Die Schlagzeugerin und Komponistin Anne Paceo entwickelte sich zu einer stilistischen Grenzgängerin, die perkussives Feuerwerk mit eingängigen Melodien auf poetische Weise vereint. Sie tritt beim „Fill in – International Jazz Festival Saar“ auf.
Frau Paceo, der Name Ihres Albums lautet „S.h.a.m.a.n.e.s.“ Ein Schamane gilt als Mittler zur geistigen Welt. Er schafft einen heiligen Raum, um einen Zugang zur Seele herzustellen. Tun Sie das mit Ihrer Musik?
Ich versuche es. Für mich hat Musik etwas Heiliges. In der Musik kann man nicht lügen, die Menschen merken sofort, wenn man nicht ehrlich ist. Musik ist ein Ort, an dem wir unsere Seele offenbaren und ganz wir selbst sein können. Musik macht Dinge hörbar und sichtbar, die ohne sie vielleicht versteckt blieben.
Gibt es Dinge, die Sie nur musikalisch ausdrücken können?
Oh ja. Mir fehlen eigentlich immer Worte, um zu beschreiben, wie ich mich fühle, deshalb bin ich in der Musik am besten aufgehoben. Sie erlaubt es mir, die Komplexität, die Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit von Emotionen auszudrücken. Schließlich kann man gleichzeitig traurig und fröhlich sein. Wer Musik hört, versteht mit dem Herzen. Entweder berührt sie jemanden oder nicht. Das ist sehr direkt und unmittelbar.
Es entsteht ein besonderer Dialog mit dem Publikum.
Absolut. Wenn man Emotionen erzeugen kann, hat man seine Mission als Musiker erfüllt. Ein Kind sagt ohne Umschweife, wie es sich fühlt. Aber Erwachsene scheinen verlernt zu haben, ihre Gefühle zu erkennen und zu benennen. Ich habe den Anspruch, Musik zu machen, die den Menschen gut tut. Vor Kurzem besuchte mich ein Mann nach einem Konzert hinter der Bühne. Er sagte, er sei krank und er wolle mir danken für meine Musik, weil sie ihm so gut täte. Das hat mich sehr berührt.
Geht Ihre Liebe zur Weltmusik und zu Schlagzeugrhythmen auf Ihre Kindheit an der Elfenbeinküste zurück?
Diese Rhythmen habe ich tatsächlich schon in der Wiege gespürt. Und ich hatte das große Glück, viel von der Welt zu sehen. Mittlerweile habe ich in knapp 50 Ländern Konzerte gegeben. Ich tauche gern in fremde Kulturen ein. Sie öffnen dir die Augen, die Ohren, das Herz. Du wächst daran, wirst menschlicher, demütiger.
Wissen Sie noch, wann Sie sich erstmals für Jazz begeistert haben?
Als ich zwölf Jahre alt war, sind wir nach Paris gezogen. Wir wohnten neben einer Musikschule. Eines Tages sah ich einen Aushang: „Drummer für Jazz Workshop gesucht!“ Der Probenraum wurde ein Ort der Geborgenheit für mich, der unbändigen Freude. Dort habe ich diese wunderbare Freiheit kennengelernt.
Mit Freiheit meinen Sie die Improvisation des Jazz?
Ja. Wenn Sie einen Popsong spielen, erzählen Sie eine Geschichte und müssen sich dafür in die passende Stimmung versetzen, wie ein Schauspieler, der versucht, bestimmte Emotionen zu fühlen und zu vermitteln. Im Jazz erzählen Sie natürlich auch eine Geschichte, aber die Stimmung ist immer eine andere, denn sie hängt davon ab, wie Sie sich gerade fühlen. Ihre Stimmung überträgt sich auf die Musik. Wenn ich zum Beispiel ein trauriges Stück spiele, kann ich ihm dennoch eine andere Farbe verleihen, weil ich an dem entsprechenden Tag nicht traurig, sondern fröhlich bin. Oder sagen wir, ich bin müde, dann hat mein Spiel auch eine andere Qualität, vielleicht lasse ich hier und da sogar eine Note aus. Und das ist das Tolle am Jazz: Er erlaubt mir, mit verschiedenen Gemütszuständen zu spielen.
Im Jazz lebt also Freiheit: Sie vertrauen sich und Ihrer Band und zelebrieren den musikalischen Moment. Wenn Sie ein anderes Musikgenre spielen, wo die Freiheit der Improvisation fehlt, wie schaffen Sie es da, demselben Stück Tag für Tag neues Leben einzuhauchen?
Ich war einmal zwei Jahre lang mit einer Popsängerin auf Tour: Jeden Abend dasselbe Programm. Es war eine Herausforderung, aber ich empfand es als eine meditative Übung. Die Freude am Spiel verlagerte sich. Ich schöpfte sie aus einer anderen Quelle, nämlich aus der Gewissheit, dass ich jeden Abend mein absolut Bestes gegeben hatte.
Das Spiel wurde zum Ritual?
Genau! Ein Ritual hat etwas Wohltuendes.
Rituale dienen der Struktur und Orientierung, sie geben uns Halt.
Ja. Die Welt ist so schnelllebig. Alles ist dauernd in Bewegung. Da ist es schön, Dinge zu haben, die bleiben. In gewisser Weise ist es sehr beruhigend, jeden Abend das Gleiche zu spielen, weil man weiß, was einen erwartet.
Ich zögere fast mit der nächsten Frage, weil sie nicht mehr zeitgemäß scheint – im 21. Jahrhundert sollte eine Schlagzeugerin nichts Besonderes mehr sein. Aber Sie wurden 2005 als erste Frau in das Jazz-Programm des renommierten Pariser Conservatoire National Supérieur de la Musique aufgenommen. Frauen im Jazz sind tatsächlich noch eine Rarität. Fühlen Sie sich wie eine Exotin?
Es gibt zwar immer mehr Schlagzeugerinnen, aber tatsächlich sind wir noch eine Seltenheit. Ich weiß nicht, ob ich mich als Exotin fühle. Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich anders war, weil man mich anders behandelte.
Wie denn?
Meinen männlichen Kollegen musste ich beweisen, dass ich gut genug war. Ich hatte das Gefühl, doppelt so hart arbeiten zu müssen, um akzeptiert zu werden. Ich musste mich behaupten, mich regelrecht aufdrängen. Ja, das ist genau das richtige Wort: Ich befürchte, Frauen müssen sich „aufdrängen“. Und das ist unangenehm, es ist schwer. Aber die gute Nachricht ist, dass sich die Dinge ändern. Die Vorurteile bröckeln.
Warum gibt es ausgerechnet im Jazz noch immer relativ wenige Frauen?
Das frage ich mich auch! Vielleicht weil gerade im Jazz so vieles mit Technik zu tun hat, mit einer körperlich anstrengenden Art des Spiels, die man traditionell mit Männern in Verbindung bringt.
Sie meinen, es könnte damit zu tun haben, dass man es als stark, und unterbewusst vielleicht auch als aggressiv, in jedem Fall aber als männlich ansieht, wenn jemand auf eine Trommel haut?
(lacht) Ja, durchaus. Oder es liegt an dem harten Wettbewerb unter den Schlagzeugern.
Wie bereichern Schlagzeugerinnen die Jazzwelt?
Mehr Frauen im Jazz bedeutet, es wird anders über diese Musik nachgedacht. Unsere Gesellschaft wurde auf Modellen aufgebaut, bei denen die Referenzgröße immer der Mann war. Nehmen Sie nur mal die Crash Test Dummies.
Ich nehme an, Sie meinen nicht die Band.
(lacht) Nein, die Puppen bei Crashtests.
Die Norm-Dummies in der Unfallforschung sind Männern nachempfunden, was Frauen und generell kleinere Menschen einem höheren Verletzungsrisiko aussetzt.
Genau.
Auch in der Medizin, zum Beispiel bei der Arzneimittelentwicklung, orientiert man sich am Mann.
So ist es. Man hat das früher nie infrage gestellt. Und so ist es wohl auch beim Jazz: Für viele gehört einfach automatisch ein Mann ans Schlagzeug. Ein Mann spielt mit Druck. Aber Frauen gehen mit der gleichen Kraft, Technik und Musikalität ans Schlagzeug. Sie können ordentlich draufhauen, aber auch sanft streicheln. Jeder hat seinen eigenen Stil. Man kann schnell und laut spielen oder die Poesie darin suchen, das Instrument liebkosen.
Die Poesie ist aber nicht allein den Frauen vorbehalten.
Nein, natürlich gibt es auch poetische Schlagzeuger. Ich denke zum Beispiel an Paul Motian. Aber er wurde von einigen Kollegen auch sehr kritisch gesehen, weil er eben eine andere Art hatte zu spielen. Also, ich denke mehr Frauen im Jazz wird zur Folge haben, dass die Gesellschaft sich weiter selbst hinterfragen und überdenken muss. Bisher wurde gespielt, wie Männer spielen. Aber wir möchten es auch mal anders machen, und das ist okay so.
Welche Unterstützung haben Sie als Schlagzeugerin erhalten und welchen Widerstand haben Sie erfahren?
Meine Mutter hat mich stets ermutigt, meinem Traum zu folgen. Sie selbst wollte als junge Frau Künstlerin werden, ihre Eltern lehnten das allerdings ab. Sie sollte etwas „Anständiges“ lernen. So ist sie erst spät zur Malerei gekommen. Mich hat sie in meinem Bestreben, Musikerin zu werden, deshalb umso mehr unterstützt. Auf dem Gymnasium war ich die Schlagzeugerin der Schulband. Das war total normal. Keiner hat sich darüber Gedanken gemacht, ob da nun ein Junge oder ein Mädchen den Rhythmus vorgab. Dass ich dann aber als erste Frau ins Jazz-Programm des Konservatoriums aufgenommen wurde, das war für einige meiner Kollegen gar nicht normal.
Wie hat man Sie das spüren lassen?
Neid! Als ich unter 20 Schlagzeugern ausgesucht wurde, um an der prestigeträchtigen Konferenz der International Association for Jazz Education in New York teilzunehmen, sagten einige, man hätte mich nur ausgesucht, weil ich eine Frau sei.
Sie sind sehr viel auf Reisen. Wie lassen Sie das Fremde, das Ferne mit in Ihre Musik einfließen?
Ich liebe es, das Leben aufzuzeichnen. Ich habe immer den Finger auf der Aufnahmetaste. Ob es nun Melodien oder Gesprächsfetzen sind, Gelächter, Gesang, eine hübsche Fahrradklingel … das sind für mich kleine Klangpostkarten. Wenn ich von einer Reise heimkehre, höre ich mir diese Aufzeichnungen wieder an und sie transportieren mich sofort zurück in die Ferne. Das ist wunderbar.
Was brauchen Sie, um kreativ zu sein?
Ich muss entspannt sein, ich brauche Ruhe, die Natur, Bäume, plätscherndes Wasser, Vogelgezwitscher. Als Inspirationsquelle dient mir alles, was meine Seele berührt.