Die Bundesregierung hat die Energiewende als ihr wichtigstes Projekt ausgerufen. Es sollte eine Revolution werden. Aus Klimaschutzgründen und für mehr Unabhängigkeit. Der Widerstand gegen die Umsetzung folgt alten Ritualen.
Die gerade angelaufene Aktion „80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel" des Bundeswirtschafts- und Klimaministeriums hat schon Züge einer gewissen Hilflosigkeit. Der Chef des Hauses, Robert Habeck, trägt vor, dass jeder Bundesbürger die Energiewende mit Einsparungen im Privaten durch eigenes Zutun zum Erfolg führen kann. Auf einem der gezeigten Plakate wird dazu aufgerufen, Spar-Duschköpfe einzubauen, damit könnten bis zu 30 Prozent Strom gespart werden. Ein ähnlicher Aufruf war bereits vor gut einem Jahr im FORUM zu lesen. Der Präsident der Umweltbundesamtes Dirk Messner hatte im Interview diesen Vorschlag zum Stromsparen unterbreitet. Nun kommt also von höchster Stelle die Werbekampagne dazu. Beim Betrachter der Plakate entsteht unwillkürlich der Eindruck: Was im Großen bei der Energiewende nicht klappt, also schneller Neubau von Windrädern oder Solaranlagen, sollen nun die Verbraucher ausbügeln. Dazu musste sich Klimaminister Habeck harsche Kritik von den Sozialverbänden anhören. Vor allem Verbraucher mit schmalem Geldbeutel bräuchten solche Ratschläge nicht, da sie ohnehin bereits im letzten Winter ihre Heizungen runterdrehen mussten und ihre Duschtaktung ebenfalls schon ausgedünnt hätten.
Doch Habeck gibt so schnell nicht klein bei und berichtet stolz, dass seine Ministeriums-Mitarbeiter in diesem Sommer doch etwas luftiger gekleidet zum Dienst erscheinen sollten. Die Klimaanlage seines Hauses wurde von 21 auf 26 Grad hochgeregelt. Schwitzen für die Energiewende. Doch auch das kann über den Ernst der Lage nicht hinwegtäuschen. Beim Umbau der Stromgewinnung geht es nicht mit revolutionär großen Schritten voran, sondern es ist eher ein Tasten in Trippelschritten.
Werbeoffensive für Energiesparen
Die Zahlen sind dramatisch: Im vergangenen Jahr wurden 560 Terrawattstunden Strom in ganz Deutschland verbraucht, am Ende dieses Jahrzehnts werden es vermutlich 750 Terrawatt sein. Ein Drittel mehr als heute, verursacht durch E-Auto und grünen Wasserstoff. Dazu sollen Ende des Jahres die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet und die Kohlekraftwerke vom Netz gehen beziehungsweise auf Gas umgestellt werden. Quadratur des Kreises 4.0. Dreh und Angelpunkt für das Paradoxon, mehr Strom verbrauchen und Kraftwerke abschalten, ist die Windenergie. Habeck hatte bereits im Januar das Zwei-Prozent-Flächenziel für Erneuerbare Energieträger an die Bundesländer ausgegeben. Zwei Prozent der Fläche der Bundesrepublik sollen Windrädern vorbehalten sein. Sie sind die Hauptlastträger der Energiewende.
Die Länder sind ganz offensichtlich bemüht, nicht allzu große Hektik schon beim Ausweisen der Flächen für Windenergieanlagen aufkommen zu lassen. Aktuell ausgewiesen sind bundesweit lediglich 0,8 -, tatsächlich verfügbar sind aber nur 0,5 Prozent der Flächen. Bei so viel Gelassenheit ist Klimaminister Habeck nun endgültig der Kragen geplatzt. Er will die Ausweisung der Flächen per Bundesgesetz regeln. Jedem Land sollen klare Vorgaben gemacht werden, wieviel Flächen ausgewiesen werden müssen. Die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg müssen wegen nicht vorhandener Fläche weniger melden, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen sollen zu mehr gezwungen werden. Ausschlaggebend beim Berechnungsschlüssel ist Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer. Geht es nach dem Habeck-Gesetz, müssen in vier Jahren 1,4 Prozent der Flächen nicht nur ausgewiesen, sondern auch wirklich verfügbar sein, bis 2032 sollen es dann die angestrebten zwei Prozent sein.
Doch ausgewiesen und auch verfügbar heißt nicht, dass sich dort dann auch Windräder drehen. Das Genehmigungsverfahren für ein Windrad beträgt aktuell gerne mal zwischen fünf und zehn Jahren. Damit ist der Zeitplan zur Energiewende beim Strom, wonach bereits in acht Jahren 80 Prozent aus Erneuerbaren kommen soll, geradezu illusorisch.
Aber auch wenn die Länder jetzt überraschend den Turbo einlegen sollten, wird es nicht flott vorangehen. „Jedes zweite Windrad, das sich derzeit dreht, wird juristisch beklagt. Bei Planung oder Bau ist es noch schlimmer, da wird gegen jede Anlage geklagt," so Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) aus Schleswig-Holstein gegenüber FORUM. Sein Bundesland ist Vorreiter beim Windenergie-Ausbau, was zugegebenermaßen bei dem doppelten Küstenland nicht so schwierig ist. „Sollte man denken, aber selbst bei den Offshore-Anlagen wird gegen alles und jeden geklagt, als hätte es das Wort Energiewende und Klimawandel nie gegeben." Buchholz ist diesbezüglich mehr als ernüchtert, über die verschlafene Politik, aber auch die Bürgerwut, nicht nur in Schleswig-Holstein. Weg von der fossilen Energie will jeder, doch selber dazu mehr beitragen, als womöglich Energiesparduschköpfe zu Hause einzubauen, da wird es eng in Deutschland.
Druck für schnellen Windkraftausbau
Erderwärmung stoppen, das heißt nicht nur Energie-, sondern auch Mobilitätswende. Auch hier sind Erkenntnisgewinn und Umsetzung sowohl in der Politik, vor allem aber bei Bürgern offensichtlich zwei ganz unterschiedliche Dinge, die wenig bis nichts miteinander zu tun haben. Das bekommt derzeit die Grüne Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, Monika Herrmann, hautnah zu spüren. Seit Jahren sorgt sie gegen viel Widerstand für massive Verkehrsberuhigung in dem Öko-Szene-Eldorado. Nun will sie auch die parkenden Autos nach und nach zumindest aus den Kreuzberger Seitenstraßen verbannen. Der Aufschrei ist dementsprechend groß, vor allem von Grünen-Wählern. Viele argumentieren, dass sie umweltfreundliche E-Autos besitzen würden und so das Klima retten. Die Grüne Bezirksbürgermeisterin Herrmann widerspricht: Erstens würden die Fahrzeuge Strom verbrauchen und Klima retten heißt weniger Verbrauch. Und zweitens geht es ihr darum, dass wertvolles Straßenland nicht mit SUVs (egal welcher Antriebsart) zugeparkt wird. Aber selbst das Neun-Euro-Ticket hat in dem kleinen Öko-Kosmos Kreuzberg mit 38 Prozent Grünwählern bei der letzten Bundestagswahl nicht zum Umsteigen in Bus und Bahn geführt. Für Politiker eine erschreckende Erkenntnis. Wenn nicht mal in Berlin mit Deutschlands dichtestem ÖPNV-Netz das Mobilitäts-Umdenken ankommt, wie will man da dann noch in den ländlichen Räumen argumentieren?
Energiewende heißt nun mal auch, sich von alten Mobilitätsgewohnheiten zu verabschieden. Aber massive Einschränkung von Autoverkehr in deutschen Innenstädten kommt offensichtlich ebenso gut an wie Windräder oder riesige Fotovoltaik-Anlagen in direkter Nachbarschaft zu bauen.
Die Ampelregierung bleibt bei dem Credo der Vorgängerregierungen, die Klima-, Energie- und Mobilitätswende voranzutreiben, aber die alten Wohlstandsselbstverständlichkeiten auf keinen Fall in Frage zu stellen, frei nach dem alten Sprichwort: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Bestes Beispiel dafür ist die jetzt beginnende Ferienzeit. Seit Jahren wird darüber diskutiert, dass Fliegen unter dem Gesichtspunkt der Umweltverträglichkeit viel zu preiswert ist. Nicht nur Aktivisten von NABU oder BUND, sondern auch das Bundesumweltamt weisen seit Jahren auf diesen erheblichen Widerspruch hin. Klima retten und mit dem Billigflieger nach Mallorca, auf die Seychellen oder in die Dominikanische Republik, passt nicht zusammen und konterkariert alle politischen Klimamaßnahmen im Land selber. Doch nach ersten Überschlagzahlen der Reiseveranstalter hat sich Deutschland fest vorgenommen, in diesem Jahr wieder Reiseweltmeister zu werden. Da wirkt schon ein wenig putzig, wenn alle großen und größeren deutschen Flughäfen ihre Parkhäuser mit E-Auto-Ladestationen aufgerüstet haben.