Heinz Rudolf Kunze gehört seit mehr als 40 Jahren zu den produktivsten Künstlern im deutschsprachigen Raum. Seine neue Platte heißt „Können vor Lachen“, nun gastiert er in Saarbrücken.
Herr Kunze, in Liedern wie „Klar hab ich geweint“ und „Leuchtturm“ besingen Sie die vielschichtige und verletzliche Künstlerseele. Sind Künstler emotionaler und empfänglicher für Konflikte?
Wir Künstler haben einen exponierten, seltsamen Beruf. Aber Techniken entwickeln, um seelisch klarzukommen, müssen Banker, Polizisten, Krankenpfleger oder auch Erzieher. Wir haben nur einen Beruf daraus gemacht, darüber öffentlich nachzudenken.
In dem Song „Igor“ fragen Sie sich, wie Wladimir Putin mit den Grausamkeiten des von ihm selbst entfachten Krieges gegen die Ukraine klarkommt. Was glauben Sie, wie es ihm dabei geht?
Ich denke, er kommt damit ganz gut klar. Putin hat sich als Lebensaufgabe gestellt, das heilige Russland in den alten Grenzen der Sowjetunion wieder zusammenzubasteln. Ich fürchte, nur der Tod wird ihn davon abbringen. Denn so lange er lebt, wird er nicht Ruhe geben. Das Schlimme ist, dass wir alle es nicht wahrhaben wollten. Denn Putin hat in seinen schriftlichen und mündlichen Äußerungen nie einen Hehl daraus gemacht, dass genau das sein Plan ist. Genau wie damals mit Hitler. Ich bin auch wahnsinnig enttäuscht von ihm.
Enttäuscht sein kann man nur von jemandem, den man irgendwie auch schätzt.
Ich habe Putin lange Zeit für einen Staatsmann mit Format gehalten und für einen, der wahrscheinlich auch nötig ist, um solch ein Riesenreich zu regieren. Für einen Trump mit Gehirn. Vielleicht wirft man mir nach diesem Lied vor, einen Russen in Schutz zu nehmen. Ich wollte mit „Igor“ zeigen, dass es auf beiden Seiten immer die kleinen Leute sind, die unter die Räder kommen. Ein Lied über Politik und Krieg darf nicht peinlich vor sich hin predigen. Man muss immer am Einzelschicksal bleiben, nur so hat es heute noch eine Funktion.
Was würden Sie Putin anbieten, wenn Sie mit ihm verhandeln könnten?
Wir als europäische Gemeinschaft, als Deutschland, müssen alles dafür tun, um die Russen wieder zum Gespräch zu bringen. Die Russen wollen aber nicht reden, denn sie wollen diesen Krieg gewinnen. So lange das so ist, ist es völlig müßig, mit „Verhandeln!“-Plakaten rumzulaufen.
Es gibt Menschen in Deutschland, die wollen Frieden und haben ein Herz für Putin. Russlands Angriff auf die Ukraine sehen sie als Akt der Notwehr, und die wahren Aggressoren seien die USA und die Nato.
Ich würde nicht begrüßen, die Ukraine in der Nato zu haben. So weit muss man Russland nicht reizen und unter Druck setzen. Ich weiß nicht einmal, ob die Ukraine unbedingt in die EU soll. Trotzdem ist das keine Entschuldigung für einen Angriffskrieg.
Die Bundesregierung hoffe umsonst, „dass der Geist einmal blitzt“, heißt es in „Kein Zeitgefühl“. Ist das auch auf die Russlandpolitik gemünzt?
Das ist auf die gesamte Politik dieser Regierung gemünzt, die ich für dilettantisch halte. Aber ich bin trotzdem nicht mit fliegenden Fahnen auf Seiten der Opposition, denn es ist signifikant, wie schweigsam die CDU ist. Sie hat viele der Probleme mit eingerührt, die die neue Regierung nicht in den Griff kriegt. Im Moment bin ich Rundumpessimist, was die deutsche parlamentarische Landschaft betrifft. Bildungsferne Kinder hier richtig zu integrieren, ist zum Beispiel eine höllisch schwere Aufgabe. Ich habe neulich eine gute Freundin in ihrer Schulklasse in Berlin-Neukölln besucht. Diese Lehrer leisten Heldenarbeit.
Was war das für ein Gefühl, wieder in einer Art Lehrersituation zu sein?
Ich wurde dort als Musiker eingeführt und galt da als bunter Hund. Die Fragen der Zehn- bis Elfjährigen waren echt niedlich. Auch da sollten viele mit den eigenen Vorurteilen aufräumen. Das schlaueste Kind der ganzen Klasse war nämlich eine junge Türkin.
Welche Rolle können Kunst und Kultur in diesen sonderbaren Zeiten spielen?
Kunst kann Menschen trösten und Freude geben. Ihnen eine Ahnung vermitteln von einer besseren Welt. Ich habe kürzlich im Fernsehen die Aufführung von Mahlers erster Sinfonie „Titan“ gesehen. Mein Gott, was haben Menschen auch Schönes geschaffen! Eben nicht nur Massenmord, Giftgas und die Atombombe, sondern auch Sinfonien von der Klasse eines Gustav Mahler. Kunst kann eine heilende Wirkung haben.
Auch eine bildende?
Sicher. Wenn man meine Musik hört, wird man nicht dümmer. Ich bin selber ein Akademiker, habe viel gelesen und Germanistik und Philosophie studiert. Ich lasse eben auch zu, dass Spurenelemente davon in meiner Arbeit vorkommen. Ich finde das nicht schädlich. Die Art und Weise, wie man in Deutschland manchmal als superschlau diffamiert wird, ist sehr befremdlich. Im angloamerikanischen Raum habe ich noch nie gehört, dass ein Peter Gabriel oder ein Leonard Cohen mit Dreck beschmissen wird, weil er Intellektueller ist.
In dem Lied „Trostlosigkeitsallee“ tummeln sich Geistesgrößen wie Gottfried Benn, James Joyce, Franz Kafka, Marcel Proust, Arno Schmidt oder Thomas Mann. Eine Dylan-Hommage?
„Trostlosigkeitsallee“ ist die wörtliche Übersetzung von Dylans „Desolation Row“. Ansonsten habe ich aber nur seine Idee aufgegriffen, den Text mit anderem Personal ausgestattet und eine andere Musik gemacht. Ich fand Bobbys Idee einfach so scharf, eine Straße der Irren zu basteln. Ich stelle es mir lustig vor, wenn die alle in einem Poeten- und Philosophenhimmel miteinander Schabernack treiben würden.
Künstler galten jahrhundertelang als Freigeister, die sich nicht an den Moralkodex der Gesellschaft halten. Wo die Moralvorstellungen der Gegenwart und der Vergangenheit zu weit voneinander abweichen, werden mittlerweile Kunstwerke wie Bücher verbessert und zum Beispiel um das N-Wort bereinigt. Wie finden Sie das?
Wenn ich etwas zu sagen hätte, dann würden Leute, die Bücher umschreiben, Bilder verhüllen oder schänden, bestraft werden. Das ist ein Akt der Barbarei, der sich in nichts von dem IS unterscheidet, der Steindenkmäler anderer Religionen sprengte. Es ist arrogant, das Denken anderer Generationen und Zeiten einfach durchzustreichen. Es erinnert an die stalinistischen Fotos, auf denen die Köpfe der Leute gelöscht wurden, die auf Stalins Befehl hin getötet wurden. Ich lasse mir niemals vorschreiben, mit welchen Worten ich Menschen respektiere.
Muss Kunst auch unangenehm, verstörend, ekelhaft sein können, damit sie nicht beliebig wird?
Kunst muss fast alles dürfen. Es gibt Schmerzgrenzen, aber der Spielraum muss riesengroß sein. Die freie Meinungsäußerung ist ein kostbares Gut. Heutzutage tendiert die Fähigkeit, andere Meinungen auszuhalten, leider gegen null. Das ist Gift für die Demokratie.
Wo liegt Ihre persönliche Schmerzgrenze?
Da kann ich nur mit Dieter Nuhr antworten: Das kann ich nicht abstrakt sagen, das kommt auf den Fall an. Es gibt sicher ethische Punkte, an denen ich nicht weiter gehe. Wenn die Woken oder die Feministinnen wirklich recht hätten mit ihrer Behauptung, dass Sprache das Bewusstsein bestimmt und man sie umbauen muss, damit man ein richtiges Bewusstsein bekommt, dann wäre der Feminismus nie entstanden. Denn er entstand in einer Zeit, in der sich kein Mensch über das generische Maskulinum aufgeregt hat. Also, so schlimm kann das nicht sein mit der Sprache.