Mittels modernster Lasertechnik konnte jüngst der Nachweis für riesige urbane Siedlungen im Amazonas-Regenwald erbracht werden. Damit ist nun klar, dass es bereits vor der Ankunft europäischer Konquistadoren städtische Zivilisation gegeben hatte.
Lange hielt sich die Meinung: Das Amazonasgebiet war vor der Ankunft der Europäer im 16. Jahrhundert eine zivilisatorisch nahezu unberührte Wildnis, in der allenfalls kleine Bevölkerungsgruppen kurzlebige Niederlassungen zum bescheidenen Nutzpflanzen-Anbau oder auch zum Jagen oder Sammeln unterhalten hatten. Daran sollte sich rund 500 Jahre lang auch nichts ändern. Erst mit der Jahrtausendwende wuchsen nach der Entdeckung diverser Flecken mit nährstoffreichen Böden und Ansammlungen von Nutzpflanzen mitten im Dschungel die Zweifel an diesem Lehrtheorem. Zudem häuften sich in den letzten zehn Jahren archäologische Funde, die das Bild vom unangetasteten Urwald als romantische Vorstellung entlarven sollten. Dabei sollten vor allem die von einer britisch-brasilianischen Forschergruppe im Nordwesten des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso 2018 entdeckten Siedlungsreste für wissenschaftliches Aufsehen sorgen. Diese befinden sich auf regelmäßig geformten Hügeln und lassen auf befestigte Dörfer und angelegte Plätze und Straßen aus der Zeit zwischen 1250 und 1500 schließen. Zwei Jahr danach hatten Forscher der University of Exeter im Südosten des brasilianischen Bundesstaates Acre nahe Bolivien kreisförmig angeordnete Erdhügel aus der Zeit zwischen 1000 und 1650 identifizieren können.
Entdeckungen sind Lidar zu verdanken
Der nächste wissenschaftliche Paukenschlag sollte dem Wissenschaftler Heiko Prümer, der am Deutschen Archäologischen Institut tätig ist, 2022 im bolivianischen Regenwald gelingen. Prümer konnte den Nachweis erbringen, dass auf einem regelmäßig überfluteten Gebiet von der Größe Englands in der Zeit zwischen 500 und 1400 n. Chr. eine fortgeschrittene, auf den Namen Casarabe getaufte Agrargesellschaft mit städtischen Strukturen ansässig war. Wobei neben kleineren Siedlungen vor allem auch zwei Zentren mit gestuften Plattformbauten und kegelförmigen, bis zu 22 Meter hohen Pyramiden verifiziert werden konnten – allesamt Erdwerke. Laut Prümer ähnelte das raffinierte Wassermanagement mit Dammstraßen und ausgedehntem Kanalsystem der Maya-Kultur in Mittelamerika. Es sei „unglaublich“, wie komplex die Siedlungen aufgebaut waren, so Prümer.
Die auf den ersten Blick geradezu frappierende Häufung von Siedlungsfunden in der Amazonas-Region der letzten Jahre ist einer modernen Technik geschuldet, die in der heutigen Archäologie an die Seite der klassischen Ausgrabungs-Modalitäten getreten ist. Prümer und seine Kollegen bedienten sich des sogenannten Airborne Laserscannings und der dazu gehörenden sogenannten Lidar-Technologie (Lidar = Light Detection and Ranging). Dabei handelt es sich um eine Art Radar mit Laserstrahlen statt Radiowellen, gewissermaßen um ein dreidimensionales Laserscanning. Ein an einem Flugzeug oder Helikopter angebrachter Sensor oder Scanner schickt dabei Laser-Pulsstrahlen auf die Erdoberfläche, die dabei wie mit einem Scanner abgetastet wird.
Lidar hat das Verständnis des präkolumbianischen Amazonas laut Carla Jaimes Betancourt, Professorin für die Archäologie Amazoniens an der Universität Bonn, revolutioniert. Die Wissenschaftlerin hatte auch eine Einschätzung der dabei entdeckten Siedlungen vorgenommen: „In Größe und Infrastruktur sind sie mit Städten geringer Dichte vergleichbar.“
Wenig verwunderlich daher, dass auch die neueste Entdeckung von „Lost Cities“ im zum Amazonasgebiet Ecuadors gehörenden Upano-Tal wieder der Verwendung der Lidar-Technologie zu verdanken ist. Auf einem Areal von 300 Quadratkilometern zwischen den östlichen Ausläufern der Anden und dem Amazonas konnte ein Team der französischen Forschungseinrichtung Centre national de la recherche scientifique (CNRS) unter Federführung von Stéphen Rostain ein dichtes Siedlungsnetz ausmachen. Dieses war in der Zeit um etwa 500 v. Chr. entstanden und bis zwischen 300 und 600 n. Chr. vom Volk der Upano genutzt worden. Das hatte ziemlich genau dem Bestand des antiken Römischen Reiches in Europa entsprochen. Die Siedlungen im Upano-Tal sind damit mehr als 1.000 Jahre älter als alle bislang entdeckten vergleichbaren Strukturen der Amazonas-Region. Ihre Forschungsergebnisse hatten die französischen Wissenschaftler im Januar im Fachmagazin „Science“ vorgestellt.
Das Team konnte auf dem Areal fünf größere und zehn kleinere Siedlungen ausmachen, die mittels ausgeklügeltem Straßennetz, das von Agrarflächen umgeben war, miteinander verbunden waren. Das erinnere laut den Wissenschaftlern an ähnliche Komplexe der Maya-Kultur im Tiefland von Mexiko und Guatemala. Es handelt sich laut Rostain um ein vergessenes „Tal der Städte“, von dem er schon vor vielen Jahren erste Fragmente entdeckt habe, ohne dass er sich jedoch ein solch großflächiges Ausmaß vorgestellt habe. Auf dem gesamten Gebiet konnten mehr als 6.000 künstlich aufgeschüttete Erdhügel identifiziert werden. Es sind meist rechteckige Plattformen mit einer Länge von zehn mal 20 Metern und einer Höhe von zwei bis drei Metern.
Sie sind typischerweise in kleinen Grüppchen um einen Platz arrangiert, auf dem häufig auch noch eine zusätzliche zentrale Plattform aufgeschüttet worden war. Auf den größten Plattformen waren wahrscheinlich zeremonielle Gebäude errichtet worden, während auf den kleineren Hügeln Wohnhäuser aus Holz gestanden haben dürften. Die Aufschüttungen könnten laut den Forschern auch aus rein praktischen Überlegungen angelegt worden sein, weil der Boden hier wegen der vielen Niederschläge meist feucht und matschig ist.
10.000 bis 30.000 Einwohner
In einem der zentralen Orte, Sangay, etwa 35 Kilometer vom gleichnamigen Vulkan entfernt, konnten die Forscher eine Dichte von 125 Plattformen pro Quadratkilometer ermitteln. Eine ähnlich zentrale Rolle scheint der Ort Kilamope mit einer Fläche von zehn Hektar gespielt zu haben, wo eine viereinhalb Meter hohe Plattform mit 40 mal 140 Metern ungewöhnlich groß gestaltet worden war. „Diese großen zeremonialen Kernkomplexe mit Monumental-Plattformen, Plazas und Alleen sind in ihrer Größe mit denen anderer Kulturen wie Teotihuacan in Mexiko oder dem ägyptischen Gizeh-Plateau vergleichbar“, so Rostain.
Das Gelände zwischen den Plattformen wurde für die Landwirtschaft genutzt, auf Hunderten von Hektar konnte ein durchgängiges Feldsystem nachgewiesen werden, dessen Ränder umrahmt waren und das von Entwässerungskanälen durchzogen war. Diese Gräben waren kerzengerade ausgerichtet, was auch größtenteils für die Straßenverbindungen zwischen den einzelnen Siedlungen galt. Dabei hatte man die Straßen zwei bis drei Meter tief in den Boden gegraben und den Aushub links und rechts zu Wällen aufgetürmt, wodurch ein Hohlweg entstanden war.
Laut den Forschern handelt es sich bei den Siedlungen im Upano-Tal um einen sogenannten Gartenurbanismus, bei dem die von Menschen geschaffenen Strukturen eng mit landwirtschaftlichen Flächen und kultivierten Terrassen verflochten waren.
„Diese ursprüngliche, 2.500 Jahre alte Gesellschaft stellt den frühesten und größten landwirtschaftlichen Urbanismus mit geringer Dichte dar, der bisher im Amazonasgebiet dokumentiert werden konnte“, so das Forscherteam. „Die Inkas und Mayas bauten mit Stein, aber die Menschen im Amazonasgebiet hatten in der Regel keinen Stein zum Bauen zur Verfügung – sie bauten mit Lehm“, so die Wissenschaftler. „Die präkolumbischen Bewohner des Amazonas waren bemerkenswerte Landschaftsgestalter, die ihre Umgebung und deren Vegetation intensiv veränderten.“
Womöglich beherbergten die beeindruckenden Siedlungen, so nimmt es der an den Forschungen beteiligte Archäologen Antoine Dorison an, gar nicht mal so wenige Menschen. Dorison geht von mindestens 10.000 Bewohnern aus. In der Blütezeit könnten es auch bis zu 30.000 Menschen gewesen sein, die sich laut Ausgrabungen vornehmlich von Mais, Bohnen, Süßkartoffeln und Maniok ernährt und wohl auch schon eine frühe Form des Süßbiers namens Chicha getrunken hatten. Das hätte der damaligen Einwohnerzahl Londons, der größten Stadt Britanniens während der Römerzeit, entsprochen. Eine Erklärung dafür, wann genau und warum die Upano-Kultur letztendlich verschwunden war, konnten die Forscher übrigens nicht liefern. „Gesellschaften enden einfach, das gibt es überall auf der Welt“, so Rostain.