Lange vergessen, erleben jetzt Werke romantischer Komponistinnen ein Revival in deutschen Konzertsälen.

Bislang erklingen nur in wenigen Sinfoniekonzerten die Werke von Komponistinnen. Aber das ändert sich gerade. Was lange nur ein feministisches Anliegen war, kommt nun im Mainstream an. Überall werden die Archive durchforstet, um Partituren von Frauen dem Staub der Vergangenheit zu entreißen.
Ein Vorreiter ist das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO), das in der laufenden Spielzeit in jedem Konzert eine „weibliche“ Komposition bringt. Viel Musik aus dem 19. Jahrhundert ist da zu hören, einer Zeit, als unangefochten das Patriarchat herrschte. Damals war allenfalls vorstellbar, dass Frauen Klavierstücke oder Lieder komponierten. Wenn sie sich jedoch zu den Königsdisziplinen der Sinfonie oder der Oper vorwagten, glich das einer Kampfansage an die Männerwelt.

Erschwerend kam hinzu, dass den Frauen meist auch die Kontakte zu Solisten, Dirigenten, Kritikern fehlten. In den akademischen Kompositionsklassen waren sie nicht zugelassen. Auf Kapellmeisterposten konnten sie sich nicht bewerben. Die wenigen Frauen, die mit Orchestermusik erfolgreich waren, gerieten bald nach ihrem Tod in Vergessenheit.
Als größte Komponistin des 19. Jahrhunderts gilt Emilie Mayer, die acht Sinfonien hinterließ und als „weiblicher Beethoven“ gefeiert wurde. Ihre Karriere als wohl erste hauptberufliche Komponistin schlechthin ist umso erstaunlicher, als sie nicht in einer Musikerfamilie aufwuchs.
Emilie Mayer kam 1812 in der mecklenburgischen Kleinstadt Friedland zur Welt. Sie studierte beim Balladenkomponisten Carl Loewe in Stettin sowie bei dem angesehenen Musiktheoretiker Adolph Bernhard Marx in Berlin. Der Musik wegen verzichtete Emilie Mayer auf eine eigene Familie. Ihr war klar, dass sie nach einer Heirat nicht als Komponistin tätig sein könnte.
Emilie Mayer – gefeiert als weiblicher Beethoven

Dass Carl Loewe ihre ersten beiden Sinfonien in Stettin aufführte, verlieh ihr den Mut, nach Berlin zu gehen und Veranstaltungen mit eigenen Werken im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt zu organisieren. Hier ließ sie auch erfolgreich ihre „Faust“-Ouvertüre für großes Orchester aufführen – damals eine Provokation, war doch „Faust“ ein ausgesprochenes Männerthema. Rund 150 Jahre später wird das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt dieses Stück am 16. Juli beim diesjährigen Choriner Musiksommer spielen.
Eine CD mit zwei Mayer-Sinfonien haben das Philharmonische Orchester Bremerhaven und sein Dirigent Marc Niemann veröffentlicht. „Mich reizt die kreative Auseinandersetzung mit ungewöhnlichen und selten gespielten Werken, die uns das ‚normale‘ Konzertrepertoire hinterfragen lassen“, erklärte Marc Niemann im Zusammenhang mit dieser Einspielung. „Unsere Orchester sollten nicht zur Jukebox werden, die immer dieselben 50 Werke abspielt, sondern innovative Kraftzentren unseres Kulturbetriebes und unserer Gesellschaft bleiben.“ Emilie Mayers Werke verschwanden nach ihrem Tod 1883 schnell aus den Konzertsälen. Erst seit ein paar Jahren wird ihre Musik wiederentdeckt. Dass sich 2023 ihr Todestag zum 140-mal jährte, nahm man in Mayers Geburtsort Friedland zum Anlass für ein dreitägiges Festival, die „Mayerei“. Auch in ihrer Wirkungsstätte Stettin macht man sich um die Komponistin verdient; bei der Filharmonia Szczecin stehen Mayers Werke regelmäßig auf dem Programm.

Nur wenige Jahre vor Emilie Mayer kam Fanny Mendelssohn Bartholdy, spätere Hensel, zur Welt, die ebenfalls eng mit dem Berliner Musikleben verbunden war. Im Einklang mit dem hohen Bildungsideal des jüdischen Bürgertums erhielten Fanny und ihr Bruder Felix eine fundierte musikalische Ausbildung. Fanny war äußerst talentiert, doch ihr Komponieren wurde von Vater und Bruder nicht gern gesehen. Von Fanny Hensels Hochbegabung kann man sich am 16. März im Potsdamer Nikolaisaal überzeugen, wenn der Rias Kammerchor und die Kammerakademie Potsdam ihre Kantate „Hiob“ aufführen.
Doch nicht nur Berlin, auch das Musikzentrum Leipzig lockte im 19. Jahrhundert Komponistinnen an. Zeitweilig lebten hier die Schumanns. Eine Klavierschülerin von Clara Schumann war die aus Rastatt stammende Luise Adolpha le Beau, eine begabte Komponistin. Sie hatte das Glück, dass die Eltern ihre Karriere unterstützten und sie finanziell absicherten. Ihr Vater, Mitglied des badischen Kriegsministeriums, gab ihr den ersten Klavierunterricht.
Auch die Engländerin Ethel Smyth erlernte ihr Handwerk in Leipzig, als einzige Frau in der Kompositionsklasse am Konservatorium. Sie engagierte sich auch für das Frauenwahlrecht und schrieb die Hymne der britischen Frauenrechtlerinnen. Ethel Smyth hinterließ sechs Opern. Die Ouvertüre ihres Dreiakters „The Wreckers“ bringt das DSO am 24. Februar auf die Bühne.
Recht auf kreative Selbstverwirklichung

Bis ins 18. Jahrhundert hinein waren es oft Nonnen und Ordensfrauen, die komponierten; die bekannteste unter ihnen ist Hildegard von Bingen. Später nutzten vor allem die Töchter des Adels das Privileg, sich der Musik zu widmen. Interpretinnen komponierten für eigene Aufführungen. Im Zuge der Emanzipationsbewegungen des 20. Jahrhunderts erkämpften sich immer mehr Frauen das Recht auf kreative Selbstverwirklichung.
Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass Frauen es dort etwas einfacher hatten, in den Institutionen des Musiklebens Fuß zu fassen. Die Französinnen konnten selbstständiger agieren – Auswirkung einer Tradition, die bereits im 17. Jahrhundert Frauen-Salons und Musikerinnen in der Kapelle des Königs kannte.
Davon profitierte Louise Farrenc, die eine beeindruckende Karriere als Pianistin, Komponistin und Lehrerin hinlegte. Sie war weltweit die erste Frau, die eine Musikprofessur erhielt; drei Jahrzehnte lang unterrichtete sie Klavierschüler am Pariser Conservatoire. Hier konnte sie ihre Werke aufführen, darunter drei Sinfonien. Im Konzert ist Farrencs Dritte Sinfonie am 10. Februar mit der Kammerakademie im Potsdamer Nikolaisaal zu erleben.
Louise Farrenc stammte aus einer Pariser Künstlerfamilie und war mit dem Flötisten und Musikverleger Aristide Farrenc verheiratet, der ihre Werke im Druck herausgab. Der Kampf ihrer Kolleginnen um publizistische Anerkennung blieb ihr daher erspart. Bereits zu Lebzeiten fanden ihre Werke breite Resonanz in Frankreich und Belgien.
Jenseits des Atlantiks wirkte derweil Amy Beach, eine der erfolgreichsten Frauen der US-amerikanischen Klassik. Das DSO hat am 24. Mai Amy Beachs Pastorale für Holzbläserquintett auf dem Programm, bei einem Nachtkonzert im Pergamon-Panorama.
Die erste bedeutende afroamerikanische Komponistin war Florence Price, die feststellte: „Ich habe zwei Handicaps, mein Geschlecht und meine Rasse.“ Die ehrgeizigen Amateure des Sinfonieorchesters Steglitz studieren die mit Blues und Gospel gespickte Erste Sinfonie ein, mit der Florence Price 1933 bei der Weltausstellung in Chicago Furore machte. Das Konzert geht am 24. Februar in der Emmauskirche am Lausitzer Platz über die Bühne.