Jahresrückblick Saarland: Markante MeilenÂsteine und Streit um DauerÂbaustellen kennzeichnen die Bildungspolitik 2023. RückÂkehr zu G9, Beitragsfreiheit für Kitas und ein dreistelliges Millionen-Schulbauprogramm werden begleitet von Personalmangel und neuen Herausforderungen.

SPD-Wahlversprechen um - Foto: Thomas Wieck
Fast genau ein Jahr nach der Landtagswahl setzt die SPD ein zentrales Wahlversprechen um und beendet ein Projekt, das eine CDU-Alleinregierung 22 Jahre zuvor aufs Gleis gesetzt hat. Damals war das Saarland Vorreiter bei der Einführung von G8. Jetzt ist das Saarland Nachzügler bei der Rückkehr zu G9.
Die abschließende Beratung und Beschlussfassung im März im Landtag geriet noch einmal zu einem heftigen Schlagabtausch. Dabei war eine Rückkehr zu G9 eigentlich schon vor der Landtagswahl (März 2022) klar. Die CDU hatte im Wahlkampf ihre bisherige ablehnende Haltung nach jahrelangen Diskussionen korrigiert. Der Streit dreht sich folglich in erster Linie um die Umsetzung von G9, das bereits nach dem Sommerfeien mit dem Schuljahr 2023/24 starten wird.
Bildungsminister Christine Streichert-Clivot (SPD) spricht von einer der „wichtigsten bildungspolitischen Reformen für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen“, die CDU-Bildungsexpertin Jutta Schmitt-Lang warnt dagegen vor einem „Schmalspurgymnasium“ und spricht von einer „vermurksten Minimalstundentafel“. Zudem argwöhnt die CDU hinter den Umsetzungsplänen für G9 eine Schwächung des Gymnasiums und warnt vor einer „Einheitsschule durch die Hintertür“.
Mit G9 wird auch Informatik als neues Schulfach in die Lehrpläne aufgenommen. Zudem wird Sitzenbleiben nach Klasse 5 abgeschafft, was wiederum auf heftige Kritik stößt.
Die Landesregierung rechnet damit, dass für die G9-Umsetzung 149 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer gebraucht werden. Ministerin Streichert-Clivot versicherte im März im FORUM-Interview auf die Frage nach dem Lehrermangel: „Wir haben alle unsere Planstellen besetzt, wir sind also noch nicht in der Situation wie manche anderen Bundesländer. Aber es ist eine sehr angespannte Situation – bundesweit. Und natürlich kommen mehr Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen an. Niemand hat mit dem Ausbruch eines Krieges gerechnet. Auf eine kleiner werdende Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern trifft eine größer werdende Zahl von Schülerinnen und Schülern, insbesondere durch Zuzug. Das ist eine Herausforderung, die in allen Ländern so besteht.“
Zum Beginn des neuen Schuljahrs im September steht die Herausforderung in konkreten Zahlen fest: In saarländischen Schulen gibt es rund 3.000 Schülerinnen und Schüler mehr als im Schuljahr zuvor. Aus Sicht der Ministerin ist das Problem weniger, dass zu wenig junge Menschen ein Lehramtsstudium aufnähmen, sondern dass die Abbrecherquote zu hoch sei. Eine hohe Abbrecherquote gibt es auch bei den Schülerinnen und Schülern.
„Wichtigste bildungspolitische Reform“
Weil durch G9 zudem an einigen Standorten ein zusätzlicher Raumbedarf entstehen dürfte, werde man mit den Landkreisen als Träger über einen finanziellen Ausgleich verhandeln, sicherte die Ministerin bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes zu.
Zusätzlichen Raumbedarf gibt es nicht nur an Gymnasien durch die Rückkehr zu G9, sondern auch durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026.
Nach Angaben des Ministeriums steht das Saarland gar nicht so schlecht da. Knapp zwei Drittel der Grundschüler könnten bereits jetzt eine Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen. Um das gesetzliche Ziel zu erreichen, müsste es ein Angebot für knapp 80 Prozent aller Kinder geben. Der Saarländische Städte- und Gemeindetag (SSGT) mahnt im Sommer entsprechende Unterstützung für den Ausbau an. Demnach seien 330 Millionen Euro nötig, Zusagen von Bund und Land gebe es aber erst über 40 Millionen Euro. Vor allem mahnt der SSGT neben notwendigem Personal bauliche Maßnahmen an. Das Ministerium verweist auf Vorbereitungen zu einem entsprechenden Programm.
Das wird dann im Oktober vom Bildungs-, Bau- und Finanzministerium vorgestellt. 205 Millionen Euro sollen für ein Schulbauprogramm mobilisiert werden, „das größte kommunale Investitionsprogramm, das das Saarland seit Bestehen auf den Weg gebracht hat“, betont Bauminister Reinhold Jost. Dreiviertel sollen Kommunen, ein Viertel den Kreisen zur Verfügung stehen, damit profitieren vor allem Grundschulen. Der SSGT begrüßt das Programm, auch wenn er zuvor wegen des enormen Sanierungsstaus und zusätzlicher Ansprüche einen Bedarf von 700 Millionen (davon 330 Millionen für den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung) ausgemacht hat. Die CDU-Opposition ihrerseits hatte bereits zu Jahresbeginn ein 300-Millionen-Programm für Sanierung und Neubau von Grundschulen vorgestellt und Mitte des Jahres im Landtag zur Diskussion gestellt.

Im April setzt die SPD-Landesregierung ein weiteres zentrales Wahlkampfversprechen um, die schrittweise Beitragsfreiheit für Kitas wird im Landtag beschlossen. Frühkindliche Bildung werde damit unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, zugleich sei es ein Beitrag für mehr Gleichberechtigung von Frauen im Berufsleben. Die CDU hatte dagegen gefordert, das Geld für mehr Qualität und Personal einzusetzen. Die Kosten dürften am Ende der schrittweisen Umsetzung bis 2027 etwa 46 Millionen betragen.
Im Juni teilt Bildungsministerin Streichert-Clivot mit, dass aus dem Bundes-„Kita-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz“ rund 50 Millionen Euro für saarländische Einrichtungen zur Verfügung stehen. Das Geld soll für die Fortführung von Sprachkitas, Kitas mit besonderen Herausforderungen sowie für den Aufbau eines Vertretungspools eingesetzt werden.
Fachkräftemangel und Kitaplätze bleiben ein Dauerthema. Im März bekräftigt das Oberverwaltungsgericht in Saarlouis den unbedingten Anspruch von Kindern zwischen einem und drei Jahren auf einen wohnortnahen Kitaplatz. Im November kommt die Bertelsmann-Stiftung im Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme zu dem Ergebnis, dass im Saarland rund 6.700 Kitaplätze fehlen, um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zu erfüllen. Das Ministerium verweist auf Fortschritte beim Ausbau sowie den Ausbildungskapazitäten.