Die erste Premiere des Staatsballetts Berlin in diesem Jahr ist Arbeiten zweier schwedischer Choreografen gewidmet – der Titel des Doppelabends: „Ek | Ekman“.
Groß, licht und technisch modern sind die drei parallel gelegenen Studios, in denen das Staatsballett Berlin trainiert und probt. Eine lange Empore verbindet sie, auf ihr können Besucher lautlos von einem Studio zum anderen wechseln, ohne die Arbeitenden unten zu stören. Dort laufen die Endproben für den Abend „Ek | Ekman“, der am 16. Februar Premiere in der Deutschen Oper Berlin hat. Die phonetisch geheimnisvoll ähnlich klingenden beiden Teile des knappen Titels sind die Namen der beiden schwedischen Choreografen, die das Doppelprogramm verantworten. Ähnlich sind ihre Stücke indes keinesfalls. Mats Ek, geboren 1945, ist der Sohn der legendären Choreografin Birgit Cullberg. Er war ein bedeutender Tänzer in der Kompanie seiner Mutter und mehrere Jahre Künstlerischer Leiter. Unter seinen vielen Choreografien hat ihm die radikal zeitgenössische Neuinterpretation des Klassikers „Giselle“ von 1983 Weltruhm eingebracht: Das Bauernmädchen stirbt hier nicht den Liebestod, sondern landet schizoid in einer Irrenanstalt.
Schwedisches Doppelprogramm
Zu Eks international erfolgreichsten Kreationen gehört auch „A Sort of …“ von 1997. Für seine erste Inszenierung in Berlin hat er dieses Stück mit dem rätselhaften Titel ausgewählt. Die besuchte Soloprobe im Tom-Schilling-Studio, dem letzten in der Suite der Säle, leitet er selbst. Gerade wird der Anfang des Einteilers geprobt. Arshak Ghalumyan liegt im Probenmantel auf dem Boden, sanft von Klavierklang umtröpfelt. Wie ein Wurm soll er sich vorwärts wölben und sich dann sehnen, bis schließlich eine Frau, Vivian Koohnavard, als Traumfigur zu ihm tritt und ihn in ein Duett irgendwo zwischen Verführung und Verweigerung hineinzieht. „Nice“, lobt Ek mehrfach, unterbricht bisweilen und zeigt dann bewundernswert agil, wie die Szenen, die bis zuletzt unausgesprochenen Beziehungen gemeint sind. Er korrigiert Zug und Gegenzug in den Körpern, legt sich auf den Boden, rollt, geht in den Handstand. Ungemein präzise, dabei vieldeutige, knifflig zu koordinierende Bewegungen fordert er ein, lässt Impulse nicht abreißen. Dass er die Hinweise leise und entspannt gibt, nimmt jeden Druck von den Tanzenden.
Auch bei der späteren Gruppenprobe im Tatjana-Gsovsky-Studio agiert Mats Ek ruhig, doch bestimmt, führt die acht Paare in scharfkantigem Aufruhr unermüdlich zu maximalem Einsatz. Vor einer Wand ereignen sich in rasantem Wechsel und zu aggressiver Orchestermusik fulminante Attacken, Anstürme und Fluchten. Einbeinig Hüpfende könnten Kriegskrüppel meinen. „Well done“, lobt Ek wiederum und rückt bei Einzelnen die Gliedmaßen in die rechte Form. Man ist gespannt auf die Premiere, auf die Aussage des Stücks im Ganzen. Ek äußert in einem Interview nur, das Ballett handle von einer Mauer, die sich am Ende öffne. Eine Verbindung zu Berlin habe er jedoch anfangs nicht im Sinn gehabt. Sicher ist: Es geht um ein Paar, das zum Schluss wie ein lebender Rahmen wieder auftaucht, sich aber bis dahin verändert hat. Und es gibt weitere Solopaare. Sicher ist auch als anfeuernde Musik spannungsreiche Sinfonik des Polen Henryk Górecki, so sein Konzert für Cembalo und Streichorchester.
Spannungsreiche Sinfonik
Was denken die Tänzerinnen und Tänzer über das Stück, wie empfinden sie den Probenprozess? Johnny MacMillan, seit 2018 im Staatsballett, hat mit Mats Ek bereits in Schweden gearbeitet. Dessen Intentionen seien sehr klar, er bediene sein Anliegen in jedem Moment und habe dafür eine ganz eigenständige Tanzsprache gefunden, reich und mit einer weiten Gefühlsskala. Das menschliche Bedürfnis nach Freiheit in einer Gesellschaft mit Restriktionen sieht er als Thema des Werks. Es drehe sich um einen Mann, der sich mental ein Duett erträumt, resümiert Clotilde Tran die Essenz des Balletts. Sie tanzt mit Johnny MacMillan das zweite große Duett in „A Sort of …“. Ein ziemlich dunkles Stück, findet sie, so werde eine Schwangere darin getötet, was an den Krieg in der Ukraine erinnere. Es gebe allerdings auch Humor. Schritte und Musikalität sind zwar vorgegeben, die Interpretation aber sei frei, fügt sie hinzu.
Die andere Hälfte des zweigeteilten Abends bestreitet Alexander Ekman. Sein Stück ist von ganz anderer Art als das von Ek. Zudem ist Ekman, Jahrgang 1984, knapp vier Jahrzehnte jünger als sein choreografischer Kompagnon in Berlin. Berührungspunkte gibt es aber in der Karriere, denn er tanzte, außer beim Königlich Schwedischen Ballett und dem Nederlands Dans Theater 2, wie vor ihm auch Mats Ek im Cullberg Ballet und entwarf für eines von Eks Stücken die Videoprojektionen. Seit 2006 konzentriert er sich auf seine choreografische Arbeit und hat bisher ein international vielbeachtetes, indes anfangs nicht unumstrittenes Œuvre geschaffen. Er kreierte für Kompanien von Europa bis in die USA, darunter in jüngerer Zeit abendfüllende Erzählballette, setzte etwa für „Schwanensee“ die Bühne unter Wasser. Bisweilen zeichnet er auch für Musik und Video verantwortlich und erhielt mehrere Preise, darunter 2012 den renommierten Olivier Award. Nachdem er 2019 mit dem Staatsballett sein Stück „LIB“ uraufgeführt hatte, übereignet er der Kompanie sein 2013 für das Semperoper Ballett Dresden entstandene Schmunzelstück „Cacti“.
Bevor Ekman letzte Hand an die Einstudierung legen konnte, hat seine Assistentin die Proben geleitet. Am besuchten Tag fanden sie im Gerd-Reinholm-Studio statt, dem von den beiden anderen Studios eingebetteten Teil des Ballettzentrums in der Deutschen Oper. Auch hier ist die Atmosphäre locker und dennoch intensiv. In Gruppen sitzen oder hocken die 27 Tänzerinnen und Tänzer auf dem Holzboden und erzeugen darauf mit den Handflächen oder mit Händeklatschen komplizierte Rhythmen, in die hinein sich Hey-Rufe und lautes Atmen entladen. Was leise beginnt, kann sich in Lautstärke und Tempo gehörig steigern. Vibrierende Energie füllt den weiten Raum, denn die Gruppen agieren auch gegensätzlich – und das mit großem Armeinsatz. Der gesamte Körper scheint dabei zu beben. Trotzdem ist niemand in eine starre Form gezwängt, gibt es Freiheit in der körperlichen Ausführung, wenn nur die Rhythmen präzis sind, es keine akustischen „Ausrutscher“ gibt. Es ist der Zusammenklang, das Gruppenerlebnis, was hier zählt. Und in den kleinen Ausruhpausen wird fröhlich über das Erreichte gelacht.
Rhythmus und Zusammenklang
Was mit „Cacti“ insgesamt erreicht werden soll, dazu äußert Alexander Ekman, es gehe darum, wie wir Kunst betrachten, wie oft wir Kunst analysieren und „verstehen“ wollen. Jeder erlebe und interpretiere sie aber auf eigene Weise, als unerklärliches Gefühl oder klare Botschaft. Das Stück mit seinem narrativ nicht fassbaren Inhalt war auch Ekmans Protest gegen nicht immer schmeichelhafte Kritiken für seine ungewöhnlichen, durchaus provokanten Ideen. Ein Streichquartett agiert hier live mit den Tanzenden auf der Bühne und spielt Haydn, Beethoven, Schubert. Text vom Band rieselt spitzfindig herab. Jede und jeder der 27 unisex Gewandeten hockt in der Vorstellung zur Klangverstärkung auf seinem eigenen Holzpodest, trägt bald den persönlichen Kunstkaktus auf die Szene und lacht schallend ins Auditorium. Von „genderless cleaned bodies“ flüstert die Stimme aus dem Off und dass die Kakteen für eine lange Reise stehen. Was sonst noch Amüsantes passiert, mit den Podesten wie mit den Stachelpflanzen, sehe man lieber selbst und bildet sich im Sinne des Choreografen seine eigene Meinung.
Neu im Staatsballett und Zweitbesetzung für das Duett in „Cacti“ sind Marina Duarte aus Brasilien und der Belgier Achille de Groeve. Als eine Show über das Menschsein empfindet sie das Stück mit seiner komödiantischen Grundidee, mehr Theater als strenge Choreografie, man kommuniziere mit dem Publikum und sterbe mal nicht auf der Bühne wie in „Schwanensee“. Das sei sehr erfüllend, sagt die Tänzerin, sie habe eine andere Marina in sich entdeckt. Durch die Kombination von Körper und Musik erlebe er sich als Instrument, ergänzt Achille. In dem gemeinsamen Duett gehe es um eine Beziehung: von Dating zu Meeting – und dann bricht es ab. Darüber sprechen auch die beiden Stimmen vom Band, was eine zusätzliche Ebene einbringe. So viel ist nach dem Probenbesuch klar – mit „Ek | Ekman“ kann das Publikum auf zweimal 45 Minuten Begegnung mit sehr unterschiedlichen Handschriften und Themen gespannt sein.