Der Landesentwicklungsplan sei richtig, aber müsse ständig an neue Realitäten vor Ort anpassbar sein, sagt Waderns langjähriger Bürgermeister Jochen Kuttler (ProHochwald). Stadtplanerin Isabella Sicks sieht neue Aufgaben auf sich zukommen.
Herr Kuttler, der Innenminister hält den LEP 2030 für „keinen tiefen Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht“. Hat er Recht?
Ja und nein. Man muss die Frage, was man genau unter „kommunaler Selbstverwaltung“ versteht, differenziert betrachten: Wir brauchen die finanzielle Förderung des Landes – und auch des Bundes und durch die EU –, um unseren Pflichten und Aufgaben als Kommune nachkommen zu können. Wer fördert, der fordert bekanntlich auch. Und bestimmt so doch deutlich mit, was vor Ort passiert und was nicht. Der geplante LEP auf der anderen Seite nimmt zwar den Kommunen das Heft des Handelns nicht in Gänze aus der Hand, aber er ist schon sehr restriktiv gehalten.
Auch Wadern hat eine 35-seitige Einlassung zum LEP-Entwurf verfasst. Haben Sie Beispiele aus dem Bauamt, Frau Sicks, welche Punkte daraus Ihnen die Arbeit erschweren?
Zum Beispiel die Restriktionen in Bezug auf Berechnung des Wohnbauflächenbedarfs – Stichwort: Baulücken. Im aktuellen Entwurf des LEPs wird die Berechnung für den Bedarf von neuen Wohneinheiten von der Landesplanung übernommen. Das heißt, wir sind als Stadt abhängig von dieser Berechnung. Bisher wurden Baulücken nur dann angerechnet, wenn diese im Bereich eines Bebauungsplans liegen. Im aktuellen Entwurf des LEPs fließen nun alle Baulücken, auch die außerhalb des Bereichs eines Bebauungsplanes, beispielsweise in gewachsenen Ortskernen, in die Berechnung ein. Dies sorgt dafür, dass die Schaffung neuer Wohngebiete maßgeblich erschwert wird. Weiterhin wird in dem neuen Entwurf gefordert, dass die Kommunen Mobilisierungsstrategien entwickeln, um Eigentümer von Baulücken dazu zu bringen, brachliegende Grundstücke innerorts zu bebauen oder für eine Bebauung zur Verfügung zu stellen. Der Aufwand, die Eigentümer oder gar Erbengemeinschaften überhaupt ausfindig zu machen und diese zu kontaktieren und zu überzeugen, ist aber immens. Im LEP-Entwurf wird außerdem von den Kommunen eine Wohnbaustrategie gefordert. Hier ist die Stadt Wadern glücklicherweise schon recht weit. Wir haben mit einer entsprechenden Analyse bereits lange vor dem neuen LEP-Entwurf begonnen und ein stimmiges Konzept erarbeitet. Das muss jetzt mit der Landesplanung abgestimmt werden. Neben dem Thema der Wohnbauflächenausweisung beinhaltet der neue Entwurf des LEPs auch Aussagen über Gewebeflächen und entsprechende Vorranggebiete. Im Entwurf wurden teilweise Gebiete, die vorher als Vorranggebiete für Gewerbe und Dienstleistungen ausgewiesen waren, nicht mehr ausgewiesen. Den Fall haben wir zum Beispiel in den Stadtteilen Noswendel und Nunkirchen. Dafür gibt es aber keine Begründung im LEP.
Was bedeutet das für neue Wohngebiete in der Stadt, Herr Kuttler?
Wir haben in der Stadt Wadern ein Baulückenkataster. Das zeigt aber nur den Ist-Stand auf, nicht die Lösung. Die Fehler, die uns heute Sorgen machen, wurden in den 1970er-Jahren gemacht. Man hat damals Neubaugebiete erschlossen, aber keine Fristen für deren Bebauung festgelegt. Und so sind etliche Baugrundstücke, die damals erschlossen wurden, bis heute in Privatbesitz und unbebaut. Ich kann gut nachvollziehen, dass man das Land als Geldanlage sieht, einem Bauwilligen hilft das allerdings wenig weiter. Uns als Stadt auch nicht. Ein anderes Problem ist die Verödung der Ortskerne. Selbst wenn wir die finanziellen Mittel hätten, beispielsweise in Nunkirchen Grundstücke in der Ortsmitte aufzukaufen, neu zu parzellieren und am Markt anzubieten, würden wir Schwierigkeiten haben, diese an den Mann und die Frau zu bringen. Wer will denn an einer Straße wohnen, die am Tag Tausende von Fahrzeugen passieren? Tatsächlich steht uns also, wenn man die Sache realistisch betrachtet, viel weniger potenzielles Bauland über Baulücken zur Verfügung, als in offiziellen Plänen vermerkt. Die Landverknappung ist in vollem Gange.
Wie sieht es in Sachen Gewerbegebiete aus? Wadern gilt als sehr attraktiv für Betriebe.
Um neuen Betrieben wirklich Raum zu geben, fehlen uns die Flächen. Die Nachfrage ist riesig, auch was die Erweiterung bestehender Betriebe angeht. Wenn wir eine geeignete Fläche ausgemacht haben, hier müssen ja Topografie und eine günstige Verkehrslage mitspielen, geht die Tour durch die Bürokratie der Genehmigungsstrukturen los. Das dauert eine Ewigkeit. Und klar, jeder will seine Arbeit korrekt und gewissenhaft machen. Doch bis die für die Neuausweisung eines Gewerbegebietes notwendigen Prozeduren absolviert sind, vergehen nicht selten Jahre.
Eine Aussage von Minister Jost war ebenfalls, dass es in Zukunft andere Wohnformen, mehr Reihenhäuser für weniger Flächenverbrauch, geben wird. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Kuttler: Ich wohne auf einem 2.000-Quadratmeter-Grundstück. Einem Grundstück also, das der Größe vieler Bauplätze der 1970er-Jahre entspricht. Heute sind die angebotenen Bauplätze schon wesentlich kleiner als vor 20 Jahren. Des Preises wegen – bei uns liegt der Preis für einen Quadratmeter Bauland aktuell zwischen 100 und 130 Euro, aber auch deshalb, weil sich die Bauwilligen nicht mehr den Stress eines großen Grundstücks mit Garten antun wollen.
Sicks: Dass man Bauherren die Wahlfreiheit zwischen Reihen- und Einfamilienhaus lässt, ist sicherlich sinnvoll und zeitgemäß. Es gibt aber schon jetzt eine Menge Alternativen – auch innerhalb von Bebauungsplänen. Man kann die Art und Weise der Bebauung steuern und trotzdem Wahlfreiheit ermöglichen. Wir planen aktuell das Neubaugebiet Katzenrech. Hier soll es zum Beispiel unterschiedliche Wohntypen geben: Bereiche für Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Doppelhäuser und einen Bereich für Tiny-Häuser.
Das heißt, der jetzige LEP-Entwurf gibt nicht die adäquaten Richtlinien für die Situation in Wadern vor?
Kuttler: Ich finde, dass sich die Politik viel zu lange in ihrer Planung auf die Ballungsräume konzentriert hat. Das Drumherum war nicht so wichtig. Nun ziehen aber die Leute verstärkt in die Peripherie. 2010 wurde uns gesagt, unsere Einwohnerzahl werde von damals 16.400 bis 2030 um bis zu 30 Prozent zurückgehen. Stand heute haben wir einen Verlust von netto 400 Einwohnern. Der dramatische Rückgang ist also ausgeblieben. Seit Corona steigen vielmehr die Zahlen derjenigen, die hierherziehen wollen, unter anderem auch, weil Home Office oder mobiles Arbeiten heute gang und gäbe sind. Ich glaube nicht, dass ein auf einen sehr langen Zeitraum angelegter LEP geeignet ist, die Dynamik, die die Entwicklung hat, sinnhaft und nachhaltig zu steuern. Dachte man beispielsweise früher, dass die Leute in die Ballungsräume ziehen, weil sie dort eine bessere Infrastruktur vorfinden, stellen wir heute fest, dass, zieht man in Sachen Infrastruktur nach, die Entscheidung zu unseren Gunsten ausfällt. Das kann man schön an der Frage des Glasfaserausbaus festmachen. Hier ist die Stadt Wadern Vorreiter, hier sind wir besser als viele Kommunen in den Ballungsräumen. Vor 20 Jahren war das indes kein Thema. Die Welt verändert sich rasch und umfassend. Darauf zu reagieren, bedarf es immer wieder Anpassungen in den verschiedenen Planszenarien. Insofern brauchen wir einen LEP, der die rasanten Veränderungen abbildet und die Veränderungsgeschwindigkeit auffängt. Hier bedarf es kontinuierlicher Überprüfungen und auch Anpassungen.
Bei aller kritischen Betrachtung, welche positiven Aspekte hat der vorliegende LEP-Entwurf 2030?
Sicks: Der Gedanke, den Außenbereich der Ortschaften vor Bebauung zu schützen, ist völlig richtig. Der Grundsatz flächenschonend zu agieren und hier den Schwerpunkt darauf zu legen, geht absolut in Ordnung. Wir gehen als Stadt aber ohnehin schon diesen Weg.
Kuttler: Ich finde es völlig in Ordnung, landesweit eine grobe Entwicklungslinie aufzuzeigen. Dieses Gerüst ist richtig und wichtig. Man muss aber auch die individuellen Gegebenheiten im Blick haben. Wir sind zum Beispiel nur einen Steinwurf von der rheinland-pfälzischen Grenze entfernt. Die dortige Siedlungsstruktur entspricht eher der von uns als im Ballungsraum an der Saar. Wer das Nordsaarland planen will, muss also auch einen Blick in den rheinland-pfälzischen Hochwald werfen und schauen, welche Entwicklungsmöglichkeiten die dortige Landesregierung ihren Kommunen einräumt. Ich wünsche mir einen LEP, der breiter aufgestellt und dynamisch angelegt ist. Und, das sei mir als Bürgermeister einer Landkommune gestattet, der noch mehr auf den ländlichen Raum eingeht und dessen Potenziale abbildet.