Im Norden der Oberpfalz lädt Bayerns zweitkleinster Naturpark, der Steinwald, nicht nur zu Wanderungen durch dichte Wälder ein. Hier lässt sich auch historisch-kulturell manch Unerwartetes entdecken.
Die Wetter-App zeigt eine 60-prozentige Regenwahrscheinlichkeit, also schnell noch einmal die Wanderschuhe imprägniert und die Regenjacke in den Rucksack gepackt. In dem selbstverständlich schon Proviant, Sonnencreme und eine Powerbank schlummern – schließlich geht es gleich auf eine 20 Kilometer lange Wanderung – die erste Etappe des Goldsteigs. Der mit 660 Kilometern längste Fernwanderweg Deutschlands beginnt im Nordosten Bayerns in der Oberpfalz und endet auch mit manchem „Schlenker“ über die tschechische Grenze schließlich in Passau.
Ganz so ambitioniert soll’s jetzt aber nicht sein, die erste Etappe, die durch den wildromantischen Steinwald führt, ist ein perfekter Einstieg ins Weitwandern und außerdem gut als Tagestour machbar. Schließlich kann man vom Tagesziel Friedenfels mit dem Rufbus Baxi zurück zum Ausgangspunkt fahren. Ein gut funktionierendes und preisgünstiges Angebot.
Aussicht bis Tschechien möglich
Doch bevor wir uns Stunden später bei einsetzendem Regen gemütlich im Großraumtaxi über kurvige Sträßchen kutschieren lassen, geht es erst einmal hinaus aus dem Städtchen Marktredwitz. Wo der Goldsteig auf dem ehemaligen Landesgartenschau-Gelände, dem Auenpark, seinen offiziellen Startpunkt hat. Fast parallel zum Flüsschen Kössein führt der Weg an Feldern und kleinen Wäldchen vorbei, durchquert den Ort Waldershof, zieht sich eine Anhöhe hinauf und taucht dann in den Wald ein. Still ist es, bis auf das Vogelzwitschern und das Summen von Insekten, die im Sonnenlicht tanzen. Knorrige Wurzeln alter Bäume ziehen sich über den Pfad, kein Mensch ist in Sicht. Erst Kilometer weiter, teilweise auf Forststraßen, meist aber auf schmalen Wegen, sind wieder Stimmen zu hören. Das „Marktredwitzer Haus“ ist erreicht, ein uriges Gasthaus auf 760 Metern Höhe, mit einer Terrasse, die einen weiten Blick Richtung Norden über das Fichtelgebirge bietet.
Gestärkt geht es an den zweiten Teil der Tour, der mit stetigem Anstieg hinauf zur Burgruine Weißenstein aufwartet, ein Highlight dieser Wanderung. Auf dem gut 830 Meter hohen gleichnamigen Berg liegt die im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnte Anlage mit Bergfried, das Wahrzeichen des Steinwalds. Reste von Gebäudeteilen lassen ahnen, wie trutzig die Burg einst gewesen sein muss. Von einer Aussichtsplattform bietet sich ein fantastischer Rundumblick.
Einmal tief durchatmen und die Aussicht über den Steinwald genießen, Bayerns zweitkleinster Naturpark. Dessen Landschaftsbild ist von manchmal skurril anmutenden Gesteinsformationen und dichten Wäldern geprägt. 954 Meter ragt die „Platte“ empor, die höchste Erhebung des kleinen Mittelgebirges. Sie wird vom Oberpfalzturm gekrönt, die 150 Stufen hinauf zur Aussichtsplattform lohnen sich. Denn bei schönem Wetter kann man von hier nicht nur bis nach Tschechien zum Böhmerwald schauen, sondern mitunter sogar den Regensburger Dom ganz in der Ferne sehen. Wie ein Mosaik aus verschiedenen Grüntönen nimmt sich die Landschaft von oben aus, dunkler Wald wechselt mit hellgrüneren Weiden und Wiesen und kleine Dörfer setzen farbige Akzente.
Zurück zur Burgruine Weißenstein, die zu den meistbesuchten Orten im Steinwald zählt. Dennoch ist man hier von Massentourismus weit entfernt. Gemütlich geht es jetzt bergab, schmal schlängelt sich der Weg durch den Wald, quert ab und zu Lichtungen und Wiesen, schließlich kommt am Waldrand Friedenfels in Sicht.
In der Mitte des 1.100-Einwohner-Ortes liegt das Schloss, das um 1900 umgebaut wurde und heute mitsamt dazugehörigem Park in Privatbesitz ist.
Doch nicht nur wandernd lässt sich einiges im Steinwald erleben. Im Wildgehege am Waldhaus bei Pfaben kann man mit etwas Glück bei der Fütterung des Rotwildrudels mit Hafer, geschnetzelten Rüben und dem einen oder anderen trockenen Brötchen zuschauen. Dabei muss der Betreuer Hirschkuh „Sissi“ stets zuerst etwas Futter geben - das von Menschen aufgezogene Reh hätte ansonsten wegen der Rangordnung im Rudel ziemlich schlechte Karten. Heute hat Ranger Jonas Ständer die Fütterung des Wilds vertretungsweise übernommen und nutzt die Gelegenheit, gleich noch einen Abstecher zur neuesten Infoeinrichtung des Naturparks Steinwald zu machen. Denn neben Rot- und Schwarzwild, einigen Luchsen und seit kurzem dem wieder eingeführten Habichtskauz ist in der Region eine fast in Vergessenheit geratene und beinahe ausgestorbene Art zuhause: die Flussperlmuschel.
Glasschleif als alte Handwerkstradition
Früher war sie massenweise in den Bächen und Flüsschen der Region beheimatet, heute wird in mehreren Aufzuchtstationen versucht, die Population wieder zu erhöhen. Und im Infozentrum „Grenzmühle“ im Steinwald können große und kleine Gäste rund um einen stilisierten Bach an Schautafeln und interaktiven Touchscreens sehen, wie aus einer kleinen Muschellarve über Jahre eine stattliche Muschel wird, welche Lebensbedingungen sie braucht und auch, was sonst noch so im Bach lebt. Die „Grenzmühle“, die gleich neben einem Biobauern- und Pferdehof liegt, ist eine von mehreren Infostellen des Naturparks. Hier bringt man Besuchern die Besonderheiten von Landschaft, Pflanzen- und Tierwelt näher, hier starten aber auch regelmäßig geführte Wanderungen und Exkursionen für die ganze Familie.
Um das kulturelle Erbe der Region, beziehungsweise um eine alte Handwerkstradition geht es einige Kilometer weiter, am nördlichen Rand des Steinwalds. Bei Arnoldsreuth wurde im 18. Jahrhundert eine sogenannte Glasschleif quasi mitten im Wald errichtet, die Polier- und Schleifanlage wurde mit Mühlrädern vom Wasser des Steinbachs angetrieben. Zwei Franzosen hatten das Know-how des Glasschleifens aus der Normandie in die Oberpfalz gebracht, wo Hunderte dieser kleinen Schleifanlagen entstanden. Sie waren auf die Veredelung von Glas für Spiegel spezialisiert. Diese wurden dann aber unter anderem in Nürnberg gefertigt.
Doch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es immer unlukrativer, das Spiegelglas in aufwendiger Handarbeit zu schleifen und zu polieren. Und so schlossen viele der kleinen Werkstätten, die Gebäude verfielen. Auch die Glasschleif beim Pullenreuther Ortsteil Arnoldsreuth wäre heute nicht Schauwerkstatt, kleines Museum und Infostelle des Naturparks, wenn nicht der Verein Steinwaldia die Gebäude vor dem Verfall gerettet und in zahlreichen Arbeitsstunden restauriert hätte. Heute ist das gelb getünchte Haupthaus an Sommerwochenenden ein gemütliches Ausflugslokal, in der Schauwerkstatt gibt es in regelmäßigen Abständen Vorführungen. Und der hier beginnende „Glasschleiferer-Weg“ führt vorbei an den Ruinen der ersten Schleiferei, an Stauweihern und kleinen Mooren, die der Lebensraum für viele selten gewordene Libellenarten sind.