Ein klarer Sieg, aber nicht überzeugend: Emmanuel Macron bleibt Präsident in Frankreich und verspricht, nicht einfach nur so weiterzumachen wie bisher. Le Pen und die Linke haben die Parlamentswahl im Juni bereits zum „dritten Wahlgang" erklärt.
Das erste Wort auf der großen Bühne war ein schlichtes „Merci". Das allein drückt mehr aus über diesen Wahlsonntag als viele Reportagen und Stimmungsbilder.
Er hat es nun doch ziemlich eindeutig geschafft. Emmanuel Macron bleibt Präsident. Er strahlt in die Kameras, wie man ihn kennt, aber ein strahlender Sieg war das nicht. 58 Prozent sind sicher kein knappes Ergebnis, aber im Vergleich zu den 66 Prozent fünf Jahre zuvor schon ein klares Votum über die erste Amtszeit und das Ansehen von Monsieur le Président.
Während in Frankreich selbst intensiv darüber gestritten wird, wie dieses Ergebnis zu bewerten ist und was es über den Zustand der eigentlich so stolzen Republik sagt, herrscht in den meisten europäischen Hauptstädten vor allem Erleichterung. Nicht auszudenken, was ein Sieg von Marine Le Pen für Europa bedeutet hätte, das nach Finanzkrise, Brexit und Pandemie aktuell durch Russlands Überfall auf die Ukraine in einem extremen Maß herausgefordert ist.
So war es einerseits nachvollziehbar und verständlich, aber doch ziemlich einzigartig, dass europäische Spitzenpolitiker, darunter auch Regierungschefs, nach dem ersten Wahldurchgang ziemlich unverhohlen Wahlkampf für Macron gemacht hatten. „Erleichtert" war denn auch das Wort des Abends, das sich in ersten Kommentierungen zur Wahl durch ziemlich alle Interviews und Statements zog.
Ein nüchternes Ergebnis
Erleichterung sicherlich, denn den Europäern steckt der Brexit-Schock nochin den Knochen. Keiner hatte ernsthaft geglaubt, dass die Briten so abstimmen würden. Seit diesem Schock blickt man in Europa mit anderen Augen auf Abstimmungen bei den Nachbarn, nichts scheint wirklich unmöglich, auch eine Wahl von Le Pen war nicht jenseits aller Vorstellungen. Im Gegenteil. Sie hat für ihre Partei das bislang beste Ergebnis geholt. Trotz der Niederlage sieht sich Le Pens Partei Rassemblement National (RN) als eigentliche Gewinnerin. Und das will RN im Sommer bei den Parlamentswahlen unterstreichen. Auf diese Wahlen im Juni blickt auch die Linke. Die betonten nämlich schon kurz nach den ersten Hochrechnungen, sie hätten zwar gegen eine Wahl von Le Pen aufgerufen, aber nicht zur Wahl von Macron aufgefordert. Diesmal sei es eine Wahl gegen Le Pen gewesen, die Parlamentswahl werde eine Wahl gegen Macron.
Frankreich hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Diesmal hat sich noch das bürgerlich-liberale Frankreich durchgesetzt. Vielleicht haben nicht wirklich knapp 60 Prozent der Französinnen und Franzosen Macron gewählt, sondern vor allem eine populistische, antieuropäische Rechte verhindert. Das weiß Macron selbst und hat es auch klar bei seiner kurzen Siegesansprache angesprochen.
Angekommen ist er auf dem Marsfeld unter dem Eiffelturm zu den Klängen der Europahymne. Das zumindest ist eine Konstante, spannt den Bogen zurück zum Start seiner ersten Amtszeit, erinnert an die leidenschaftlichen und großen Europareden. Trotzdem steht er noch nicht ganz in der ersten Reihe großer Europäer. Das aber liegt weniger an seiner leidenschaftlichen Ambition, sondern an der zurückhaltenden Zögerlichkeit nicht zuletzt des großen Nachbarn Deutschland. Merkels nüchterner Pragmatismus und Zähigkeit im europäischen Klein-Klein passte nicht zu Macrons visionären Gedankenausflügen. Davon hätte er sicher gern noch den ein oder anderen Akzent gesetzt, hat Frankreich doch in diesem ersten Halbjahr turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die steht aber – wie alles seit dem 24. Februar – unter völlig neuen Voraussetzungen.
Macrons Wahl fand an dem Tag statt, an dem der Krieg in der Ukraine genau zwei Monate alt war. Die zweite Amtszeit beginnt in Kriegszeiten, in denen die Nato wieder einen anderen Ton hat als zu Zeiten, da sie nach Ansicht Macrons „hirntot" war. Frankreich ist nach dem Brexit einzige Atommacht in der EU und hatte immer schon eigene Vorstellungen in Sachen Verteidigungs- und Militärpolitik. Mit dem Krieg fällt Frankreich aber noch eine zusätzliche Rolle zu aufgrund seiner historisch begründeten eigenen Verbindungen nach Afrika.
Seine Rede nach dem Wahlsieg stand aber ganz im Zeichen des Zustands der Grande Nation. „Es gibt Zweifel, Formen der Zerrissenheit", räumte der alte und neue Präsident ein. Eine Wortwahl, die allenfalls erahnen lässt, wie sehr die innere Zerrissenheit des Landes in den letzten Jahren zugenommen hat. Was auch erklärt, warum Macrons Wiederwahl alles andere als ein Selbstläufer war.
Vermutlich spielte auch bei ihm der Gedanke an die bevorstehende Parlamentswahl im Hinterkopf eine Rolle, als er ganz staatsmännisch auch denen, die ihn nicht gewählt haben, und denen, die erst gar nicht zur Wahl gegangen waren, zurief, Präsident aller Franzosen sein zu wollen. Aber ihm, dem zuletzt Arroganz und Abgehobenheit nachgesagt wurden, ist klar, dass die nächsten Jahre härter werden angesichts der Vielzahl an massiven Herausforderungen und Ungewissheiten. Darauf schwor er die Franzosen bereits weniger als zwei Stunden nach seiner Wiederwahl ein: „Die nächsten Jahre werden keine ruhigen Jahre werden" – um dann gleich wieder an den Stolz der Franzosen zu appellieren: „Aber sie können historisch werden". Er jedenfalls versprach, „die letzten fünf Jahre nicht einfach fortsetzen" zu wollen. Und Macron hat für seine zweite Amtszeit auch bereits die Überschriften: Er sei gewählt worden für ein unabhängiges Frankreich und ein stärkeres Europa und wolle aus Frankreich eine „große umweltbewusste Nation" machen. Macron hat damit eine zweite Chance in einem Land, das sich massiv geändert hat.
Macron muss sich neu erfinden
Der politische Diskurs hat sich nach rechts verschoben. Le Pens Partei firmiert zwar unter Rassemblement National statt wie früher Front National, aber Anhänger sagen freimütig in Mikrofone: Der Name hat sich geändert, der Inhalt nicht.
Das stimmt nicht ganz. Le Pens Wahlkampf war deutlich gemäßigter als in früheren Zeiten, trotzdem bleibt eine rechtspopulistische Partei mit ausländer- und europafeindlicher Grundstimmung, deren Präsidentschaftskandidatin klar über 40 Prozent der Stimmen bekommt, und das nicht nur gegen Macron, sondern gegen alle anderen politischen Kräfte, die sich nach dem ersten Wahlgang für einen Sieg von Macron eingesetzt haben.
In Frankreich hat sich die bürgerliche Mitte einigermaßen aufgelöst. Traditionsparteien, die sich leicht rechts oder links der Mitte gruppierten, sind in der Bedeutungslosigkeit versunken. Die Präsidentschaftsbewerber von Konservativen, Sozialisten und Grünen kamen in der ersten Runde zusammen gerade mal über zehn Prozent, Der rechtsextreme Éric Zemmour auf knapp sieben, Le Pen auf 24,3 und der Linke Jean-Luc Mélanchon auf 21,3 Prozent.
Macrons Partei En Marche hat sich nicht zu dem Sammelbecken in der politischen Mitte entwickelt, wie vielleicht zunächst erwartet, was aber auch daran liegt, dass die gesellschaftliche Mitte zerbröckelt ist. Soziale Probleme in den Großstädten (Banlieus), wirtschaftliche Probleme („Gilets jaunes" – Gelbwesten) sind nur die sichtbaren Ausdrücke tief greifender Verwerfungen, denen auch Macron in seiner ersten Amtszeit nicht gerecht wurde, eher im Gegenteil, wie seine Kritiker meinen. Macron wird in der Tat die bisherige Arbeit „nicht einfach fortsetzen" können. Damit bleibt spannend, wie er sich selbst neu erfinden will.