Angriffe gegen Polizisten, aber auch gegen andere Einsatzkräfte, nehmen weiter zu. Die Vorsitzende der Jungen Gruppe der Polizei-Gewerkschaft Saar, Luisa Naumann, und Cedric Jochum, ihr Stellvertreter, fordern eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft und halten die geplanten Reformen bei der Polizei für einen richtigen Weg.
Frau Naumann, Herr Jochum, Angriffe gegen Polizeibeamtinnen und -beamte, aber auch andere Einsatzkräfte, nehmen immer mehr zu. Was entwickelt sich da in unserer Gesellschaft?
Luisa Naumann: In der polizeilichen Kriminalstatistik wurden für das vergangene Jahr 471 Straftaten zum Nachteil von Polizeibeamtinnen und -beamten registriert, neun Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Das ist ein alarmierendes Signal für uns. Wir können nicht tolerieren, dass immer mehr Polizeikräfte, auch generell Einsatzkräfte, angegriffen werden, dass es immer mehr verletzte Beamtinnen und Beamte gibt. Wir haben einen gefährlichen Beruf, bei dem immer mit Angriffen zu rechnen ist. Wir merken aber, dass der Respekt in der Bevölkerung gegenüber der Polizei immer mehr sinkt.
Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Luisa Naumann: Dass der Respekt gegenüber der Polizei immer mehr sinkt, hat sicher mehrere Ursachen, die man vielleicht gar nicht alle beschreiben kann. Man merkt es jedenfalls im Umgang mit den Bürgern, man merkt es an den Zahlen, an den Gewaltdelikten, an den verletzten Polizeibeamten. Die Statistik zeigt, dass dieser Trend immer mehr nach oben geht. Das ist nicht zu tolerieren. Da muss etwas passieren, wir müssen dem entgegenwirken.
Das sagt der Minister auch. Aber was kann und muss passieren, einerseits zum Schutz der Beamtinnen und Beamten, andererseits auch gesellschaftlich?
Luisa Naumann: Wir fordern als Gewerkschaft der Polizei jedenfalls mehr Rückendeckung, auch von der Justiz. Wir fordern eine Spezialabteilung bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, die sich mit diesen Delikten gegen Polizeibeamte befasst, die Anzeigen bündelt und konsequenter anklagen kann.
Cedric Jochum: Das hätte für das Land auch den Vorteil, dass es nichts zusätzlich kosten würde. Man würde entsprechende Ressourcen bei der Staatsanwaltschaft bündeln, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft machen, die Delikte gegen Polizeivollzugsbeamte, aber auch gegen andere Einsatzkräfte, gebündelt behandelt. Als positives Beispiel kann man nach Gelsenkirchen schauen, wo die mittlerweile ehemalige Polizeipräsidentin früher als Staatsanwältin die dortige Schwerpunktstaatsanwaltschaft geleitet hat. Dort gab es erheblich höhere Ermittlungserfolge und Anklagezahlen. Das ist natürlich ein starkes Signal der Justiz an die Hoheitsträger, aber auch an die Rettungskräfte, Feuerwehrleute und andere, dass es diese Rückendeckung gibt. Für das Saarland, das immer auf die Kostenseite schauen muss, wäre so etwas eine durchaus sinnvolle Alternative. Das Rad muss ja nicht neu erfunden werden, wenn es Beispiele gibt, wo man sieht, wie es gehen kann.
Luisa Naumann: Für uns als Polizei wäre es ein Zeichen der Wertschätzung, wenn wir diese Rückendeckung hätten, es zu mehr Anzeigen und Verurteilungen mit konsequenteren Strafen kommen könnte.
Nach schweren Vorfällen gibt es immer auch als Reaktion die Forderung nach schärferen Gesetzen. Sie fordern eher konsequentere Anwendung geltender Gesetze?
Cedric Jochum: So ist es. Uns wird immer wieder berichtet – ich habe die Erfahrung auch selbst schon gemacht –, dass Verfahren reihenweise eingestellt werden, wenn man im Dienst beleidigt wird, auch bei Widerstandshandlungen, selbst wenn Kolleginnen und Kollegen verletzt werden. Das bringt ein ungutes Gefühl, weil man sich nicht geschützt und wertgeschätzt fühlt. Wenn man die bestehenden Gesetze und Strafrahmen konsequenter anwenden würde, würde das zu einem Abschreckungseffekt führen: Es würde auch auf der anderen Seite das Vertrauen der Polizeibeamten in die Justiz stärken, wenn es die entsprechenden Konsequenzen gibt, wenn ich im Dienst in Widerstandshandlungen verwickelt werde. Und das kann einem überall widerfahren, bei einem Fußballspiel, einer Verkehrskontrolle, überall beim täglichen Dienstgeschehen. Polizei ist in diesen Fällen in der Regel das erste Ziel, aber wenn zunehmend auch Feuerwehr und Rettungskräfte angegriffen werden, ist das ein Alarmsignal – und da muss ein deutliches Stoppschild gesetzt werden.
Derzeit wird wieder über eine Polizeireform diskutiert. Grundlage soll eine sogenannte Potenzialanalyse sein. Was soll, was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Luisa Naumann: Hintergrund dieser Potenzialanalyse ist unter anderem die Personalnot bei der saarländischen Polizei. Ziel ist, Doppelstrukturen zu vermeiden und Belastungen gleichmäßig zu verteilen, was wir natürlich begrüßen.
Cedric Jochum: Es gab vor Jahren ein Gutachten, das davon ausgegangen ist, dass die saarländische Gesellschaft älter und weniger wird, und damit auch die Kriminalität zurückgeht. Man hat sich dann über Jahre auf einen konsequenten Personalabbau-Pfad begeben, der 2.500 Köpfe in der Organisation bedeutet hätte. Die Realität ist aber eine andere. Die Kriminalitätszahlen sind nicht zurückgegangen, es sind neue Kriminalitätsphänomene dazu gekommen, Straftaten im Internet und gegen ältere Menschen. Durch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Möglichkeit zu Elternzeit und Teilzeitarbeit sind diese 2.500 bei Weitem unterschritten worden. Man hat versucht, aus den Personalressourcen das Beste zu machen, mit der Konsequenz, dass Kolleginnen und Kollegen in der Operativen fast keine freien Wochenenden mehr haben. Die Situation hat sich in den letzten Jahren nicht unbedingt verbessert. Wenn man dann noch zwei Fußballvereine in der Dritten und demnächst vermutlich auch in der Zweiten Liga hat, dürfen die Kolleginnen und Kollegen jedes Wochenende in irgendein Stadion gehen. Die gehen jetzt schon auf dem Zahnfleisch. Das Gleiche in der Kriminalitätsbekämpfung. Es darf nicht dazu kommen, dass ich irgendwann Kriminalität nur noch verwalte. Deswegen ist jetzt der richtige Weg, dass es wieder Aufwuchs geben wird, was wir schon jahrelang gefordert haben.
Luisa Naumann: Es geht um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle. Man ist, so unser Eindruck, vonseiten des Ministeriums jedenfalls bemüht. Wir versprechen uns viel davon, insbesondere eine effektivere Kriminalitätsbekämpfung dadurch, dass Ermittlungsdienst und Kriminaldienst zusammengelegt werden sollen und dass Doppelstrukturen abgebaut werden. Für uns ist wichtig, dass es einen stetigen Aufbau von Personal gibt, es müssen also mehr Leute eingestellt werden, als in Ruhestand gehen …
Cedric Jochum: … und während des Studiums ausscheiden, aus unterschiedlichsten Gründen.
Nachwuchs ist ebenfalls schon länger ein Thema. Die Polizei steht im Wettbewerb um guten Nachwuchs. Wie kann man diesen überzeugen?
Luisa Naumann: Was jetzt getan wurde, ist ein eigener Zweig „Polizei“ in einer Fachoberschule, der in diesem Jahr startet. Man erhofft sich, durch das Angebot mehr geeignete Bewerber für diesen anspruchsvollen Beruf zu gewinnen. Ein großer Punkt ist natürlich die Steigerung der Attraktivität des Polizeiberufes, wozu auch mehr Wertschätzung gehört, aber auch bessere Besoldung und Zulagen. Andere Bundesländer und die Bundespolizei bieten bessere Bedingungen an.
Cedric Jochum: Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Bundesländern und der Bundespolizei und haben ein unglaublich kompliziertes und langwieriges Bewerbungsverfahren. Da müssen wir schneller und besser werden. Sicher spielt auch die Besoldung eine wichtige Rolle. Es geht aber auch um die gesamten Rahmenbedingungen. Wenn die besser wären, würde auch die interne Werbemaschine viel besser laufen, wenn die Kolleginnen und Kollegen über gute Bedingungen berichten könnten. So etwas hat immer noch großen Einfluss bei der Berufswahlentscheidung.
In der vergangenen Legislaturperiode wurde viel in die Ausrüstung der Polizei investiert. Ist man jetzt auf einem ausreichend guten Stand?
Cedric Jochum: Es stimmt, es wurde viel investiert, das war auch dringend nötig, weil wir dort weit abgehängt waren – und es teilweise jetzt auch noch sind. Die Operative Einheit ist gut ausgestattet, aber mir stellt sich die Frage, ob wir das auch in Gänze sind. Bei dem Überfall auf einen Geldtransporter Anfang des Jahres konnten die Kollegen vor Ort nicht erst auf die Wache fahren, um ihre schwere Schutzausrüstung abzuholen. Und dann reden wir noch nicht über Szenarien wie Amok oder Terror.
Neue Kriminalitätserscheinungen waren schon angesprochen, insbesondere im Blick auf Kriminalität im Internet. Vor welchen Herausforderung steht die Polizei und wie kann sie darauf antworten?
Cedric Jochum: Wünschenswert wäre aus unserer Sicht ein Polizeibeamter, eine Polizeibeamtin, die online auf Streife geht. Ich beziehe das nicht nur auf das Darknet, sondern auf das, was täglich auf Facebook, Instagram und wo auch immer passiert. Dort werden Straftaten verabredet und teilweise auch begangen. Andere Länder haben einen viel höheren Prozentsatz von Polizeibeamten, die tatsächlich Internetpolizeibeamte sind. Wir haben eine Cybercrime-Dienststelle, aber die kümmern sich vor allem um dicke Fische. Wir müssen in diesem Bereich mehr Personal und natürlich auch technisches Know-how einbringen. Damit sind wir wieder beim Thema Personalgewinnung. Die Polizei darf sich in Zukunft nicht nur auf den klassischen Polizeibeamten, wie wir hier in Polizeiuniform, konzentrieren, zukünftig muss ein Polizeibeamter auch im Internet unterwegs sein.