Warum früher alles mal drei Mark fuffzich gekostet hat
Sie glauben nicht, was ich neulich beim Aufräumen wiedergefunden habe: ein paar 1.000-Mark-Scheine. Genau vier. Und zwei Hunderter dazu. Allesamt gut erhaltene Scheine aus dem Jahr 1910. Reichsbanknoten aus der Kaiserzeit. Meine Oma hatte mir die Scheine geschenkt, als ich als Fünfjähriger mein erstes Keramik-Sparschwein bekam und als Start-Fütterung frech um ein paar Scheine bat.
Offensichtlich hatte meine Uroma die Scheine vor dem Ersten Weltkrieg versteckt; unter der Matratze wahrscheinlich. Und meine Oma entdeckte den „Notgroschen“ dann in den Zwanzigern wieder. Inzwischen waren ein Krieg und eine Inflation über Uromas Notfall-Depot hinweggegangen.
Hätten die Reichsbanknoten zwischendurch noch in Reichsmark umgetauscht werden können, wäre das zu einem Wechselkurs von eins zu einer Billion gewesen. Oma hätte also das Anrecht auf Auszahlung von umgerechnet 0,000000042 Mark gehabt, plus/minus einer Null hinterm Komma. Aber so kleine Geldmünzen gab’s nicht.
„So schlimm isses dann ja gar nicht, heutzutage, mit der Inflation“, denke ich, „mit unseren aktuell sechseinhalb Prozent.“ Ist das eine leichtsinnige Einstellung? Jede Inflation hat mal klein angefangen und begann dann irgendwann zu galoppieren.
Wie also sollte ich am besten mit der Inflation umgehen, falls diese sich längerfristig einzunisten droht? Bargeld im Haus bunkern ist wenig ratsam – siehe Uroma. Sonst irgendwie sparen? Bei den jämmerlichen Zinsen? Oder lieber ausgeben? Aber wofür beziehungsweise wofür nicht?
Beim Recherchieren zu dieser Frage in verschiedenen Medien stoße ich auf folgenden interessanten Trend: Für alles, was ordentlich teuer ist – wie Autos, Reisen, Qualitäts-Gartenmöbel – geben wir momentan fleißig Geld aus. Und auch Schmuck und Uhren verkauften sich in den vergangenen zwölf Monaten ordentlich. Gespart wird anderswo, nämlich beim Essen.
Die Konsumenten in Deutschland kaufen (laut GfK-Studie) jetzt einfach weniger frisches Gemüse. „Passt!“, denke ich mir, „ich verzichte einfach auf frischen Salat sowie hochwertiges Obst und Gemüse und schlage so der Inflation ein Schnippchen. Dann besorge ich mir noch das 49-Euro-Ticket, schone den Tankinhalt meines Pkw, und schon kann mich die Inflation mal.“
Statt mich an diesem tröstlichen Gedankenkonstrukt entlangzuhangeln, begehe ich folgenden entscheidenden Fehler: Ich rechne plötzlich wieder alles in D-Mark um. Das hatte ich mir eigentlich schon vor 20 Jahren abgewöhnt. Aber ich hatte diese Marotte wohl nur unterdrückt, nie richtig überwunden. Als ich mir neulich beim Italiener klarmachte, dass die Pizza, die ich gerade esse, umgerechnet gut 30 Mark kostet, wollte sie mir nicht mehr so recht schmecken. Dabei waren alle vier Stagioni auf der alle quattro tipptopp.
Wehmütig erinnere ich mich daran, dass es Anfang der Achtziger in meinem Lieblingsbiergarten Tschewapptschitischi für drei Mark fuffzich gab. Vielleicht waren es auch fünf Mark, aber in der nostalgischen Rückschau fühlt es sich so an, als seien es drei-fuffzisch gewesen. Aber fühlt sich in der nostalgischen Rückschau nicht so vieles an, als habe es zur D-Mark-Zeit drei-fuffzich gekostet?
Dass die Tschewapptschitschi damals aus einer Mischung aus Sägemehl und gepresstem Pappendeckel bestanden und der Geschmack ausschließlich von der dubiosen, reichlich drüber gegossenen Soße kam, tut der Nostalgie keinen Abbruch. Das waren dann eben die berüchtigten ‚günstigen Herstellungskosten‘, die es früher einmal gab.
Ein großes Bier zum Essen kostete sogar nur eins-fuffzich, glaube ich mich zu erinnern. Damals hatte ich natürlich weniger Geld als heute und war froh, wenn ich für zehn Mark (inklusive Trinkgeld) den Biergarten satt und angenehm angeheitert verließ.
Was will diese Kolumne eigentlich gesellschaftlich Relevantes sagen? Muss sie das denn? Reicht es nicht, wenn ich verrate, dass ich mir als weitere inflationsausgleichende Maßnahme vorgenommen habe: „So, dann gehste eben nicht mehr auswärts Pizza essen, egal wie gut Teig und Belag sind.“ Hoffentlich behalte ich diese vorgenommene Konsequenz auch durch, sobald der nächste Auto- oder Gartenmöbelkauf ansteht.