Deutsche Rüstungskonzerne fahren ihre Produktion hoch, die Europäer verstärken ihre eigenen Anstrengungen zur Verteidigung, und die Münchener Sicherheitskonferenz sucht im 60. Jubiläumsjahr nach Wegen aus den Krisen.
Unterlüß in der Lüneburger Heide ist nur ein kleiner Ort, den man nicht unbedingt kennen muss. Es handelt sich um ein 3.500 Seelen-Dorf im Landkreis Celle in Niedersachsen, irgendwo zwischen Lüneburg und der Landeshauptstadt Hannover. Das mediale Interesse an den Geschehnissen in Unterlüß ist in der Regel überschaubar. Es sei denn, der Bundeskanzler samt Bundesverteidigungsminister sind dort mit den Spitzen der Waffenschmiede Rheinmetall verabredet.
Grund für das Spitzentreffen ist eine Grundsteinlegung der besonderen Art. Hier soll für rund 300 Millionen Euro eine neue Produktion aufgebaut werden. Dass damit etwa 500 neue Arbeitsplätze entstehen, was sonst durchaus eine Headline wert wäre, ist in diesem Fall gar nicht die primäre Botschaft. Entscheidender ist das Produkt: In einem Jahr sollen hier pro Jahr 200.000 Schuss Artillerie – Munition gefertigt werden, unter anderem für die Panzerhaubitze 2000 aus den Beständen der Bundeswehr, die an die Ukraine geliefert wurde.
Bei dem Rüstungs-Industriestandort handelt es sich nicht nur um den schon jetzt größten Produktionsstandort von Rheinmetall, sondern gleichzeitig um den größten, europäischen privaten Schießplatz der Industrie, einem Test- und Versuchsgebiet für neue Granaten, panzerbrechende Splittermunition und sonstige Raketengeschosse.
Trumps Wahlkampf gefährdet Ukraine
Bislang produziert allein Rheinmetall, nachdem die Produktion in Folge des Kriegs in der Ukraine wieder hochgefahren wurde, gut 500.000 Stück solcher Munition. Ab dem nächsten Jahr werden dann weitere 200.000 Geschosse dazukommen.
Der Bedarf der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren ist enorm. Im vergangenen Jahr wurden 1,3 Millionen solcher Projektile von den westlichen Verbündeten geliefert, doch der Bedarf liegt laut Ukrainischen Militärkreisen bei 1,8 Millionen Schuss. Ein Großteil wird bislang von den USA geliefert, doch ob das so bleibt, steht buchstäblich in den Sternen. Seit Wochen werden weitere 60 Milliarden Dollar an Militärhilfen im amerikanischen Kongress von den Republikanern blockiert, und das könnte zu einem Dauerzustand werden.
In den USA herrscht ein Wahlkampf, in dem auch die Ukraine-Unterstützung instrumentalisiert wird. Ex-Präsident Donald Trump – und voraussichtlich erneut Präsidentschaftskandidat der Republikaner – sorgt mit immer schärferen Äußerungen für Irritationen dafür, dass er inzwischen sogar als „Sicherheitsrisiko“ im Blick auf die Nato, die europäischen Verbündeten, und damit rückwirkend für die USA selbst eingestuft wird.
Unabhängig von den aktuellen Eskalationen ist schon lange klar, dass sich die Europäer deutlich stärker um ihre eigene Sicherheit kümmern müssen. Der russische Überfall auf die Ukraine hat dies überdeutlich gemacht – und die Bereitschaft der Europäer, der Erkenntnis auch energische Taten folgen zu lassen, deutlich vorangetrieben.
Das hat etwas mit dem so- genannten Zwei-Prozent-Ziel zu tun. Nato-Partner haben sich verpflichtet, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung bereitzu stellen. Nicht nur, aber eben auch Deutschland, haben dieses lange Zeit deutlich unterschritten.
Es hat aber auch damit zu tun, dass Rüstungsproduktionen eigentlich auf allen Ebenen zurückgefahren wurden. Logisch aus Sicht der Konzerne, wenn die Nachfrage zurückgeht. Krieg in der Ukraine und die politischen Entwicklungen beim größten Nato-Partner führen nun zu massiven Anstrengungen in der europäischen und deutschen Rüstungsproduktion. Rheinmetall hat bereits seine Kapazitäten in Spanien hochgefahren.
Nun also der Bau einer neuen Munitionsfabrik am größten Produktionsstandort in Deutschland.
Die symbolische Grundsteinlegung erfolgte vermutlich nicht nur aus bloßem Zufall als Start in die Woche, in der auch die Münchener Sicherheitskonferenz tagt, die weltweit wohl wichtigste und vor allem höchstbesetzte Konferenz, die sich mit globalen Sicherheitsfragen beschäftigt.
„Kümmern uns um die Weltordnung“
Kein geringerer als UN-Generalsekretär António Guterres wird die Konferenz in ihrem 60sten Jubiläumsjahr eröffnen. Christoph Heusgen, Leiter der Konferenz, legte im Vorfeld Wert darauf, dass nicht nur Ukraine und Nahostkonflikt die Diskussionen und den Austausch bestimmen sollten, und „Sicherheit“ ein größeres Feld ist als nur militärische Konflikte: „Auch wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine traditionelle Sicherheitsthemen wieder an die Spitze unserer Agenda gestellt hat, werfen wir weiterhin den Blick auf breitere Sicherheitsthemen, wie etwa die Klimasicherheit die Auswirkungen neuer Technologien wie die generative KI“.
Dass diese Themen nicht nur nebeneinander stehen, sondern zu großen Teilen einen inneren Zusammenhang haben, und sich gleichzeitig intensivste Konflikte in einer neuen „Weltunordnung“ abspielen, macht die Münchener Sicherheitskonferenz mehr als noch als früher zu einer global besonderen Veranstaltung. „Wir haben aber auch den Anspruch, uns um die Weltordnung insgesamt zu kümmern“, unterstreicht Heusgen und stellt dabei zwei große Fragen:
„Wie schaffen wir es, dass die Welt bei diesen ganzen Krisen nicht weiter auseinanderfällt, sondern dass wir dem Multilateralismus auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weiter eine Chance geben?“ Auf diese Frage suchen nicht weniger als 50 Staats- und Regierungschef mit zahlreichen Experten Antworten.
Die zweite große Frage in einer Zeit enormer Verunsicherungen formulierte Heusgen gegenüber der Deutschen Presse Agentur so: „Bei all den Krisen fragen wir: Wo ist der Silberstreif am Horizont?"