
Dementsprechend wurde die Aldi-Initiative von Greenpeace als ein „Meilenstein“ begrüßt. Auch der Tierschutzbund hat den Discounter gelobt. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte: „Entscheidend ist, dass die jetzige Zusage kein PR-Gag ist, sondern am Ende die besseren Preise auch bei den Landwirten ankommen, die mehr fürs Tierwohl tun.“
Schon wollen andere Handelsketten nachziehen. Rewe teilte mit, in seinen Supermärkten und bei der Discount-Tochter Penny ebenfalls bis Ende 2030 im gesamten Frischfleischsortiment (Schwein, Rind und Geflügel) ausschließlich die Haltungsformen 3 und 4 anzubieten. Edeka, Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler, will „kurzfristig“ auf die Haltungsstufe 1 und längerfristig auch auf 2 verzichten.
Wie viel die Kunden künftig mehr für das Fleisch bezahlen müssen – darüber macht Aldi bislang keine Angaben. Bis auf den Hinweis, dass das Preisniveau von Haltungsstufe 1 oder 2 nicht zu halten wäre. Noch steckt nachhaltigeres Fleisch in der Nische. Nur 13 Prozent des gekennzeichneten Fleisches stamme aus den höchsten Haltungsformen, haben die Verbraucherzentralen im vergangenen Jahr bei einem Marktcheck festgestellt. Deshalb reagiert der Deutsche Bauernverband (DBV) eher zurückhaltend auf die Aldi-Ankündigung. Präsident Joachim Ruckwied findet es zwar gut, dass der Lebensmitteleinzelhandel bereit sei, „im Einkauf erhebliche Summen aufzuwenden, um mehr Tierwohl angemessen zu honorieren.“
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, das im Auftrag des Bundesagrarministeriums den Umbau der Nutztierhaltung berechnet hat, schätzt die Kosten auf drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Wobei die Tierhaltung auf dem höchsten und aufwendigsten Niveau über Jahre hinaus weitergehen müsste. Josef Efken und Claus Deblitz vom Thünen-Institut haben ausgerechnet, was die Umstellung allein für die rund 20.000 deutschen Schweinebauern kosten würde: Der Finanzbedarf würde bei 1,3 Milliarden Euro jährlich liegen. Die Rechenmodelle, die solche Zahlen auf das Kilo Fleisch inklusive Verarbeitung, Transport und Händlermarge runterrechnen, bewegen sich zwischen plus 0,31 und vier Euro. Eines ist klar: Fleisch wird teurer, die Verbraucher müssen für mehr Tierwohl tiefer in die Tasche greifen.
Würden die Verbraucher dann überhaupt zugreifen? Viele möchten zwar etwas für das Tierwohl tun, doch die Haltungskennzeichnungen 1 bis 4 sei noch zu unbekannt, um beim Einkauf eine Rolle zu spielen, argumentiert der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Dazu kämen immer wieder Werbeaktionen für billige Angebote, etwa für Hackfleisch oder Hähnchenschenkel, die das Vertrauen in die Seriosität des gesamten Angebots nicht gerade stärken (aktuell: Minutensteaks vom Schwein für 66 Cent pro 100 Gramm). Und neben dem „Tierwohl“-Label klebten auf vielen Fleischpackungen auch noch andere Siegel („Fairfarm“, „Neuland“), die vollmundig Natur und Bio versprechen.
Dennoch sieht Agrarökonom Achim Spiller von der Uni Göttingen, dass „in den letzten ein bis zwei Jahren Bewegung“ in den Markt für Biofleisch gekommen ist. Das deckt sich mit den Erwartungen der Aldi-Manager. „Der steigende Umsatz mit nachhaltig erzeugter Ware zeigt, dass unsere Kunden bereit sind für einen Bewusstseinswandel“, ist Tobias Heinbockel, Managing Director Aldi Nord, überzeugt. Spiller schätzt, dass zukünftig bei großen Mengen die Mehrkosten für Haltungsstufe 3 bei überschaubaren 40 bis 50 Cent je Kilogramm liegen. Eine Summe, die nach Studien viele für mehr Tierwohl zahlen würden.
Landwirte müssen das Risiko des Stallumbaus allein tragen
„Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ könnte man an dieser Stelle die großartig angekündigte Umstellung kommentieren. Denn wie Bauernpräsident Ruckwied betont, werde ein Umbau und Neubau der Ställe viel Geld verschlingen. Man stelle sich nur vor, ein Schweinezüchter mit 3.000 Tieren in einer Anlage müsste für jedes einzelne Schwein eine größere Box, mehr Platz und Freiflächen für den Auslauf bereithalten. Noch produzieren rund 90 Prozent der deutschen Landwirte auf konventionelle Art und Weise. Mehr Tierwohl in der Breite bedeutet eine komplette Umstellung des Fleischmarktes, der die letzten Jahrzehnte nur eine Richtung kannte: die Produktion immer größerer Mengen.
Fraglich bleibt, ob der Lebensmitteleinzelhandel bereit ist, den Umbau mitzutragen. Wie formuliert es Carsten Matthäus vom Deutschen Landwirtschaftsverlag? „Aldi spielt unfair.“ Denn „hocheffizient hohe Fleischmengen mit modernen Tierhaltungsmethoden zu tiefstmöglichen Preisen zu erzeugen, das kann nicht jeder Bauer“, schreibt er im Branchenblatt „Agrarheute“. Dann treffe es wieder einmal die kleinen Betriebe. Oder die Discounter beziehen ihr Tierwohl-Fleisch aus dem Ausland und packen Fleischersatzprodukte in die Regale, so schildert es Matthias Schulze Steinmann im Fachblatt „Topagrar“. Er bringt das Problem auf den Punkt: „Aldi schafft Fakten – das Risiko tragen die Bauern.“