Nach der WM-Pause wollen die Füchse Berlin ihre Tabellenführung in der Handball-Bundesliga verteidigen und am besten bis zum Saisonschluss ins Ziel retten. Größter Hoffnungsträger dafür ist WM-Superstar Mathias Gidsel.
Bob Hanning ist gern einen Schritt schneller als seine Konkurrenten. Auch deshalb macht es ihm so viel Spaß, Mathias Gidsel im Trikot der Füchse Berlin zu sehen. „Ihn“, sagte Geschäftsführer einmal, „wollte die ganze Welt haben“. Bekommen hat ihn aber der Berliner Handball-Bundesligist. Aufgrund seiner Hartnäckigkeit, der Perspektive, des Hauptstadt-Flairs – und, weil man ganz einfach viel schneller am dänischen Ausnahmetalent dran war als die internationalen Topclubs. Und das gleich zweimal: Zunächst bei der frühen Verpflichtung noch ein Jahr vor Gidels Vertragsende bei GOG Handbold Gudme, und ein weiteres Mal bei der überraschenden vorzeitigen Vertragsverlängerung im vergangenen Dezember um gleich fünf Jahre bis 2028. Wenn sich die Verantwortlichen der Großclubs aus Paris, Barcelona oder Kiel bei Gidsels Vertragsunterschrift nicht schwarzgeärgert haben sollten, während der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden haben sie es ganz sicher.
Gidsel verlängerte gleich um fünf Jahre
Es war der 23-jährige Gidsel, der die dänische Nationalmannschaft zum dritten WM-Titel in Folge geführt und dem zweiwöchigen Turnier wie kein Zweiter seinen Stempel aufgedrückt hat. Der Rückraumspieler avancierte mit 60 Treffern zum besten Torschützen, obwohl er keinen einzigen Siebenmeter verwandeln durfte. Wegen seiner brillanten Übersicht und seinem genialen Spielverständnis wurde er zudem vom Weltverband IHF zum MVP, also zum wertvollsten Spieler des Turniers, ernannt. Die Statistik beweist, dass es an Gidsel bei der Ehrung gar kein Vorbeikommen gab: Nicht nur bei der Anzahl der Tore, auch bei der Spielzeit (417 Minuten) und dem Player-Score-Wert (174,51 Punkte) lag er vorne.
Doch das sind nur Zahlen. Wer Gidsel auf der Platte hat spielen sehen, kam nicht umher, die Dänen für so einen Ausnahmespieler zu bewundern. Und die Füchse natürlich auch. Beweglich und trotzdem körperlich robust, aggressiv und dennoch elegant, mal blitzschnell agierend, mal taktisch abwartend. Bei einer Größe von „nur“ 1,90 Meter kann er sich auf eine enorme Sprungkraft und vor allem ein exzellentes Gespür fürs Timing verlassen. Gidsel ist schon in seinen jungen Jahren ein kompletter Spieler, der sich längst vom dreimaligen Welthandballer Mikkel Hansen emanzipiert hat. Sein Erfolg auf Nationalmannschafts-Ebene ist schon jetzt famos: Weltmeister 2021 (ins Allstar-Team gewählt) und 2023 (MVP), Silbermedaille und MVP-Ehrung bei Olympia 2021.
Wenn es nach Gidsel geht, darf es gern so weitergehen. „Wenn ich mit dem WM-Pokal dastehe, ist das das Einzige, woran ich denken kann“, sagte er und fügte hinzu: „Dieser Sieg gibt Gänsehaut, weil wir etwas geschafft haben, was vor uns niemand anderes getan hat.“ Seinen Anteil daran wollte der Linkshänder lieber nicht zu hochhängen. „Ich spiele im weltbesten Handball-Team, und ich habe die weltbesten Spieler um mich herum gehabt. Es war einfach, mit dieser Mannschaft Tore zu erzielen.“
Und bei den Füchsen? Vor dem Bundesliga-Restart nach der WM-Pause am Sonntag (12. Februar) bei Tabellenschlusslicht ASV Hamm-Westfalen liegt Gidsel in der internen Torschützen-Wertung nur auf Platz fünf. Doch der Schein trügt: Für seine 45 Treffer benötigte er nur elf Spiele, weil er sich bei einer Länderspielreise an der Wurfhand verletzt hatte und wochenlang ausgefallen war. „Für uns in Berlin kam die Verletzung von Mathias Gidsel natürlich zum völlig falschen Zeitpunkt“, sagte Hanning. Dass das Team dennoch am Ende der Hinrunde auf Platz eins stand, macht den Geschäftsführer stolz: „Bis auf den Ausrutscher in Minden stehen auch wir für Konstanz – und mit Recht an der Spitze. Da gehören wir gerade hin.“
Um die hartnäckigen Verfolger THW Kiel, SC Magdeburg und Rhein-Neckar Löwen weiter auf Distanz zu halten, brauchen die Berliner ohne Zweifel einen gesunden und spielfitten Gidsel. Auch deshalb war die beste Nachricht für den Club nicht der Titelgewinn des Dänen, sondern der Fakt, dass er sich bei der WM nicht verletzt hat. Gidsel will den Schwung mitnehmen. „Es wäre cool“, sagte er im Interview mit dem Magazin „Bock auf Handball“, „wenn wir hier Handball-Geschichte schreiben und die deutsche Meisterschaft gewinnen könnten. Aber das wollen ein paar andere Teams natürlich auch. Das wird nicht einfach.“
Noch wichtiger als Titel und persönliche Ehrungen ist ihm aber eine andere Sache: Spaß. „Meine Mitspieler sagen manchmal, ich lache zu viel während eines Spiels und dass ich fokussierter sein müsste. Aber so bin ich einfach“, sagte der Instinkt-Handballer. Und ändern wolle er sich in diesem Punkt nicht mehr, denn es sei eines der Gründe, warum er aktuell so auftrumpft.
„Für mich ist das Handballparkett wie ein Spielplatz. Es ist der beste Job der Welt, jeden Tag aufzuwachen, Handball zu spielen und Spaß zu haben“, sagte Gidsel: „Das motiviert mich, das treibt mich an.“ Er werde nicht wie andere durch Ergebnisse angetrieben, sondern eben durch die Freude am Spiel. Und das zeigt er auch extrovertiert den Fans.
„Ich kann mit meinem Spiel Menschen beeindrucken. Ich glaube, einige würden mich als Show-Typ oder Entertainer bezeichnen“, erklärte der junge Däne. Er mag es, vor Publikum zu spielen und es zu unterhalten. Mitunter wählt er deswegen auch den schwierigeren Pass zum Mitspieler, einfach nur, „um zu zeigen, was möglich ist“. Er wolle die Leute überraschen, fast wie ein Handball-Magier. „Und wenn sich die Leute dann fragen, wie ich das gemacht habe, dann kann ich mich tierisch darüber freuen.“ Und all die Medaillen, Titel und Auszeichnungen mit der Nationalmannschaft? Das sei „eigentlich nur die Kirsche auf der Sahne“.
„Wir sind in der Breite gut aufgestellt“
So einen Spieler hatten die Füchse Berlin noch nie in ihren Reihen. Er könnte den Unterschied ausmachen zur guten, aber nicht überragenden Vorsaison. Allerdings wird abzuwarten sein, wie Gidsel den Trubel verarbeitet hat. Schwebt er weiter auf der Erfolgswelle? Oder hat sie ihn körperlich oder emotional getroffen? Neben Gidsel kehren auch Rückraumspieler Jacob Holm und Rechtsaußen Hans Lindberg als dänische Weltmeister zurück zu den Füchsen, die mit insgesamt acht WM-Teilnehmern eine eigene Mannschaft beim Turnier aufs Parkett hätten schicken können.
Die Umstellung auf den Liga-Alltag dürften die Nationalspieler professionell angehen, weil jeder Ausrutscher im engen Titelkampf entscheidend sein kann. „Wir wollen da anschließen, wo wir aufgehört haben und am Ende unter den ersten zwei Teams in der Liga abschließen. Wenn es dann mehr wird, wäre das top“, sagte Trainer Jaron Siewert dem „Tagesspiegel“ zum Rückrunden-Ziel: „Und wenn wir ins Final Four der European League kommen, kann sowieso alles passieren.“ Intern hat sich die Mannschaft aber klar und offen Platz eins zum Abschluss der Bundesligasaison als Ziel gesetzt. „Jedes Spiel ist für den Titel, denn wir wollen Meister werden und jedes Spiel gewinnen“, gab Torhüter Milosavljev zu.
Dafür müssen die Berliner wie in der Hinrunde die engen Spiele gewinnen. Siewert ist zuversichtlich, denn „in der Breite sind wir schon sehr gut aufgestellt“. Das mache das Team „unberechenbar, und für mich als Trainer ist es derweil schön, so viele Optionen zu haben“. Ein Mathias Gidsel ist sicher mehr als das.