Immer wieder gibt es Diskussionen über die Geschlechtsüberprüfung bei Sportlerinnen. Für viele ist es eine Diskriminierung, für manche der einzige Weg, einen fairen Wettkampf zu bestreiten.
Es ist die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin im Jahr 2009. Tagelang herrscht im Olympiastadion eine riesige Stimmung. Zum Teil sind die Fans so laut, dass die Athletinnen und Athleten auf der Laufstrecke ein paar Millisekunden schneller werden. Genau auf diesen Effekt hofften auch die Starterinnen, die am 19. August 2009 ein Rennen über 800 Meter bestritten. Unter ihnen: Caster Semenya. Die südafrikanische Läuferin gewann dieses Rennen mit einer herausragenden Zeit von 1:55,45 Minuten. Mit sehr großem Abstand. Statt Semenya nach dem Rennen zu feiern, kommen Zweifel an ihr auf. Der Internationale Leichtathletik Verband (IAAF) hatte Misstrauen, ob Semenya biologisch eine Frau oder vielleicht ein Mann ist. Ein Sprecher äußerte sich damals: „Dies ist ein sehr sensibles Thema. Wir hatten keine abschließenden Beweis und deshalb keinen Grund, ihr den Start zu verbieten.“ Um für Klarheit zu sorgen, hatte sich der IAAF dazu entschieden, einen Geschlechtstest für Semenya anzuordnen.
Tests sind von Unsicherheit geprägt
Solche Geschlechtsüberprüfungen bei Athletinnen und die damit verbundenen Zweifel am weiblichen Geschlecht gibt es schon seit einiger Zeit im Spitzensport. Bereits 1948 wurden Zweifel am Geschlecht einzelner Athletinnen geäußert. Diese mussten mit medizinischen Zertifikaten ihre biologische Weiblichkeit unter Beweis stellen. Einige Jahre später, bei den Commonwealth Games 1966, begann der Einsatz von manuellen Tests zur Geschlechtsüberprüfung. Zu dieser Zeit hatte ein solches Vorgehen auch Kritiker: Athletinnen, die sich der Geschlechtsüberprüfung unterziehen mussten, übten Kritik an dieser. Beispielsweise monierte die britische Fünfkämpferin Mary Peters, dass die Überprüfung „die härteste und demütigendste Erfahrung in ihrem Leben“ gewesen sei. Trotz aller Kritik mussten alle Athletinnen ab 1972 ein Zertifikat vorzeigen, welches ihre Weiblichkeit unter Beweis stellen sollte. Die Geschlechtstests sind dennoch von Unsicherheit geprägt. Wie beispielsweise 1983, als der spanischen Hürdenläuferin Maria José Martinez-Patino durch eine Geschlechtsüberprüfung zuerst das weibliche Geschlecht attestiert wurde. Durch einen Zufall musste Martinez-Patino die Überprüfung zwei Jahre später wiederholen. Diesmal wurde statt dem weiblichen das männliche Geschlecht bei der Spanierin erkannt. „Ich verlor Freunde, meinen Verlobten, Hoffnung und Kraft“, so die Spanierin nach der Bekanntgabe der Testergebnisse. Dennoch spürte sie, dass sie eine Frau samt Brüsten und Vagina sei. Nach einem Rechtsstreit, der sich über mehrere Jahre hinauszog, wurde die Sperre aufgehoben, die wegen des Testergebnisses verhängt wurde. Des Weiteren üben Wissenschaftler gegenüber den Geschlechtstests Kritik. Sie gaben zu bedenken, dass nicht alle Menschen in die vorgeschriebenen Chromosom-Kategorien hineinpassen. Zu den Chromosom-Kategorien gehören zum einen die XX-Kategorie, die Frauen in sich haben. Das männliche Geschlecht hat die Chromosom-Kategorie XY. Haben Menschen Merkmale beider Geschlechter oder stimmen die äußerlichen Geschlechtsmerkmale nicht mit den Chromosom-Kategorien überein, spricht man von Intersexualität.
Beispiele für intersexuelle Frauen gibt es im Sport einige. Wie bereits erwähnt, gehört die südafrikanische Sprinterin Caster Semenya dazu. Semenya ist intersexuell, läuft in jedem Rennen der Konkurrenz davon. Ihre dunkle Stimme sowie ihr eher maskuliner Körperbau fallen auf. Diese Merkmale verleiteten einige Menschen dazu, Semenyas biologisches Geschlecht anzuzweifeln. Wie beschrieben verordnete der IAAF bei ihr einen Geschlechtstest.
Aufgrund dieses Tests gab es in Semenyas Heimat Südafrika großes Entsetzen sowie Proteste. Die angesetzte Geschlechtsuntersuchung dauerte elf Monate an. Zu dieser Untersuchung wurden ein Gynäkologe, ein Internist, ein Endokrinologe, ein Geschlechter-Experte sowie ein Psychologe herangezogen, um die Frage nach dem Geschlecht von Semenya zu beantworten. Die Ergebnisse des Tests blieben vertraulich. Das Ministerium für Sport in Südafrika gab später bekannt, dass Semenya die Medaille und das Preisgeld, welches sie bei der WM 2009 erhalten hatte, behalten darf. Dennoch wurde vermutet, dass sie intersexuell sei und ihre Testosteronwerte erhöht seien.
Diskussionen werden weitergehen
Im Zuge der Olympischen Spiele 2012 verfasste der IAAF eine Regel, die das Leistungspensum von Semenya verändern sollte. Es wurde eine Obergrenze für Testosteron entwickelt. Wer wie Semenya zu viel Testosteron produzierte, musste sich einer Hormontherapie unterziehen. Die Leistungen der Südafrikanerin fielen ab. Sie wurde bei den Olympischen Spielen in London zweite. Die Wirkungen der Hormontherapie blieben bei Semenya nicht aus. Die Therapie sowie Knieverletzungen führten dazu, dass sie die WM 2013 verpasste. Im Jahr 2015 kippte der Sportgerichtshof „CAS“ die Hormon-Regelung. Grund für die Aussetzung der Regelung ist, dass nicht nachgewiesen werden konnte, dass Testosteron ausreicht, um eindeutig zu erkennen, ob die Athleten und Athletinnen biologisch dem männlichen oder weiblichen Geschlecht angehören.
Der Leichtathletik-Weltverband „World Athletics“ setzt 2019 eine Regelung durch, die besagt, dass der Testosteronwert bei Athletinnen unter fünf mmol pro Liter liegen soll. Die Athletinnen müssen diesen Wert unterschreiten, wenn sie an Wettbewerben zwischen 400 Metern und einer Meile teilnehmen wollen. Der Sportgerichtshof CAS begründet die Regelung mit der Fairness, die den Frauensport gerecht halten solle. „Entscheidungen sind immer schwierig, wenn es um widersprüchliche Bedürfnisse und Rechte unterschiedlicher Parteien geht, aber wir bleiben bei unserer Überzeugung, dass wir die Fairness für weibliche Athleten über alle anderen Erwägungen setzen müssen“, so Sebastian Coe, der Präsident von World Athletics. Semenya hingegen möchte die Regelung nicht akzeptieren und geht 2021 vor Gericht. Sie begründet diesen Schritt: „Alles, was wir möchten, ist die Erlaubnis, frei zu laufen, jetzt und für immer, als die starken und furchtlosen Frauen, die wir sind und immer waren.“
World Athletics hat nun neue, verschärfte Regelungen veröffentlicht. Diese besagen, dass die Athletinnen den Testosteronwert für mindestens zwei Jahre unter den Wert von 2,5 mmol pro Liter reduzieren sollen. Machen sie dies nicht, können sie an keinem internationalen Wettbewerb teilnehmen. Des Weiteren gelten die Regelungen nicht einzig und allein für Lauf-Wettbewerbe, sondern für die gesamten leichtathletischen Wettbewerbe.
„Klischeehaft und diskriminierend“
Diese Regelung stößt auf Kritik vonseiten verschiedener Organisationen. Human Rights Watch bezeichnet die Regel als klischeehaft und diskriminierend. Die World Medical Association fordert Ärzte aus aller Welt auf, die Regelung nicht umzusetzen. Die Wissenschaftlerin Payoshni Mitra hat eine klare Meinung: „Diese Vorschriften erniedrigen Frauen, sie fühlen sich minderwertig und werden zu medizinischen Eingriffen gezwungen, um an Wettkämpfen teilnehmen zu können.“ Sie fordert vom Sport, „die Integration und Nicht-Diskriminierung unterstützen, anstatt eine permanente Ausgrenzung und Diskriminierung zu fördern.“ Befürworter der neuen Regelung gibt es in der Welt des Sports dennoch.
Die ehemalige britische Langstreckenläuferin Paula Radcliffe befürwortet die Regelung und weist auf die Probleme der weiblichen Athletinnen hin, mit denen die sie umgehen müssen. „Man tut es einfach, weil man es muss, aber wenn man gegen jemanden antritt, der das nicht tut, ist das auch nicht fair“, so Radcliffe.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Diskussionen für oder gegen die Geschlechtsüberprüfung und das Hormon-Limit entwickeln. Eines ist sicher: Das letzte Wort ist in dieser Thematik noch lange nicht gesprochen.