Das neu eröffnete „Verōnika“ befindet sich in den oberen Stockwerken des ehemaligen „Tacheles“ – ein Kulturdenkmal, das einst ein Magnet für Berliner und Touristen war. Nach der Sanierung wird dort jetzt der Kunst des Casual Fine Dinings gehuldigt – auf Weltklasse-Niveau.
Das „Tacheles“ war mitunter wohl einer der bekanntesten Orte alternativer Kunst und Kultur in Berlin. Das im Jahr 1909 errichtete Gebäude hieß anfangs noch Friedrichstraßen-Passage, da es die Oranienburger mit der Friedrichstraße verband. Ursprünglich als Kaufhaus genutzt, erlebte es etliche Besitzer- und Nutzerwechsel. Wertheim war zeitweise Mieter ebenso wie die AEG. Im Zweiten Weltkrieg nutzten die Nationalsozialisten das Objekt und zu DDR-Zeiten der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund.
Nach dem Mauerfall sollte das fünfstöckige Gebäude eigentlich gesprengt werden. Doch die Künstler-Initiative und Namensgeberin von Tacheles besetzte das Objekt. Sie erreichte, dass das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das „Tacheles“ wurde nach und nach zu einer festen Größe in der Berliner Kunst- und Kulturszene. Es gab ein Programmkino, zahlreiche Künstler-Ateliers und Ausstellungsräume, Bars und einen Salon, in denen Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Performances stattfanden. Auf der ersten Etage befand sich eine Bühne, die zu einem wichtigen Spielort für die freie Tanzszene werden sollte.
Doch nach langen Diskussionen und Streitigkeiten über den Erhalt wurde das Objekt im Jahr 2012 zwangsgeräumt. Ab 2016 wurde das Kulturdenkmal renoviert. Das historische Kunsthaus beheimatet jetzt nicht nur Büros und Geschäfte, sondern auch das schwedische Fotografie-Museum Fotografiska sowie das neu eröffnete, dazugehörige Restaurant „Verōnika“ in der vierten Etage samt gleichnamiger Bar ein Stockwerk höher.
Bei meinem ersten Besuch dort führt mich der aufmerksame Manager sogar durch das oberste Stockwerk direkt unterm Dach, in dem derzeit gerade noch eine neue Extra-Bar entsteht. Bei einer Stippvisite vor einigen Wochen war die Roof-Top-Bar noch nicht ganz fertig, aber der Blick von ganz oben auf die Oranienburger Straße ist atemberaubend.
Nicht weniger fulminant ist das „Verōnika“: Während das Treppenhaus noch voller Graffiti den alten historischen Charme des Tacheles versprüht und mich in das Berlin der Nachwendezeit versetzt, stellt das Restaurant ein weiteres Paralleluniversum dar. Ein großer, hoher Raum mit warmen Erdtönen des unverputzten Mauerwerks und gedämpfter Beleuchtung empfängt mich. Herzstück des Ganzen ist ein gigantischer, ovaler Tresen mit von der Decke hängenden Gläsern. „New York, New York“, schießt es mir durch den Kopf. Das ganze Ambiente hat etwas Mondänes, sehr Kosmopolitisches.
Die Location verfügt über 180 Sitzplätze und wurde über mehrere Jahre hinweg renoviert. Man geleitet mich zu meiner samtgepolsterten Sitzbank an einem großen, weiß eingedeckten Tisch. Die Speise- und Weinkarte ist mit eigener LED-Leuchte zum Anklippen ausgestattet. Das ist nicht bloß ein Gimmick, sondern auch hilfreich in dem abgedunkelten Raum. Ich bin beeindruckt – auch von dem wirklich ausgesucht freundlichen Personal, dessen zugewandte Art mich an diesem Abend darüber hinwegtröstet, dass ich wider Erwarten doch alleine diniere. Die begleitende Freundin hatte eigentlich fest zugesagt, aber dann den Tag verwechselt. Unser italienischer Fotograf konnte wegen Terminengpässen auch nicht mit dabei sein.
Alles Teil eines Gesamtkunstwerks
Noch bevor ich einen Blick in die Karte werfe, wird mir noch das Séparée gezeigt – ein kleiner Raum mit historischen Graffiti an den Wänden und einer langen, weiß gedeckten Tafel, an der eine größere Gruppe Platz findet. „Diese Frau erkennt ja jeder sofort“, ist sich der Manager sicher und weist auf ein Sprühwerk, das eine Punkerin mit feuerrotem Irokesenschnitt zeigt. Aus ihrem Mund kommt eine Sprechblase. „Support Tacheles“, steht dort – Unterstützt das Tacheles! Hmm, irgendwie kommen mir ihre Augen bekannt vor. Aber wer…? Dann erkenne ich endlich, dass es die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel ist, die als Punkerin subversiv auf dem Graffito verewigt worden ist.
Das Restaurant auf der vierten Etage ist Teil eines Gesamtkunstwerkes unter der Federführung von Unternehmer, Kunstmäzen und Fotografiska-Chairman Yoram Roth. Zum Haus gehören eine Bäckerei, eine Café-Bar, das Restaurant und die beiden Cocktail-Bars. „Man kann sich einen Drink kaufen und mit dem Drink in der Hand die Fotografien anschauen“, beschreibt der gebürtige Berliner das Konzept in einem Interview mit einer Berliner Tageszeitung. „Der Gedanke, dass wir aus einer Welt der ‚Hospitality‘ kommen, gibt uns einen anderen Touch“.
Die Öffnungszeiten des Museums geben ihm recht, schließlich hat es täglich bis 23 Uhr geöffnet. Das zeitgenössische Museum für Fotografie, Kunst und Kultur wurde im schwedischen Stockholm gegründet und hat in Tallinn und New York City Dependancen. Als Verbindung zwischen Kunst und Kulinarik nennen sich Restaurant und die Bar „Verōnika“, die als Schutzpatronin der Fotografie gilt.
Mit authentischer Begeisterung begegnet mir Restaurant-Manager Steven van Klaveren. „Seit ich in Berlin bin, wollte ich immer das ,Tacheles‘ sehen, aber es war jahrelang wegen der Umbauarbeiten geschlossen“, erzählt der niederländische Wahl-Berliner, als er mir später noch die ebenfalls einladende Bar mit den großzügigen Samtsofas zeigt. Doch bevor ich dort an dem wunderbar fruchtig-säuerlichen Longdrink aus Gin, Ingwer, Himbeere und Limette nippe, studiere ich eine Etage tiefer die Speisekarte. Außer Entrecôte, Rib-Eye-Steak und Tatar finden sich dort weitere Leckereien wie Tempura-Austern, Hamachi und Jakobsmuscheln.
Traumhaftes Ambiente
Die Küche steht unter der Führung des Küchenchefs Roel Lintermans, der zuvor im „Grill Royal“ tätig war. Ich wähle den Signature Dish, ein hochköstliches Hummer-Omelett an geräuchertem Kaviar vom Lachsfisch, abgeschmeckt mit Zitrone. Dazu gibt es dünn geschnittene, superkrosse Pommes Frites – so wie man sie eigentlich nur in ihrem Erfinderland Belgien serviert bekommt. Davor gibt es noch hocharomatische, in Salz gebackene Baby-Bete an Brombeeren und Sauerampfer mit einer auf der Zunge schmelzenden Cashew-Creme. Ein Traum für meinen Gaumen!
Auch der Fotograf, der zeitversetzt einen Abend später in den Hochgenuss der Speisen an der Oranienburger Straße 54 kommt, zeigt sich sehr angetan in unserem Nachgespräch. „Ich bin echt positiv beeindruckt“, berichtet er mir im Telefonat. „Verliebt“ habe er sich in die angerösteten Broccolini an Zitronen-Vinaigrette. Das will etwas heißen, schließlich isst der Mann am liebsten Fleisch.
Begeistert waren wir beide unabhängig voneinander vom Thunfisch-Tatar. „Manchmal ist Tatar in Restaurants zu senfig oder zu süßlich, aber dieses hier war perfekt. Der Fisch war superzart, und die Sauce ist leicht säuerlich. Das ist wirklich gelungen“, schwärmt er. „Wirklich genial“ fand er auch das Tatar-Finger-Toast aus knusprigem Weißbrot gefüllt mit Kalbsfleisch an frischem Meerrettich, Schnittlauch und Heringskavier. „Das Ambiente ist ein Traum, ich habe das Restaurant schon Freunden empfohlen“, sagt er abschließend. „Vielleicht ist es noch zu früh, das zu sagen, aber das ist das Restaurant des Jahres“, findet er. Treffer, denke ich. Dem Urteil meines fotografierenden Kollegen kann ich nichts mehr hinzufügen.