Im Rahmen des Programms Heimatstipendium#2 der Kunststiftung Sachsen-Anhalt haben Künstlerinnen und Künstler zwölf Monate lang Projekte recherchieren und umsetzen können. Die Ergebnisse werden in zehn Ausstellungen in Gedenkstätten und Museen gezeigt.
Bis in den Februar hinein laden unter anderem das Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in Dessau, das Börde-Museum Burg Ummendorf oder das Kulturquadrat Schloss Zörbig ein, auf künstlerische Entdeckungsreise zu gehen.
Den Auftakt machte eine Gruppenausstellung in der Kunststiftung Sachsen-Anhalt in Halle. Am Eingang stimmte Christine Bergmann, eine Stipendiatin der letzten Ausgabe, mit ihrer malerischen Adaption eines Fotos von 1931 ein: Eine Frau geht mit einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen an der Hand über einen Hügel – vor ihnen türmt sich eine riesige Wolkenwand auf. Eine Harzlandschaft, die Stimmung ist jedoch exemplarisch für das Heimatstipendium und die sich anschließenden Heimathorizonte-Präsentationen. „Deshalb ist es unser Motiv für die gesamte Kampagne", erklärt Manon Bursian, die Direktorin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt.
Die zehn Ausstellungsorte sind keine Kunstgalerien, sondern regionale Museen und Gedenkstätten. Sie mussten sich – wie die Künstlerinnen und Künstler – um die Teilnahme bewerben. „Wir haben die Stipendiaten nach künstlerischer Qualität ausgewählt", sagt Manon Bursian zu ihrem Programm, das alle zwei bis drei Jahre stattfinden soll. Die Häuser hingegen sollen über einen möglichst überraschenden und vielleicht unentdeckten Fundus verfügen. Dieser dient den Stipendiaten als Inspiration. Sie suchen sich eine Institution aus und fangen an, dort zu forschen: ein ganzes Jahr lang.
Sie schenken den Objekten ein zweites Leben
Was fand Julia Rückert (*1980) im Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in Dessau? Ein Habichtskelett, ein Entenküken mit zwei Köpfen und Schubladen voller aufgespießter Insekten. Der in Bernstein eingeschlossenen Mücke schenkt sie ein zweites Leben in Form eines keramischen Mosaiks. Riesengroß, aber verpixelt, erkennt man die Umrisse des Plagegeists. Sie hat Kinder Fantasiegestalten zeichnen lassen und aus den Vorlagen keramische Figuren geformt. „Fabelhafte Wesen" heißt folgerichtig ihre kleine Schau, die noch bis 27. Februar im Museum für Naturkunde und Vorgeschichte zu sehen ist.
Die Museen in den kleineren Städten Sachsen-Anhalts leiden häufig unter Finanznot und Ressourcenmangel. Gibt es in Dessau gerade mal noch einen Mitarbeiter, der nur fürs Lüften und Desinfizieren zuständig ist, hat die Lutherstadt Eisleben hingegen gar kein Museum mehr. Aber sie besitzt noch mehr als 6.000 Exponate aus der Ur- und Frühgeschichte, darunter einen 250.000 Jahre alten Faustkeil und einen Einbaum. Das alles lagert in Depots. Der Eislebener Autor und Filmproduzent Thomas Jeschner (*1967) hat ausgewählte Objekte in Pop-up-Museen auf Zeit ausgestellt. Warum sollte man nicht im Einwohnermeldeamt Kunst betrachten können oder in der Apotheke? Anknüpfend an Traditionen von Bergmannsumzügen gab es zur Eröffnung einen festlichen Marsch vom Depot zum Präsentationsort (bis 19. November).
„Manches mutet merkwürdig an"
Das Ultralokale dieser Ausstellungen, das Vertrauen in die Wirkkraft regionaler Handarbeitstechniken wie Sticken oder Scherenschnitt, ist die große Stärke dieser Heimatstipendien. Da werden tendenziell jüngere Künstler im eigenen Bundesland neu verortet – und heraus kommen frisch gedachte Positionen, die ihre Herkunft nicht verleugnen. „Auf den ersten Blick mutet manches merkwürdig an", sagt Manon Bursian, „dann sieht man, das ist die Heimat".
Sachsen-Anhalt sei ein Flächenland, das immer noch von der Agrarindustrie geprägt sei, so die Direktorin der Kunststiftung. „Wir haben eine kleine Kunstszene." Dabei ist mit der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle eine renommierte Ausbildungsstätte am Platz. „Es ist eine künstlerisch sehr inspirierte Stadt", sagt Bursian. Was fehlt, sind Stipendiaten mit einem Migrationshintergrund, wie sie sonst in jeder zeitgenössischen Ausstellung präsent sind. „Wenn wir sie hätten, würden wir sie fördern, das ist völlig klar."
Eine Entdeckung in Zeitz – das Fatschenkind
Eine barocke süddeutsche Tradition hat Julia Schleicher (*1983) aufgegriffen. Die Bildhauerin entdeckte im Deutschen Kinderwagenmuseum des Museums Schloss Moritzburg Zeitz ein Fatschenkind. Zum ersten Mal war sie mit einer solchen Andachtsfigur, einem eng gewickelten Jesuskind, konfrontiert. Selbst zweifache Mutter, experimentierte sie mit „larvenähnlichen" Figürchen aus Eisen und Aluminium. Manche Gips-Fatschen überzog die Theaterplastikerin mit Schellack und verpasste ihnen so eine honigfarben schillernde Patina. „Sie machen neugierig, man möchte sie anfassen", sagt Kristin Otto, die Direktorin des Zeitzer Museums. Bis 28. November zeigt sie die Fatschen, an denen Julia Schleicher über ein Jahr lang gearbeitet hat. Keine gleicht der anderen, sie sind Variationen des Themas – einst Heiland und Ersatzbaby für Novizinnen im Kloster. Zwei Räume von Schloss Moritzburg sind dieser Station von Heimatstipendium gewidmet. Ansonsten beherbergt es das Kinderwagenmuseum und wertvolle historisch möblierte Residenzräume.
Nationalsozialistische Erinnerungskultur neu gedacht
Mit zwei ernsten Ausstellungsorten wendet sich das Programm an die geschichtsbewussten Besucher: Zum einen rückt Petra Reichenbach (*1963) „Starke Frauen in der Lichtenburg" in den Fokus. Im ehemaligen Prettiner Schloss schlägt sie eine Brücke von den Renaissance-Fresken zu den unbeugsamen Insassinnen während seiner Umnutzung als KZ. Noch herzergreifender ist Mareen Alburg Dunckers (*1975) Gedenkschmuck „In Memoriam" für die Opfer der NS-„Euthanasie" Bernburg. Die Schmuckkünstlerin tauchte ein in die Biografien von Frauen und Männern und gestaltete in Kooperation mit den hinterbliebenen Familien ein adäquates Stück. Etwa entstand für den ermordeten Alfred Mühlhausen ein hohler Ring. Beim Öffnen rieselt Kalkstaub heraus: eine Reminiszenz an den Traumatisierten des Ersten Weltkriegs, der seit dem 14. Lebensjahr in einem Kalksteinbruch gearbeitet hatte. So schlagen die zehn Museen und Gedenkstätten von „Heimatstipendium" einen freigeistigen Bogen um den Heimatbegriff. Die Künstlerinnen bohren tief und fördern Eindrucksvolles zutage. Es ist ein Programm, bei dem die allgegenwärtige Globalisierung einmal draußen bleibt. Dennoch, so formuliert es die Moritzburg-Direktorin Otto: „Wir zeigen Heimat jenseits der Deutschtümelei."