Nach der Nullrunde bei der Weltmeisterschaft wollen es die deutschen Leichtathleten beim ISTAF besser machen. Vor allem Julian Weber und Gina Lückenkemper sind hoch motiviert.
Auf die Plakette im Besucherzentrum sind die Macher des Internationalen Stadionfests – kurz ISTAF – noch immer stolz. Die hatte das älteste Leichtathletik-Meeting der Welt schon vor der Corona-Pandemie vom Weltverband für seinen „herausragenden Beitrag zur Entwicklung“ der Sportart erhalten. Die Auszeichnung sei „eine große Ehre“ und Motivation für alle Mitwirkenden, „das ISTAF zu einem außergewöhnlichen Event mit weltweiter Ausstrahlung und einer wahren Leichtathletik-Party zu machen“, sagte Meetingdirektor Martin Seeber. Seit vielen Jahren schreibe das ISTAF gemeinsam mit dem Olympiastadion in Berlin „positive Sport-Geschichten“ – und die kann die deutsche Leichtathletik gerade jetzt gut gebrauchen. Die Weltmeisterschaft in Budapest beendete der Deutsche Leichtathletik-Verband am vergangenen Sonntag erstmals in der WM-Geschichte ohne eine einzige Medaille. Die historische Nullrunde sei der „worst case“, wie Verbandspräsident Jürgen Kessing betonte. Es gebe viel zu tun, um den Anschluss an die Weltspitze wieder herzustellen. Das ISTAF am 3. September im Berliner Olympiastadion ist die erste Gelegenheit zur Rehabilitation.
Mit reichlich Wut im Bauch wird dort auch Speerwerfer Julian Weber antreten, der als letzte deutsche Medaillenhoffnung in Ungarns Metropole auf Rang vier das Podium knapp verpasste. „Ich werde wie aus den letzten vierten Plätzen daraus meine Motivation schöpfen und einfach noch härter, noch besser trainieren und nächstes Jahr unschlagbar sein“, kündigte der Europameister an. Vor seinem WM-Start hatte Weber über seine ISTAF-Teilnahme gesagt: „Für mich ist es bislang das beste Jahr meiner Karriere – und dieses Erfolgsjahr beim ISTAF im Olympiastadion mit den Fans feiern zu können, ist einfach überragend.“
„Positive Sportgeschichte“
Der Wettkampftag hat es in sich, insgesamt stehen 16 Disziplinen auf dem Programm. Geplant sind 100 m, 400 m, 5.000 m, 100 m Hürden, Weitsprung und Diskuswurf bei den Frauen sowie 200 m, 400 m, 1.500 m, 110 m Hürden, 400 m, 400 m Hürden, Hochsprung, Stabhochsprung, Speerwurf, Para-Sprint und Para-Kugelstoßen bei den Männern. Neben Weber haben sich auch Gina Lückenkemper und andere deutsche WM-Teilnehmende angekündigt. Auch internationale Topstars sind der Einladung nach Berlin gefolgt. Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo ist wegen ihres bei den Deutschen Meisterschaften erlittenen Muskelfaserrisses, der schon ihren WM-Start verhinderte, nicht dabei.
So steht Lückenkemper noch mehr im Fokus. Sie freut sich auf den Auftritt in Berlin, zumal sie für den SCC Berlin startet. „Das ISTAF ist ein Heimspiel, eine Herzenssache für mich“, sagte die Doppel-Europameisterin. Dort gehe es nicht nur um persönliche Zeiten und Plätze, sondern auch um das große Ganze. „Wir Athletinnen und Athleten feiern gemeinsam mit den enthusiastischen Fans beim ISTAF die Leichtathletik. Ich freue mich riesig drauf.“ Natürlich geht Lückenkemper nicht ohne Ambitionen an den Start. Sie will dem deutschen Publikum beweisen, dass sie mehr draufhat, als es die WM-Auftritte vermuten ließen.
Das große Ziel vom prestigeträchtigen Finale über 100 Meter hatte Deutschlands „Sportlerin des Jahres“ wie im Vorjahr bei den Titelkämpfen in Eugene verpasst. „Es war definitiv eine andere WM, als ich mir das vorgenommen habe“, sagte die beste deutsche Sprinterin. Nicht nur das Halbfinal-Aus, auch die Zeit von 11,18 Sekunden machte Lückenkemper (Bestzeit: 10,95 Sekunden) traurig. Ob es an den „Wehwehchen“ lag, die sie während der Tage in Budapest mit sich rumschleppte, an den vielen Starts der Saison oder an der ungewohnt langen Verweildauer am Startblock („Die Position ist alles andere als bequem“) – das wollte sie mit etwas Abstand in Ruhe analysieren. Klar scheint aber, dass Lückenkemper beim Saisonhöhepunkt körperlich nicht auf der Höhe war. Rückenprobleme hatten der in den USA in der internationalen Trainingsgruppe von Starcoach Lance Baumann trainierenden Athletin zu schaffen gemacht. „Ich habe hinten raus die Hüfte verloren“, berichtete sie anschaulich nach dem Halbfinale im 100-Meter-Rennen, „und wenn man die Hüfte verliert, ist das Bockmist“.
Körperlich war Tobias Potye topfit, doch auch für den Hochspringer aus München erfüllte sich mit Platz fünf und einer übersprungenen Höhe von 2,33 Metern der Medaillentraum nicht. „Ich habe auf jeden Fall an Wettkampferfahrung gewonnen“, meinte der Vizeeuropameister: „Ich habe gebracht, was ich draufhabe.“ Vielleicht reicht das beim ISTAF für den Sieg.
Auch die deutschen Diskuswerferinnen konnten dem deutschen Team keine WM-Medaille bescheren, auch wenn die Olympia-Zweite Kristin Pudenz (6. Platz) und Shanice Craft (7.) keineswegs komplett enttäuschten. Insgeheim hatten sich beide mehr ausgerechnet. Sie habe „nicht die nötige Lockerheit gehabt, die man im Wettkampf braucht“, ärgerte sich Pudenz. Auch Craft vom SV Halle haderte: „Ein bisschen Lockerheit hat gefehlt.“ Die wollen sie nun wiederfinden, schließlich ist das Diskuswerfen traditionell eines der Highlights des Meetings. „Ich freue mich mega auf das ISTAF“, sagte die Berlinerin Julia Harting, die während der WM vom Fernseher aus ihren Teamkolleginnen die Daumen drückte und Pudenz und Craft „einen tollen Wettkampf“ bescheinigte.
ISTAF-Zusage von Danielle Williams
Sich beim ISTAF den Sieg zu sichern, wird für die deutschen Athletinnen nicht einfach. Denn die internationale Konkurrenz hat es in der Diskus-Disziplin in sich. Neben der WM-Vierten Jorinde van Klinken aus den Niederlanden geht auch Olympiasiegerin Valarie Allman an den Start – die US-Amerikanerin ist ein Fan des Leichtathletik-Events. „Ich liebe das Publikum und das Stadion. Sie geben mir so eine tolle Energie. Das ISTAF ist mein absolutes Lieblingsmeeting“, schwärmte Allman. Auch sie geht hoch motiviert in den Diskus-Ring, schließlich musste sich die haushohe Favoritin bei der WM mit Silber begnügen, weil Landsfrau Laulauga Tausaga mit persönlicher Bestleistung ein völlig überraschender Gold-Coup gelang.
Stolz sind die Macher auch auf die ISTAF-Zusage von Danielle Williams. Die Jamaikanerin bewies mit Gold in Budapest, dass sie aktuell die weltweit schnellste Hürdensprinterin ist. Ein Selbstläufer wird der Sieg in Berlin für die 30-Jährige nicht, Landsfrau Megan Tapper und die US-Amerikanerin Tia Jones sind ähnlich stark einzuschätzen. Ein internationales Highlight ist der Start von Ausnahmeläuferin Letesenbet Gidey über 5.000 Meter. Die Äthiopierin hält aktuell die Weltrekorde über 10.000 Meter (29:01,03 Minuten) und im Halbmarathon (62:52). Bei der WM in Budapest gewann die 25-Jährige Silber über 10.000 Meter. „Ich freue mich, meine Bahn-Saison beim ISTAF in Berlin beenden zu können“, sagte Gidey. Um ein schnelles Rennen zu ermöglichen, wird ihr Team um die blaue Tartanbahn im Olympiastadion „Wavelights“ installieren. Diese farbigen LED-Lichter sollen nach Angaben des Veranstalters „als zusätzliche Tempomacher“ fungieren.