Die Füchse Berlin erleben in Kiel einen Rückschlag im Meisterkampf. Das Team von Trainer Jaron Siewert verliert wegen der eigenen Abschlussschwäche – und wegen des gegnerischen Torwarts.
Der Schlussakt kam einer Demütigung für die Füchse Berlin gleich. Mit einem Kempa-Trick, den Rune Dahmke zum 36:29-Endstand vollstreckte, endete das Spitzenspiel in der Handball-Bundesliga. Dass dem THW Kiel am Ende sogar dieser spektakuläre Spielzug gelang, passte ins Bild. Spielerisch waren sich die Teams durchaus auf Augenhöhe begegnet – doch der Knackpunkt war die Effizienz. Bei Kiel klappte fast alles, bei den Berlinern nur wenig. Der Hauptgrund dafür stand im THW-Tor: Niklas Landin. Der 34 Jahre alte Däne zeigte einmal mehr seine Weltklasse und sorgte fast im Alleingang dafür, dass plötzlich sein Team im engen Titelrennen die Nase vorn hat.
„Es hat extrem viel Spaß gemacht“, sagte Landin: „Solche Spiele haben wir so vermisst, in denen es für uns in die richtige Richtung geht.“ Vor allem dank ihm war das gegen den Tabellenführer der Fall. Der dreimalige Weltmeister überragte mit 23 gehaltenen Schüssen – sein Bestwert in elf Jahren Bundesliga. „Ich dachte es wären so um die 15“, zeigte sich Landin hinterher selbst überrascht und scherzte: „Aber ich akzeptiere auch die 23.“ Und die Berliner akzeptierten, dass sie an diesem Samstagnachmittag an ihren eigenen Nerven und einem übermächtigen Gegner im Tor gescheitert waren.
„Wir haben uns sehr viele Chancen herausgespielt, aber Niklas Landin war wieder einmal eine Nummer zu groß für uns“, sagte Nationalspieler Fabian Wiede. Genauso sah es auch Sportvorstand Stefan Kretzschmar: „Wenn du 29 Tore auswärts in Kiel wirfst und Niklas Landin 23 Paraden hat, dann hast du es offensiv bis auf den Abschluss eigentlich nicht so schlecht gelöst. Aber wenn der beste Torwart der Welt auch noch einen eigenen Rekord nach elf Jahren Bundesliga aufstellt, dann wird es natürlich eng.“ Kretzschmar brauchte daher auch „nicht großartig zu analysieren“, um die Knackpunkte herauszuarbeiten: die eigene Abschlussschwäche, Landins Sahnetag und Kiels famose Einstellung. „Kiel war heute heiß“, urteilte Kretzschmar.
Von der ersten Minute an war zu merken, dass der deutsche Rekordmeister das Momentum im Titelkampf auf seine Seite ziehen und sich für die 26:34-Niederlage im Hinspiel im vergangenen Oktober revanchieren wollte. „Man muss in der Liga Sachen auch anerkennen und respektieren“, so Kretzschmar. „Heute war der THW Kiel sehr gut.“ Wiede gab zu, dass die Füchse selbst „Probleme beim Rückzug“ und mit den Kreisläufern des Gegners hatten. „Dadurch gab es relativ freie Abschlüsse.“ Und das ging zulasten der Torhüter Dejan Milosavljev und Viktor Kireev, die beide zusammen nur auf acht Paraden kamen. Kein Vergleich zu Landin, der vor allem die Berliner Außenspieler mit sensationellen Reflexen und einem herausragenden Stellungsspiel zur Verzweiflung trieb. „Ich bin ganz ehrlich: Für mich wäre Niklas Landin auch der Endgegner gewesen“, gab der frühere Weltklasse-Linksaußen Kretzschmar zu: „Unsere Außen hat es heute erwischt. Wenn er in deinem Kopf drin ist, dann ist es wahnsinnig schwer.“
Schon vor dem Spiel hatte der dänische Füchse-Star Mathias Gidsel, der nicht nur wegen seiner mageren Torausbeute (zwei Treffer von vier Versuchen) enttäuschte, prophezeit: „Das Torhüter-Duell wird wieder eine große Rolle spielen. Ich habe viel Respekt davor, dass sie mit Niklas Landin einen haben, der jedes Spiel alleine entscheiden kann.“ Und so kam es dann auch. Das Duell zwischen den Weltklasse-Rückraumspielern Gidsel und Sander Sagosen (null von drei) aus Norwegen fiel dagegen aus. Beide konnten dem Spiel nicht ihren Stempel aufdrücken – anders als Landin. Der dänische Torhüter, der in seiner Karriere schon alles gewonnen hat, wollte seinen Stellenwert aber nicht zu hoch hängen. „Die Paraden sind eine Sache. Aber zwei Punkte gegen den Spitzenreiter ist eine andere Sache. Das ist das, was am Ende zählt.“ Nach dem Spiel hatte Kiel einen Minuspunkt weniger auf dem Konto als Berlin. „Deswegen sind wir einfach glücklich, dass wir gegen die Füchse, die eine extrem starke Saison bislang spielen, so ein Spiel abgeliefert haben“, meinte Landin: „Das war klasse.“
Doch Kretzschmar wollte von Tristesse unter den Berlinern nichts wissen, der Meisterkampf sei nach wie vor offen: „Jede Aufgabe, die die Mannschaften da oben noch vor sich haben, wird schwer.“ Auch THW-Trainer Filip Jicha warnte in den „Wochen der Wahrheit“ davor, „auch nur ansatzweise den Fokus zu verlieren“. Die Kieler haben noch die schweren Duelle gegen Titelverteidiger Magdeburg (9. April), Flensburg-Handewitt (23. April) und Rhein-Neckar Löwen (3. Mai) vor der Brust, wo Punktverluste überhaupt nicht auszuschließen sind. Und davon wollen die Berliner dann profitieren.
Lindberg-Rückkehr steht bevor
Die Kieler waren mit reichlich Selbstvertrauen ins Spitzenspiel gegangen, denn die Generalprobe hätte besser nicht ausfallen können. Mit einem imponierenden und auch in dieser Höhe verdienten 41:28-Sieg im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals bei Dinamo Bukarest hatte der THW das Tor zum Viertelfinale weit aufgestoßen. Der souveräne Auftritt beim rumänischen Meister hatte bereits angedeutet, dass Kiel endgültig zurück in der Erfolgsspur ist. „Wir haben endlich mal wieder über 60 Minuten gezeigt, was wir können“, sagte Linksaußen Dahmke hinterher.
Doch auch die Berliner waren mit einem internationalen Erfolg im Rücken nach Kiel gereist, das Achtelfinal-Hinspiel der European League beim dänischen Vertreter Skjern Handbold wurde mit 28:23 gewonnen. Doch der elfte Sieg im elften Spiel dieses Wettbewerbs war kein Maßstab für das Topspiel der Bundesliga, denn Kiel war mindestens eine Klasse besser als Handbold.
Eine gute Nachricht für die Füchse gab es von Hans Lindberg. Der Torjäger, der seit Wochen wegen einer Handverletzung ausfällt, wird sehr wahrscheinlich doch noch mal für den Club auflaufen und in den Titelkampf eingreifen. „Er hat mit dem Training begonnen“, bestätigte Trainer Jaron Siewert im dänischen Fernsehen: „Nach der Operation war es nicht einfach, aber ich denke, es läuft alles nach Plan – vielleicht sogar etwas früher als geplant.“ Der Körper des 41 Jahre alten Dänen erhole sich „gut“, verriet Siewert. „Ich denke, er wird sechs bis acht Wochen ausfallen, was in Anbetracht des Ausmaßes der Verletzung gut ist.“
Die Schiene hat der Rechtsaußen bereits abgelegt und konnte damit das Beweglichkeitstraining in der Reha deutlich steigern. Lindberg hat gleich in mehrfacher Hinsicht, in den Saisonschlussspurt noch mal einzugreifen: Da sein Vertrag nicht verlängert wurde und er den Club nach sieben Jahren verlassen wird, will er sich bestmöglich verabschieden – am liebsten mit dem ersehnten Titel.
Außerdem jagt Lindberg noch den Bundesliga-Torschützenrekord: Zum Koreaner Yoon Kyung-shin (2.905 Treffer) fehlen ihm noch 23 Tore. Doch auch die Füchse wären froh, wieder auf Lindbergs Torgefährlichkeit und Nervenstärke zählen zu können. „Der Schicksalsschlag von Hans Lindberg trifft uns natürlich hart. Für unsere ambitionierten Ziele ist das ein herber Verlust“, hatte Sportvorstand Kretzschmar unmittelbar nach der Verletzung gesagt.