Im ersten Halbjahr 2023 übernimmt Schweden turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft. Die Nordeuropäer haben den Vorsitz in schwierigen Zeiten inne. Der Krieg in der Ukraine mit seinen massiven Folgen und die Klimakrise beherrschen die politische Agenda.
Auch in Schweden ist eine neue Epoche angebrochen. Mit der geplanten Aufnahme in die Nato gibt Schweden als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine eine jahrhundertlange Neutralität auf. Und das in einem Jahr, das es auch innenpolitisch in sich hatte. Seit dem Herbst 2022 bestimmt erstmals eine Partei mit rechtsradikalen Wurzeln über die Regierungspolitik mit. Aus den Reichstagswahlen im September sind die rechtsradikalen Schwedendemokraten als einer der Gewinner hervorgegangen und seitdem ein wichtiger Faktor in der schwedischen Politik. Ministerpräsidentin Magdalena Andersson musste zurücktreten und nach acht Jahren sozialdemokratischer Führung die Regierungsgeschäfte an Ulf Kristersson, den Parteichef der konservativen Moderaten Sammlungspartei, abgeben. Das Votum war denkbar knapp: Die Sozialdemokraten samt ihrer Koalitionspartner kamen auf 48,87 Prozent der Stimmen, das rechte Lager erreichte 49,59 Prozent. Allerdings verbuchten dort die demokratischen Parteien, die Moderaten, die Liberalen und die Christdemokraten, zusammen nur 29 Prozent. Den Löwenanteil der zum Sieg nötigen Stimmen steuerten die Schwedendemokraten bei, die mit ihrem ausländer- und einwandererfeindlichen Programm bei den Wählern auf Zuspruch stießen. Die zunehmende Clankriminalität in den schwedischen Großstädten hatte ihnen die Wähler in Scharen zugetrieben. Vor nur zwei Jahrzehnten war Gewaltkriminalität in Schweden nahezu unbekannt, heute toppt das Land die europäische Rangliste der Staaten mit den meisten Gewaltstraftaten. Die Statistik belegt zwar auch, dass das Leben für den Einzelnen nicht gefährlicher geworden ist, denn die schweren Verbrechen konzentrieren sich auf kriminelle Kreise. Und doch bleibt ein diffuses Gefühl der Angst.
Die äußersten Rechten sind offiziell nicht an der Regierung beteiligt. Sie haben aber Ulf Kristersson mitgewählt und werden in Zukunft bei jeder strittigen Abstimmung benötigt, um der Mitte-rechts-Allianz die Mehrheit zu sichern. Minderheitsregierungen sind in Schweden eher die Regel als die Ausnahme, eine Konstellation, die auf die Unterstützung einer rechtsradikalen Partei angewiesen ist, hat es bisher aber noch nie gegeben.
Weil die bürgerlichen Parteien die Schwedendemokraten unbedingt von der Regierungsbank fernhalten wollten, haben sie der Partei, als Kompromiss, in der Ausländer- und Asylpolitik weitgehend freie Hand gelassen: Das Stockholmer Regierungsprogramm ist in diesen Punkten fast identisch mit dem Parteiprogramm der Schwedendemokraten. Deren Vorsitzender Jimmie Åkesson hat dies so formuliert: „Für uns Schwedendemokraten war absolut entscheidend, dass dieser Machtwechsel auch einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik darstellt.“
Unterstützung für die Ukraine und Green Deal auf der Agenda
Die Schwedendemokraten werden ihren großen Einfluss kaum freiwillig aufgeben und deswegen die Regierung zunächst unterstützen. Eher schon droht der Koalition der Ausstieg der Liberalen Partei, die zwar die Regierungspolitik noch mitbeschließt, gleichzeitig aber laut gegen sie schimpft. So sprach deren Vorsitzender Johan Pehrson bei einer parteiinternen Veranstaltung unter anderem vom „braunen Sumpf“ der Schwedendemokraten. Nur wenige Monate nach der Wahl hat sich der Zuspruch für Pehrsons Minipartei, die mit 4,6 Prozent nur knapp die in Schweden geltende Vier-Prozent-Hürde übersprang, laut Umfragen schon mehr als halbiert. Während der eine Teil der Wählerschaft die Annäherung an die Schwedendemokraten mitträgt, hat die andere Hälfte sich bereits von der Partei, die ursprünglich eine freizügigere Ausländerpolitik vertrat, abgewandt. Da ihr bei Neuwahlen die Marginalisierung drohen würde, wird aber auch die Liberale Partei die Regierung Kristersson weiterhin stützen. Zumindest vorerst.
Als Ministerpräsident Ulf Kristersson am 14. Dezember in einer Rede vor dem Parlament in Stockholm die Ziele für die Ratspräsidentschaft skizzierte, widmete er sich zunächst der im europäischen Zusammenhang irrelevanten Innenpolitik. Ausführlich sprach er über die Gangkriminalität im eigenen Land und verwies darauf, dass seine Regierung die Sicherheit der Bürger zur obersten Priorität der schwedischen Politik machen werde. Den Schwedendemokraten dürfte der Kniefall gefallen haben. Im Gegenzug wird die eigentlich europakritische Partei die schwedische Ratspräsidentschaft nicht mit Störfeuern belegen. Vermutlich hat Kristersson einen begabten Redenschreiber, denn irgendwie schaffte er es noch, eine Analogie von den Gangs in Malmö, Stockholm und Göteborg zur russischen Regierung zu ziehen und damit zu den Leitlinien der schwedischen Ratspräsidentschaft überzuleiten.
Dazu gehört die weitere wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine. Außerdem soll die EU immer grüner werden. „Die EU ist weltweit führend, wenn es um Klimaschutz geht, und Schweden will diese Position während seiner Präsidentschaft weiter ausbauen“, so Kristersson. Um mögliches Konfliktpotenzial bereits im Vorfeld abzuräumen, betonte er aber gleichzeitig, dass jedes Land, wenn gewünscht, die Atomenergie weiter ausbauen könne. Die weiteren schwedischen Ziele für die Ratspräsidentschaft verlieren sich dann ein wenig in Beliebigkeit. Man müsse die besten Voraussetzungen schaffen für eine Wirtschaft, die auf freiem Wettbewerb basiert, und die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dem wenig überraschenden Bekenntnis zu den demokratischen Werten, zu individueller Freiheit und Nicht-Diskriminierung mag man die mahnenden Worte gegenüberstellen, die die scheidende Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ihrem Nachfolger ins Stammbuch geschrieben hat. Nachdem sich Kristersson von den Schwedendemokraten hatte ins Amt wählen lassen, wies sie ihn auf seine besondere Verantwortung hin und forderte ihn auf, von nun an eine Grenze gegen Hass, Drohungen und Gewalt zu ziehen.