Die Gefährlichkeit von Donald Trump ist nicht zu unterschätzen. Nicht, weil er rassistisch, amoralisch oder narzisstisch ist. Sondern weil er die Basis der Demokratie durch Lügen untergräbt – ganz so wie Russland. Dabei nutzt er Sprache wie kaum ein anderer.
m Oval Office sitzt ein Marketing-Experte. Donald Trump weiß aus Erfahrung genau, welche Knöpfe er drücken muss, um die Reaktion zu erhalten, die ihm bei seiner Wählerschaft nutzt – den braven Trump-Supportern, die jede moralische Grenzüberschreitung, jeden Tabubruch ihres Idols mit einem Schulterzucken abtun oder gar applaudieren. Ist Donald Trump deshalb gefährlich?
Nicht aus diesen Gründen. Die US-amerikanischen Parteien haben in ihrer Geschichte gezeigt, dass sie die vielen flexiblen, unentschlossenen Wähler auf ihre jeweilige Seite ziehen können. Mit dem richtigen Personal, der richtigen Vision, könnte dies auch den Demokraten bei denjenigen gelingen, die derzeit mangels einer Alternative Trump unterstützen.
Nein, Donald Trump ist deshalb gefährlich, weil er durch seine Kommunikation die Basis der Demokratie untergräbt. Diese Basis ist, dass sich alle demokratischen Gruppen einig über grundsätzliche Fakten sind – zum Beispiel, dass die Justiz unabhängig ist; dass Gewaltenteilung herrscht. Trump aber fordert nicht nur täglich seine Gegner heraus und demütigt sie bis ins Mark. Mit seinen Angriffen auf die Institutionen der USA, den konstanten, offensichtlichen Lügen, widersprüchlichen Behauptungen und „alternativen Fakten" stellt er den Konsens über die Realität und die Faktenlage infrage: Bei Trumps Inauguration waren weniger Menschen vor Ort als zur Amtseinführung von Barack Obama – alternative Fakten, sagt Trumps bekannteste Schildträgerin Kellyanne Conway. Die Verbrechensrate in Deutschland sei gestiegen, behauptet Trump, dabei war sie seit Jahrzehnten nicht mehr so niedrig. Und das waren nur zwei Beispiele von 5.001 falschen oder irreführenden Aussagen, die Trump laut „Washington Post" (bis Redaktionsschluss) seit Amtseinführung von sich gegeben hat – ein tägliches Bombardement von Unwahrheiten, die wenig oder teils gar nicht kaschiert werden. Und nichts geschieht. Wie kann das sein?
2016 veröffentlichte die Rand Corporation, ein politisch neutraler Think Tank in den USA die Studie „The Russian Firehose of Falsehoods", frei übersetzt die „russische Flut an Lügen". Darin beschreiben die Autoren, die Sozialwissenschaftler Christopher Paul und Miriam Matthews, wie die russische Regierung mit teils offensichtlichen Unwahrheiten operiert und dadurch eine neue Form der Propaganda vorantreibt: Präsident Wladimir Putin verneinte zuerst, dass sich russische Soldaten in der Ukraine befanden, um gegen die Regierung in Kiew zu kämpfen; später gab er offen zu, natürlich seien russische Soldaten unter den „Selbstverteidigungskräften" im Osten des Landes.
Nach jener Studie der Rand Corporation sei diese neue Form der Propaganda laut und über viele mediale Kanäle verteilt. Sie sei „schnell, kontinuierlich und repetitiv" und schere sich keinen Deut um Wahrheitsgehalt oder Widersprüche. In der gesamten Studie kein Wort über Trump. Im Licht der vergangenen beiden Jahre betrachtet, scheint der New Yorker Unternehmer jedoch der amerikanische Avatar jener Lügenflut zu sein, flankiert, ob wissentlich oder nicht, von einer russischen Trollarmee im Internet, an die Macht gekommen durch die von allen etablierten Politikern schlicht übersehene amerikanische Gesellschaftsspaltung. Die USA, die den Kampf der Systeme vor allem durch ihre wirtschaftliche Überlegenheit gewonnen hat, werden von Putin vorgeführt. Diesmal ist es ein Schaukampf zwischen autoritärem und freiheitlich-demokratischem System. Und der russische Kandidat gewinnt.
Darüber kann man sich aufregen. Sich darüber zu entrüsten, dass dieser Präsident offenbar alle Krisen, die er teilweise selbst herbeiführt, mühelos bezwingt, ist zwar ein adäquates Ventil. Als Waffe gegen Trump und eine willfährige republikanische Partei bleibt der moralische Zeigefinger jedoch viel zu harmlos. Denn Moral ist kein Kriterium mehr in einer politischen Situation, in der die beiden Seiten des Systems in solch unversöhnlichem Hass aufeinanderprallen, wie es derzeit im US-amerikanischen Kongress geschieht. Die Nominierung von Brett Kavanaugh als Richter am Obersten Gerichtshof trotz des Verdachts der sexuellen Belästigung zeigt dies deutlich. Hier geht es nur noch darum, das System gegen die Ideen der jeweiligen Gegenseite zu imprägnieren, kurz, zu gewinnen.
Trump nutzt seine Erfahrung als Verkäufer
Gewinnen, das sieht der Präsident am liebsten, vor allem sich selbst. Sein Sprachgebrauch hat ihm zu seinem Erfolg verholfen. Er war Zeit seines Lebens Verkäufer, jetzt verkauft er sich selbst. Zwei Dinge macht Trump hierbei richtig: erstens, er wiederholt, wiederholt, wiederholt. Mit einfachem, limitiertem Wortschatz, mit kurzen Worten und kurzen Sätzen. Trump spreche wie kaum ein anderer im politischen Geschäft vor ihm, sagt beispielsweise der Linguist John McWhorter, Professor an der Columbia University: Er rede wie „ein Onkel, der neben dir am Pool sitzt und ein Bier trinkt". Damit aktiviert Trump sogenannte Frames, wie Sprachwissenschaftler sagen, Denkmuster, die in unserem Gehirn angelegt sind, so die Linguistin Elisabeth Wehling. Gewiefte Verkäufer nutzen dies ebenfalls, um durch ihre Sprache unser Denken zu beeinflussen. Dazu gehört auch, dass er es wie kaum ein anderer versteht, Themen, Diskussionen und sogar Menschen auf griffige Slogans herunterzubrechen. „Fake News" umreißt seinen Kampf gegen das vermeintliche Establishment der Medien; „Witch hunt", Hexenjagd, die immer noch laufende Untersuchung des Sonderermittlers Robert Mueller wegen Trumps Wahlkampf. „Crooked Hillary", die „unehrliche Hillary" Clinton, findet gelegentlich immer noch Einzug in seine Tweets und seine Massenveranstaltungen – dort skandieren seine Unterstützer heute noch „lock her up", sperrt sie ein, wie zu Zeiten seines Wahlkampfs. Und das, obwohl seine Ex-Rivalin Hillary Clinton nur noch gelegentlich durch Zwischenrufe von der Seitenlinie auf sich aufmerksam macht. Die US-amerikanische Presse, die Trump so gerne verteufelt, tut ihm den Gefallen und wiederholt dankbar diese griffigen Slogans.
Zweitens, er ist seinen Erzählungen und seiner Ideologie immer treu geblieben. Seine Wähler verstehen dies und lieben ihn, weil er keine Kompromisse eingeht und wie ein sozialdarwinistischer Bulldozer Washingtoner Konventionen und internationale Verträge vom Tisch fegt. Hauptsache „America first". Trump macht Überstunden, um die Realität so zu formen, wie er sie gerne hätte. Die Republikaner, derzeit Erfüllungsgehilfen seiner autoritären Agenda, sehen die Renaissance des selbstbestimmten, disziplinierten, des streng konservativen Amerika am Horizont. Man möchte hinzufügen: das Amerika der 50er- und 60er-Jahre.
Pioniergeist von der Geburt bis zum Tod, gestützt auf ein starkes Militär und der moralischen Autorität, überall dort auf der Welt einzugreifen, wo es den amerikanischen Interessen passt. Ihr bislang größter Erfolg: dass sie innerhalb kürzester Zeit zwei Richter am Obersten Gerichtshof einsetzen konnten. Damit prägen sie die Agenda des Supreme Court auf Jahrzehnte konservativ.
Doch jetzt droht Ärger. Die Kongresswahlen stilisieren das Weiße Haus zur Kampfabstimmung über Donald Trump. Traditionell waren die Kongresswahlen in der Mitte der präsidialen Amtszeit, tatsächlich immer eine Abstimmung über die Politik des Präsidenten. Und auch der Präsident wird nicht müde, das auf seinen Wahlveranstaltungen zu wiederholen: Wer weiterhin von Trumps Politik profitieren, wer gewinnen wolle, müsse republikanisch wählen.
An der Basis der Demokraten regt sich jedoch breiter Widerstand. Noch nie haben sich so viele Frauen und junge Menschen für die Demokraten aufstellen lassen, noch nie war die demokratische Partei so weit nach links gerückt und hat neue progressive Stars wie Senator Cory Booker, Alexandra Ocasio-Cortez oder die transsexuelle Gouverneurskandidatin Christine Hallquist hervorgebracht. Die Umfragewerte von Präsident Trump sind niedrig. Ein Blick auf vergangene Wahlen zeigt, dass dies auch die Lage seiner Partei verschlechtert.
Sollten die Demokraten mindestens die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen, könnten sie zahlreiche gesetzgeberische Verfahren der Trump-Administration blockieren – ganz so, wie die republikanische Partei in den Amtsjahren Barack Obamas agierte. Daran erinnert sich auch Trump. Nicht umsonst wiederholt er schon jetzt gebetsmühlenartig, die Demokraten seien „obstructionists", also Quertreiber, obwohl diese in der aktuellen Konstellation nur sehr begrenzte Möglichkeiten zum Quertreiben besitzen. Agieren sie so wie Trump es ihnen andichtet, droht der US-Politik Stillstand. So lange, bis die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen. Und für diese läuft sich Donald Trump warm – schon seit Beginn seiner Amtszeit.