Seit wenigen Tagen ist die konservative Ex-Außenministerin Liz Truss neue Premierministerin des Vereinigten Königreichs. Die Nachfolgerin des sprunghaften Boris Johnson hat einen riesigen Problemberg zu bewältigen.
Sie ist bereits die dritte Frau als Chefin von 10 Downing Street, dem Sitz der mächtigsten Person im Vereinigten Königreich Ihrer Majestät Queen Elizabeth II. (96): Liz Truss. Schon jetzt wird ihr das Etikett „Eiserne Lady" umgehängt. Denn sie hat ähnliche Teflon-Eigenschaften wie Großbritanniens erste weibliche Kabinettschefin Margaret Thatcher (1979– 990).
Starke Nerven wird Truss im fallengespickten Dickicht der Inselpolitik auch brauchen. Die zweite im Damenclub, Theresa May, kann davon ein Lied singen: 2016 ins Amt gekommen schubste sie der nun selbst weggestoßene Boris Johnson nach nur drei Jahren aus dem Weg.
Obwohl erst 47 Jahre alt, hat Truss reichlich Regierungserfahrung hinter sich. Innerhalb eines Jahrzehnts sammelte sie Ämter wie andere Briefmarken: Justizministerin, Lordkanzlerin (nach 1.000 Jahren als erste Frau), Bildungsstaatssekretärin, Umwelt- und Agrarministerin, Staatssekretärin im Schatzamt, Frauenministerin, Handelsministerin und schließlich Außenministerin. Dabei diente die Tochter einer linksgerichteten Krankenschwester und eines friedensbewegten Mathematikprofessors drei konservativen Premierministern. Nun ist sie selbst ganz oben.
Selbstzweifel plagen Truss nicht: „Ich bin von Tag eins an bereit, als Premierministerin zu liefern", verkündet die Mutter von zwei Töchtern, die mit einem Buchhalter verheiratet ist. In ihrem Wahlkampf um die Stimmen der 180.000 konservativen Parteimitglieder gegen den Konkurrenten und Ex-Finanzminister Rishi Sunak hat Truss ein Sammelsurium von Versprechen abgegeben – genau 149 haben Beobachter gezählt.
Bekannt als kompromisslos
Die Lage der Inselmonarchie erfordert entschlossenes Handeln. Im Juli war die Geldentwertung auf 10,1 Prozent geklettert. Das war die höchste Rate seit 1982.
Als eine der ersten Maßnahmen könnte Truss einen Nothaushalt durchdrücken. Schon vor Amtsübernahme waren in den Ministerien mehrere Optionen ausgearbeitet worden, um hilfsbedürftige Briten zu stützen. Dazu gehört ein Einfrieren der Energierechnungen. Sie ist pro Kernenergie, für Fracking von Schiefergas und mehr Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee.
Truss erwägt insgesamt 30 Millionen Pfund für Steuersenkungsmaßnahmen auszugeben. Als Gegenfinanzierung kommt die Rücknahme der Erhöhung der Sozialversicherung und die Streichung der Körperschaftssteuererhöhung infrage. Direktzahlungen an Bedürftige hat die erklärte Gegnerin eines „Nanny-Staates" bislang ausgeschlossen. Die einstige Studentin der Philosophie, Politik und Ökonomie in Oxford sympathisiert mit den wirtschaftsliberalen Ideen des österreichischen Wirtschaftsgurus Friedrich August von Hayek. Sie befürwortet Investitionszonen mit geringer Regulierung.
In der Außenpolitik wird Truss den Kurs Johnsons weitgehend fortsetzen. Die enge Bindung an die USA („special relationship") wird ungetrübt bleiben. China will sie als „Bedrohung der nationalen Sicherheit" einstufen.
Mit der größten Erhöhung der Verteidigungsausgaben seit den 50er-Jahren will Truss den Anspruch Großbritanniens bekräftigen, das wichtigste Nato-Land neben den USA zu sein. Bis 2030 sollen drei Prozent des Nationaleinkommens für die Verteidigung fließen. Derzeit sind es etwas mehr als zwei Prozent pro Jahr. Das Geld soll in eine neue U-Boot-Flotte und in Cyber- und Weltraumtechnologie gesteckt werden.
Liebesgrüße an Moskau? Nicht unter Truss. In einem Zeitungsartikel hatte sie angekündigt, Geheimdienstinformationen freizugeben, um „die Versuche des Kremls zu entlarven, freiheitsliebende Demokratien zu untergraben und zu destabilisieren". Die massive Waffenhilfe an die von Russland überfallende Ukraine wird weitergehen oder gar ausgeweitet werden. Ob sie eingefrorene russische Vermögenswerte an Opfer der Invasion wie angekündigt umverteilen wird, bleibt abzuwarten.
Verschärfen dürfte sich das schwierige Verhältnis des UK zur Europäischen Union. Die einstige Brexit-Gegnerin hat sich in den vergangenen Jahren flexibel wie eine Schlange zur schärfsten Kritikerin des Brüsseler Staatenverbundes gewindet. Nun droht eine bittere Auseinandersetzung um den Zollstatus Nordirlands und damit ein offener Bruch des europäisch-britischen Brexit-Abkommens.
Inselmonarchie vor großen Problemen
Kompromisslos wird sich Truss auch gegen Schottland zeigen, dessen Regierungschefin Nicola Sturgeon von der sozialdemokratischen Nationalpartei (SNP) im kommenden Jahr über die Unabhängigkeit abstimmen wird. Sie werde die gewählte Premierministerin im Norden „ignorieren", sagte Truss. Das angekündigte Referendum kommentierte sie mit: „Nein, nein, nein".
Eines ist sicher: Bekommt Truss die von ihren konservativen Stammwählern ersehnte Gesundung Großbritanniens nicht in den Griff, wird sie bei der nächsten Parlamentswahl wenig Chancen gegen Oppositionsführer Keir Starmer haben. Den stufen die Wähler zwar laut Umfrage als kaum geeignet ein. Aber: auch im Vereinigten Königreich ist es möglich, dass Pferde kotzen.
Die wichtigste Hürde für Truss steht unterdessen in den eigenen Reihen. Zwar haben die Konservativen mit 357 von 650 Abgeordneten eine satte Mehrheit im Unterhaus. Aber rund 200 der Truss-Kollegen haben bei den Vorwahlen nicht für sie gestimmt – das sind weit über 50 Prozent der Fraktion.
Diese Kluft muss die frisch gebackene Regierungschefin erst mal überwinden. Man erinnere sich: Auch die erste Eiserne Lady, die jahrelang als unbezwingbar geltende Margaret Thatcher, zerbrach an der eigenen Partei und wurde gestürzt.