Vor Ort, virtuell oder im Katalog? Die Fotografien der Ausstellung „Afrika – Im Blick der Fotografen" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte beeindrucken sowohl live und online als auch auf Papier.
Für welche Weise auch immer Sie sich entscheiden: Diese Begegnung mit Fotografien aus Ländern des afrikanischen Kontinents entfaltet ihren Reiz. Die Großformate und auch die Atmosphäre in der Möllerhalle wirken unmittelbar auf den Betrachter. Der virtuelle Rundgang am Laptop weckt die Neugier und ermöglicht sogar, sich nach Belieben in dem dreidimensionalen Ausstellungsraum zu bewegen. Wessen Spieltrieb höhere Ansprüche einfordert, der kann mit einem Virtual-Reality-Headset und einer kostenfreien App für das Smartphone den Eindruck entstehen lassen, selbst durch die Möllerhalle zu spazieren, um die Werke zu betrachten.
Das Katalogbuch mit allen Fotografien in brillanter Qualität zeichnet sich durch Langlebigkeit und dauerhafte Verfügbarkeit aus, auch dann, wenn die Ausstellung längst abgebaut ist. Das Lesen der Texte, sprich das tiefere Eintauchen in die Geschichte einer Fotografie, fällt im Buch leichter. In der Ausstellung werde ich oft vom Blick einer Person angezogen und entwickle eigene Assoziation zu einer Bildszene. Dabei sind die erläuternden Bildtexte auch in der Möllerhalle mittels Aufstellern beigefügt, aber wohltuend zurückhaltend und knapp gehalten.
Können wir unsere Lebensgrundlagen retten? Oder hat der Mensch bereits so viel Schaden angerichtet, dass er sich selbst dadurch auslöschen wird? Von den 43 Fotografien, die in der Schau gezeigt werden, haben mich die Arbeiten von Fabrice Monteiro vor dem Hintergrund dieser existenziellen Fragen am meisten beeindruckt. Monteiro suchte mit dem Designer Doulsy verschmutzte Orte in Afrika auf, um dort eine Fotoserie mit mythisch-surreal anmutenden Figuren zu erschaffen. Die Models tragen Kleider, die aus den Dingen gemacht wurden, die die Künstler an diesen unwirtlichen Orten gefunden haben.
Inszenierter Fotografie gegenüber bin ich etwas skeptisch, weil die propagierte Meinung des Künstlers häufig überdimensioniert herausschreit. Auf den Fotografien von Fabrice Monteiro jedoch „schreit" das Meer – ich kann es hören. Dem Künstler-Duo ist ein zusätzliches Kunststück gelungen, nämlich, dass den Betrachter der Müll nicht in ekelerregender Weise anspringt, sondern der Gedanke aufkommt, dass Plastik ein Wertstoff sein kann, gerade weil eine Ästhetisierung zugelassen wird.
Ein Model trägt ein vermeintlich schönes, buntes Kleid, aus allen Sachen, die Menschen machen, aber irgendwann wegwerfen. Entstanden ist das Foto auf einer Mülldeponie in Dakar, der Hauptstadt von Senegal.
„Hoffnung und Ermutigung"
Ausgerechnet in einem Land in Ostafrika, in Ruanda, ist es schon längst verboten, nämlich seit 2008, Plastiktüten zu importieren, zu produzieren, zu verkaufen oder zu besitzen. EU-weit wird die Herstellung von Einwegplastik nicht mehr erlaubt – ab dem 3. Juli 2021. Auf einem weiteren Foto von Monteiro geraten wir mitten in die Havarie eines Öltankers. Unser Heimatplanet wird auch als Blauer Planet beschrieben. In diesem Wasser spiegelt sich kein Himmel mehr. Das Grauen ist ein schwarzer Ölteppich, der das Meer überzieht, und ein menschlich anmutendes Wesen gebiert, oder ein einstmals menschliches Wesen in ein Ungeheuer verwandelt hat. Fabrice Monteiros Fotoserie ist ein Appell an jene, die das Thema der globalen Umweltverschmutzung noch nicht auf der Agenda haben. Die Fotoserie „The Prophecy", sagt er, sei eine Geschichte der Hoffnung und Ermutigung, dass die Menschen die Kraft haben, das umzukehren, was sie dem Planeten angetan haben.
Mädchen in Uniformen – es scheint sich um Cheerleader zu handeln. Die Fotos haben sozialdokumentarischen Charakter. Ich betrachte die Mienen der Mädchen und versuche zu entschlüsseln, welches Gefühl sie trägt. Mir gelingt keine Antwort. Ich lese nach, wo die Fotos entstanden sind, warum sie der Fotografin Alice Mann wichtig sind. Die südafrikanischen Mädchen präsentieren sich als Tambourmajoretten. Die Aufnahme in ein Team von „Drummies" zu erreichen ist nicht einfach, und eine Auszeichnung für ein Mädchen. Die Fotografin Alice Mann, die in Kapstadt geboren ist, erklärt: „Ich möchte, dass diese Bilder als Zeugnis für das Engagement und die Entschlossenheit dieser jungen Frauen fungieren."
Omar Victor Diops beschäftigt sich mit Kunst, Mode- und Porträtfotografie. Er stellt uns drei Damen vor und nennt seine Serie „The Studio of Vanities". Die Damen vom afrikanischen Kontinent nehmen uns gezielt in den Blick. Die Kostümierung und der Hintergrund sind dazu präzise abgestimmt – eine ästhetische und farbenreiche Darstellung aus dem urbanen Leben des Kontinents, wenngleich derzeit – noch – nur vier von zehn Afrikanern in Städten leben. Diops bekennt: „Ich bin ein ausgesprochen städtischer Mensch – Dakar ist alles, was ich kenne. Diese Welt, diese Ansammlung unterschiedlichster Persönlichkeiten, die unsere Gesellschaft ausmacht, kenne ich sehr gut, denn ich bin ein Teil davon." Für den Hollywood-Blockbuster „Black Panther" der Marvel-Studios über das fiktive afrikanische Königreich Wakanda schuf Osborne Macharia die Fotoserie „Ilgelunot" (in der Sprache der Massai: „Die Auserwählten"), die den Film bewarb.
„Entschlossenheit junger Frauen"
Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte sind die beiden Werke „Koinet" und „Kokan" zu sehen. Der kenianische Künstler Osborne Macharia amalgiert mit afrikanischem Spirit Versatzstücke aus Science-Fiction und Fantasy zu seinem eigenständigen Kunstwerk.
Diese Männer arbeiten hart. In einer Pause nehmen sie die Stirnlampen nicht ab. Sie sitzen im Gras. Sie arbeiten unter der Erde. Staub bedeckt ihre Arme. Der jüngste legt die Wange an das Bein seines Kumpels, ein kleines Lächeln in unsere Richtung, vielleicht. Einer schaut grimmig. Einer verschlossen. Einer interessiert-kontrolliert.
Linda Ndlovu, Daniel Mandlo, Dumisani Mahlangu und Calvin Sibanda sind gebürtige Simbabwer, die in Johannesburg in einer stillgelegten Goldmine schürfen. Das ist ein Job, der sie in ihrem Umfeld als tapfere Männer auszeichnet, und als Experten, denn sie sind es, die das wertvolle Metall aufspüren können. Ilan Godfrey hat das Quartett 2013 für seine Serie „Legacy oft the Mine" porträtiert. Seine Fotoarbeiten erzeugen im Dialog mit den Wänden der Möllerhalle sowohl ein Gefühl der Fremde als auch der Nähe. Obwohl die Mienenarbeiter auf der Fotografie in einem entfernten Weltteil leben, sind sie der Völklinger Hütte und deren Geschichten nahe. In der Völklinger Hütte haben Generationen von Männern hart gearbeitet. Die Weitgereisten aus Südafrika sind am rechten Ort – Geschichte und Geschichten verweben …