Jahresrückblick Saarland: Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen hat die Kommunen 2023 herausgefordert. Die Bereitschaft zur Hilfe ist weiter groß, aber die Möglichkeiten stoßen an Grenzen.
Zum Jahresbeginn laufen die Arbeiten auf dem Gelände neben der ehemaligen Grube Duhamel auf Hochtouren. Um ein Großraumzelt, das als zentrale Gemeinschaftseinrichtung dienen soll, werden im Carrée rund 100 Wohncontainer sowie Sanitäreinrichtungen platziert. Platz für bis zu 300 Menschen, die hier vorübergehend eine Unterkunft finden sollen. Das Saarland rüstet sich, um eine weiter steigende Zahl von Geflüchteten aufnehmen zu können.
Das Containerdorf soll vor allem die Kommunen entlasten. Deren Kapazitäten zur Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten war im Jahr zuvor an Grenzen gestoßen, gleichzeitig sind die Möglichkeiten in der Aufnahmestelle Lebach ausgereizt. Die ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls eine Großbaustelle.
2022 sind im Saarland rund 18.000 Geflüchtete angekommen und damit mehr als im Krisenjahr 2015. Gut 14.000 von ihnen sind vor dem russischen Überfall auf die Ukraine geflohen. Für sie gilt aufgrund einer EU-Vereinbarung ein Sonderstatus. Geflüchtete aus der Ukraine sind im ersten Kriegsjahr fast vollständig auf Städte und Gemeinden verteilt worden. Verwaltungen und Ehrenamtliche stünden nun aber „unter großem Druck“, betonte der Geschäftsführer des Saarländischen Städte- und Gemeindetages (SSGT), Stefan Spaniol.
Die Entwicklung in der Ukraine, aber auch in anderen Krisen- und Kriegsregionen, lassen zum Jahresbeginn erwarten, dass die Herausforderungen in diesem Jahr nicht geringer werden. Innenminister Reinhold Jost hatte bereits im Oktober 2022 in Aussicht gestellt, dass das Land zusätzliche 850 Plätze zur Aufnahme schaffen wolle, teils durch Anmietungen, durch Kapazitätserweiterungen in Lebach – und eben auch durch das Containerdorf in Ensdorf. Unter anderem soll dadurch vermieden werden, dass etwa Hallen für die Aufnahme in Anspruch genommen müssten, was erfahrungsgemäß zu Unmut vor Ort führt. Die Ankündigung stößt auf breite Zustimmung, im Gegensatz zu anderen Regionen Deutschlands, in denen vergleichbare Projekte auf teils heftigen Widerstand stoßen.
Kritik gab es dennoch, etwa vom Flüchtlingsrat. Der sieht das Containerdorf als Folge eines „hausgemachten“ Problems dadurch, dass Lebach seit Jahren als „Daueraufenthaltsstätte zweckentfremdet“ worden sei, weil rund die Hälfte der untergebrachten Geflüchteten länger als ein Jahr dort lebten. In den Kommunen spitzt sich die Diskussion im Lauf des Jahres weiter zu. Sie zeigen sich verärgert, als ein Spitzentreffen bei Bundesinnenministerin Faeser (SPD) im Februar ohne greifbare Ergebnisse blieb.
Im März fordern saarländische CDU-Bürgermeister in einem Positionspapier deutlich mehr Unterstützung für die Kommunen und warnen vor einer Überlastung. Als Sprecher betont der Merziger Bürgermeister Marcus Hoffeld, Kommunen wollten helfen, aber mancherorts seien „die Grenzen überschritten“.
Weiter große Bereitschaft Flüchtlingen zu helfen
Im Mai ziehen die ersten Menschen in das Containerdorf ein. Innenminister Reinhold Jost kündigt zugleich weitere Investitionen in Lebach an. Dort sind bereits nach einem Jahr Bauzeit neue Wohneinheiten für bis zu 270 Personen bezugsfertig (Kosten rund neun Millionen Euro), das Land will bis 2024 weitere 34 Millionen investieren.
Ein weiteres Bund-Länder-Spitzentreffen in Berlin im Mai enttäuscht die Kommunen erneut. Wichtige geforderte Entscheidungen über strukturell höhere Bundesmittel werden auf einen Flüchtlingsgipfel im November vertagt. Der Bund sagt lediglich eine Milliarde Euro zu. Das lindere zwar das Problem, „hilft aber nicht auf Dauer“, sagt auch Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD).
Im Oktober verlängert Innenminister Jost zwei befristete Maßnahmen: Das Land verlängert die Mietausfallerstattung, wenn Kommunen privaten Wohnraum für Geflüchtete anmieten, und der ursprünglich für ein Jahr befristete Mietvertrag für das Containerdorf Ensdorf wird um sechs Monate verlängert. Beides wird von Kommunen als Erleichterung begrüßt. „Gerade bei den zu erwartenden steigenden Flüchtlingszahlen sichern beide Maßnahmen Handlungsmöglichkeiten und Entlastungseffekte“, sagen SSGT- Präsident Jörg Aumann (SPD) und sein Stellvertreter Ulli Meyer (CDU).
Gleichzeitig werden in der CDU schon mit Blick auf den nächsten Flüchtlingsgipfel Forderungen laut, Zuwanderung zu begrenzen. Saarländische CDU-Landräte schließen sich den Forderungen ihrer Kollegen aus Baden-Württemberg nach einer gewissen Arbeitspflicht für Flüchtlinge an. Zugleich gibt es aber auch von anderer Seite die Forderung, Hindernisse und Hürden für eine Arbeitsaufnahme abzubauen. Und es gibt die Forderung, bisherige Bar-Leistungen durch eine Geldkarte zu ersetzen. CDU-Chef Stephan Toscani verlangt wie etliche Parteikollegen: „Die Zahlen müssen runter“. Auf einem Parteitag im November fordert die CDU in einem Leitantrag zur Kommunalpolitik, dass nur noch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive auf Kommunen verteilt werden dürften.
Im November verständigen sich Bund und Länder auf Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik. Es sei darum gegangen, „mehr Klarheit und Ordnung in der Migrationspolitik durchzusetzen, irreguläre Migration zu verringern und Abschiebungen schneller zu machen“, sagt Ministerpräsidentin Rehlinger. Künftig soll es eine Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro geben, die der Bund für die Unterbringung und Betreuung pro Flüchtling zahlt. Die Rückkehr zu diesem Pro-Kopf-System war eine zentrale Forderung der Kommunen. Allerdings sei der Betrag viel zu niedrig. Ursprünglich stand die Forderung von rund 10.000 Euro im Raum.
Die kommunalen Spitzenverbände im Saarland begrüßen, dass es überhaupt zu einer Einigung gekommen ist. Zu einer „substanziellen Entlastung“ reiche das aber noch nicht aus, meint SSGT-Geschäftsführer Spaniol. Womit das Thema – auch wegen der internationalen Entwicklungen – auch 2024 auf der Agenda bleibt.